An der Seite der Genossen

SPD macht den Wahlkampf zugleich zur Mitgliederkampagne und stellt in der Ukraine-Politik ihre Besonnenheit heraus

Während der Kanzler die Rolle des Diplomaten spielt, mimt Verteidigungsminister Pistorius für die SPD-Plakatkampagne den tapferen Heimatverteidiger.
Während der Kanzler die Rolle des Diplomaten spielt, mimt Verteidigungsminister Pistorius für die SPD-Plakatkampagne den tapferen Heimatverteidiger.

Die SPD muss angesichts ihrer bescheidenen Umfragewerte versuchen, Wähler verschiedener Lager anzusprechen. Am erfolgversprechendsten erscheint es ihr und Kanzler Olaf Scholz, sich einerseits als zupackende Kraft der Zeitenwende und andererseits als Partei darzustellen, die im Ukraine-Krieg weiter zu vermitteln versucht und den Schutz der einheimischen Bevölkerung vor einer Eskalation gewährleisten will.

Für das Zupackende steht Boris Pistorius. Der vom Parteivorstand als Kanzlerkandidat aussortierte, obwohl laut Umfragen bei der Bevölkerung weitaus beliebtere Verteidigungsminister ist auf einem der Plakatmotive der SPD in Flecktarn auf einem Panzer zu sehen, den Blick entschlossen in die Ferne gerichtet. Hinter seinem Konterfei flattert eine große Deutschlandfahne, bei der die Parteifarbe rot den meisten Raum einnimmt. Der Slogan dazu: »Wir kämpfen für Deine Sicherheit. Kämpfst du an unserer Seite?« Dazu die Aufforderung: »Jetzt Mitglied werden!«

Die Sozialdemokraten setzen also wie bisher nur Die Linke auf Aktivierung der Bürger über das Wählen hinaus, denn der Appell, Genossin oder Genosse zu werden, steht auch auf den Plakaten mit den Porträts der Parteivorsitzenden und der bisherigen SPD-Ministerinnen und Minister, die jeweils für unsere Freiheit, unsere Gesundheit, für unseren Arbeitsplatz, Wohlstand und unsere Familie »kämpfen«. Und für »globale Gerechtigkeit«.

»Ich werde mich nicht treiben lassen von Heißspornen, die jeden Tag rufen, was man zusätzlich machen soll. Ich werde mich nicht zurückhalten lassen von denen, die Lautsprecher sind für Putin.«

Olaf Scholz Bundeskanzler

Der Kanzler selbst kämpft »für dich und Deutschland«. Und er spielt die Rolle des Besonnenen, der den »Heißspornen« innerhalb und außerhalb der Partei Grenzen setzt. Der sicherstellen will, dass Deutschland trotz umfassender Waffenlieferungen an die Ukraine nicht von Russland als Kriegspartei angesehen wird. Seine auch von Genossen wie dem Außenpolitiker Michael Roth als zu zögerlich gegeißelte Ukraine-Politik stellt Scholz nun besonders heraus. Er werde sich »nicht treiben lassen« von jenen, die immer mehr Militärhilfe fordern und sich »nicht zurückhalten lassen, von denjenigen, die nur Lautsprecher sind für Putin«, sagte Scholz am Samstag auf einer »Wahlsiegkonferenz« in der Berliner Parteizentrale.

Die Strategie könnte gerade in Ostdeutschland aufgehen, denn dort sieht man den Ansatz von Union, FDP und Grünen skeptisch, mit der Lieferung weitreichender Taurus-Marschflugkörper an Kiew den Ukraine-Konflikt weiter anzuheizen. Die Unbeliebtheit seines Herausforderers Friedrich Merz könnte Scholz ebenfalls in die Karten spielen. Merz’ Ankündigung, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern, sollte Moskau nicht innerhalb von 24 Stunden seine »Angriffe auf die Zivilbevölkerung« einstellen, dürfte zumindest bei älteren Wählern auch im Westen nicht gut ankommen. Nicht zuletzt, weil sich doch noch mancher der Gefahren bewusst ist, die eine Eskalation des Konflikts mit der Atommacht Russland birgt.

Der Vorwurf aus der CDU an Scholz, sein Ukraine-Besuch am Montag sei ein »verlogenes« Wahlkampfmanöver, ist zwar selbst ein ebensolches, aber zugleich ist er nicht falsch. Wenn es dem Kanzler auf den letzten Metern seiner Amtszeit noch gelänge, substanzielle Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew in Gang zu bringen, wäre das ein Coup, der eine Wende in den Zustimmungswerten der SPD bringen könnte. Auf der Konferenz am Samstag warf Scholz Merz vor, mit seinem Ukraine-Kurs die Bundesrepublik in Gefahr zu bringen: »Ich kann da nur sagen: Vorsicht! Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.«

Scholz betonte auch, die SPD sorge für stabile Renten und sichere Industriearbeitsplätze. Die Bundestagswahl am 23. Februar stellte er als Richtungsentscheidung zwischen einem »Von hier aus zurück«-Konservatismus der Union und der SPD als »Kraft der Mitte« dar, die für »gesunden Menschenverstand« stehe. Ein bisschen klang er da wie Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis »für Vernunft und Gerechtigkeit«.

Nach der Konferenz wurde Scholz in seinem Wahlkreis in Potsdam mit 93,2 Prozent der Stimmen zum Direktkandidaten gewählt. Vor einer Woche war der Regierungschef vom SPD-Bundesvorstand einstimmig als Kanzlerkandidat nominiert worden. Er muss auf dem Parteitag am 11. Januar noch bestätigt werden, was als Formsache gilt. Scholz will die SPD – wie vor drei Jahren – wieder zur stärksten Kraft im Bundestag machen. Derzeit liegt sie in Umfragen aber 16 bis 22 Prozentpunkte hinter der Union. Bis zur Wahl bleiben nur noch 85 Tage.

Der Kanzler teilte denn auch gegen die Konkurrenz aus, nicht zuletzt gegen FDP-Chef Christian Lindner, den er Anfang November als Finanzminister gefeuert und damit das Ende der Ampel-Koalition besiegelt hatte. In ernsten Zeiten brauche Deutschland ernsthafte Politik und »keine Spieler und keine Zocker«, sagte er. Lindner und die FDP hätten die Arbeit der Regierung über Monate »systematisch sabotiert« und »aktiv verhindern« wollen, dass diese erfolgreich sei. »So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren«, rief Scholz den Genossinnen und Genossen zu.

Die Grünen, mit denen die SPD weiter eine Minderheitsregierung bildet, distanzierten sich derweil einmal mehr vom Ukraine-Kurs des Kanzlers. Die neue Parteichefin Franziska Brantner sagte »Bild am Sonntag«, dass sie mit den Positionen von CDU-Chef Merz in der Ukraine-Politik besser zurechtkomme als mit denen von Scholz. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt schrieb auf der Plattform X wiederum, der Kurs des Kanzlers habe »nichts mit Besonnenheit zu tun«. Es sei »besser, sich zu besinnen, die Ukraine ausreichend zu unterstützen und damit auch unsere Sicherheit zu schützen und einen nachhaltigen Frieden auf den Weg bringen zu können«.

Um die Rezession – Ökonomen sprechen längst von Deindustrialisierung –zu stoppen, will Scholz Jobs sichern, günstige Energie für die Wirtschaft bereitstellen, in die Infrastruktur investieren und den Fachkräftemangel bekämpfen. Das veranlasste Grünen-Politikerin Göring-Eckardt zu der süffisanten Bemerkung auf X, der Kanzler habe offenbar ein Papier von Grünen-Kanzlerkandidat und Wirtschaftsminister Robert Habeck »gut studiert«.

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