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»Angemessen Angry«: Das Fürchten zu lernen und zu lehren
In der neuen Serie »Angemessen Angry« entwickelt eine vergewaltigte Frau plötzlich Superkräfte
Ist das wirklich eine gute Idee? Eine Serie über ein Vergewaltigungsopfer die frech, radikal oder witzig ist? Regisseurin Elsa van Damke versucht genau das: Sie verzichtet in der fünfteiligen RTL+-Dramedy »Angemessen Angry« aufs Drama, stattdessen wechselt sie ins Superhelden-Genre und setzt auf wildes Tempo, harte Fakten und starke Dialoge. Das Fernsehpublikum bekommt dabei nicht irgendeine Superhelden-Story aufgetischt, sondern puren Feminismus. Das stellt schon das Intro klar: »Was wäre ein Held, wenn sein Traum einfach zu seinem Alltag gehören würde? Ein Niemand oder schlimmer: Eine Frau!« Dass diese Serie verdammt zeitgemäß ist, ist so traurig, wie wahr.
In Deutschland erleben laut der Schauspielerin Maria Furtwängler, die mit ihrer Tochter Elisabeth die MaLisa-Stiftung für eine »freie Gesellschaft« gegründet hat, zwei von drei Frauen im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt, davon jede siebte Frau in schwerer Form. Einer Studie der MaLisa-Stiftung zufolge kommt geschlechtsspezifische Gewalt in jeder dritten TV-Sendung vor, nur acht Prozent der Krimis übernehmen die Perspektive des weiblichen Opfers. Eine Triggerwarnung oder Hinweise für Betroffene gibt es so gut wie nie. Bei »Angemessen Angry« schon. Getarnt als Superheldinnen-Dramedy räumen die Drehbuchautorinnen Elsa van Damke und Jana Forkel knallhart mit von Männern geprägten Vergewaltigungsmythen auf.
Und so passiert die Vergewaltigung des Zimmermädchens Amelie (Marie Bloching) nicht in einer dunklen Gasse, sondern ganz nebenbei während ihrer Arbeitszeit. Ein Gast (Laurence Rupp) folgt ihr in den Personalbereich, in der Küche zwingt er sie zum Geschlechtsverkehr. Da die Hotelkamera wie immer kaputt ist, bekommt keiner das Ereignis mit. Man sieht den Übergriff nicht, versteht die Szene aber trotzdem. Die Mikrowelle heizt sich auf, der Küchenschrank bebt, das Geschirr fällt aus dem Schrank und Amelie liegt kurz darauf in einem Haufen Scherben. Seitdem erkennt sie durch Berührung Männer, die gegenüber Frauen übergriffig wurden.
Amelies Oma Ursel (Christiane Ziehl) bringt das Problem auf den Punkt: »Jeder Mann ist mit einem Sittenstrolch verwandt, befreundet oder zusammen« – wenn er nicht selbst einer ist. Regisseurin und Autorin Elsa van Damke, selbst Überlebende von sexueller Gewalt, erklärt beim Seriencamp Festival in Köln, sie hätte sich mit 15 Jahren eine Serie wie »Angemessen Angry« gewünscht. Nun hat sie die Serie selbst gemacht. Um allen ein sicheres Umfeld zu bieten, machte das Team beim Cast von »Angemessen Angry« Backgroundchecks – und hatte große Schwierigkeiten, jemanden für die Rolle des Hauptvergewaltigers zu finden.
Amelies übersinnliche Kräfte entgehen nicht ihren Freunden Johanna (Shakiba Eftekhari-Fard) und Tristan (Bless Amada). Johanna sieht in Amelies neue Fähigkeiten eine Chance, um es den Tätern heimzuzahlen. Fortan und mit Hilfe ihrer Oma wird sie fortan als maskierte »#Hysteria« mit harter Hand die Täter bestrafen – möglichst alle, aber es sind verdammt viele. Der ursprüngliche Titel der Serie »Von einer, die auszog, das Fürchten zu lernen«, erklärt den Fokus der teils recht drastischen Szenen ganz gut. Aber hinter der Rächerin steckt – in Vertretung vieler anderer Frauen – eigentlich eine verletzte Seele.
In der Selbsthilfegruppe, die Amelie besucht, erzählt eine Frau, die ähnliches erfahren hatte, dass es ihr wieder gut gehe: »Ich hatte gestern wieder Sex, es war richtig schön«, doch »dann hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich kein gutes Opfer gewesen bin.« Amelie hat sich ihrem Trauma gestellt und vom Opfergedanken befreit. »Angemessen Angry« ist letztlich eine zeitgemäße Geschichte von Selbstermächtigung und Freundschaft.
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