Klimaschutz in Gefahr

Fünf Jahre European Green Deal – eine Zwischenbilanz

  • Uwe Witt
  • Lesedauer: 8 Min.
European Green Deal – Klimaschutz in Gefahr

Es ist geradezu grotesk: Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt auf Rekordhöhen, die Erderwärmung wird dieses Jahr die 1,5-Grad-Grenze reißen, und Meldungen über Umweltkatastrophen laufen in immer kürzeren Abständen über die Ticker. Dennoch einigt sich der gerade beendete UN-Klimagipfel nur auf klimapolitische Trippelschritte.

In Europa könnte überdies – als Ergebnis der jüngsten EU-Wahlen und geopolitischer Wirren – ein Prozess ins Stocken geraten, der gerade erst begonnen hatte, echten Klimaschutz zu liefern: der vor fünf Jahren gestartete European Green Deal (EGD). Er wurde insbesondere in linken Kreisen häufig zu recht kritisiert, aber genauso oft unterschätzt.

Vor fünf Jahren, am 11. Dezember 2019, startete EU-Präsidentin Ursula von der Leyen den EGD mit dem Ziel, den Übergang zu einer »modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft« zu schaffen. Der UN-Klimaprozess saß der herrschenden Politik damals ebenso im Nacken wie die Klimabewegung. Bis 2050 sollen daher laut EU-Klimaschutzgesetz keine Treibhausgase (THG) mehr ausgestoßenen werden, bis 2030 sollen sie bereits um 55 Prozent sinken.

Aus Sicht von Umweltverbänden und Wissenschaft sind die Zielmarken im EGD noch immer zu niedrig, um einen fairen Beitrag Europas zu gewährleisten, die Erderwärmung nicht über 1,5 bis 2 Grad Celsius steigen zu lassen. Das Climate Action Network Europe forderte damals beispielsweise 65 Prozent Minderung bis 2030 und eine Dekarbonisierung bereits 2040. Dennoch stellen auch die von der EU beschlossenen Ziele, die bis 2030 eine verstärkte THG-Minderung vorschreiben, eine Herausforderung dar.

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Erste Erfolge

Der European Green Deal zur Umsetzung des Klimaziels wurde innerhalb der letzten Jahre mit einer Vielzahl von EU-Richtlinien und -Verordnungen untersetzt, hauptsächlich mit dem Gesetzespaket »Fit for 55«. Und in der Tat zeigen sich erste Erfolge: Die EU gehört zu den wenigen Regionen weltweit, in denen die THG-Emissionen sinken. Alle 27 Mitgliedstaaten zusammen haben ihre Klimagase allein im vergangenen Jahr um 8,3 Prozent vermindert, im Vergleich zu 2019 (vor der Pandemie) um 14,3 Prozent. In den mehr als drei Jahrzehnten gegenüber dem Referenzjahr 1990 sanken die Emissionen allerdings lediglich um 37 Prozent. Aber immerhin: Da im gleichen Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt der EU-27 um 68 Prozent wuchs, konnten Wachstum und Emissionen tatsächlich weitgehend entkoppelt werden.

Den größten Beitrag zur THG-Einsparung im Green Deal leistete der Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig ging die besonders emissionsintensive Kohleverstromung massiv zurück. Der Rückgang der fossilen Stromerzeugung in Deutschland (als größtem Kohleverbraucher) um 26,7 Prozent trug dabei wesentlich zur EU-Treibhausgasminderung bei. Im ersten Halbjahr dieses Jahres hielt der Trend an: Ökoenergien wuchsen weiter und machten fast 61,5 Prozent der Stromerzeugung aus, Kohle fällt im deutschen Strommix um weitere sechs Prozentpunkte.

Die Elektrizitätserzeugung wandelt sich also sehr dynamisch. Das liegt vor allem an einem mittlerweile wirksamen Instrumenten-Mix. Zu ihm gehört der reformierte Europäische Emissionshandel, der die fossile Stromerzeugung und fossil-gestützte Industrietechnologien (mit jährlich sinkenden Volumen an Emissionsrechten) schrittweise aus dem Markt drängt. Über den festgesetzten Minderungspfad soll er bis 2041 zur Emissionsfreiheit führen. Dazu gehören aber ebenso die nationalen Einspeisegarantien und -vergütungen für Ökostrom (hierzulande das EEG) und das nationale Ordnungsrecht (wie das deutsche Kohleausstiegsgesetz).

Defizite im Verkehrs- und Gebäudesektor

Enorme Politikdefizite weist indes der Verkehrs- und Gebäudebereich auf. Hier setzt die EU mit der sogenannten Lastenteilung vor allem auf Globalziele – umsetzen müssen sie dann die Mitgliedstaaten, die dazu mehrheitlich wenig Ambitionen zeigen. Laut dem letzten Projektionsbericht der Europäischen Umweltagentur droht die EU daher ihre eigenen Klimaziele drastisch zu verfehlen.

Besonders der Gebäudesektor bereitet Probleme, hier steuert die EU bei der Zielerfüllung auf eine Lücke von 18 Prozent bis 2030 zu. Dennoch wurde die EU-Gebäuderichtlinie zuletzt auf Druck der Immobilienlobby gegenüber den Vorentwürfen aufgeweicht. Sanierungspflichten werden damit ebenso fehlen wie Mindesteffizienzstandards, die eigentlich dazu führen sollten, dass die Gebäude mit den schlechtesten Energiewerten als erste saniert werden. Wäre hier ein Regel- und Förderschwerpunkt gesetzt worden, hätte Brüssel zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: schnelle Einsparungen von Gebäudeemissionen – und damit auch der Energiekosten – bei jenen Gebäuden, in denen überwiegend Menschen mit niedrigem Einkommen leben.

Ähnlich beim Autoverkehr: Bis zum EU-weit festgelegten Ende des Verbrennungsmotors für Neuwagen im Jahr 2035 müssten Tempolimit, Ausbau von Bahnen und Bussen, Verkehrsverminderung und weitere Maßnahmen die Verkehrsemissionen senken. Gerade in Deutschland zeigt sich jedoch der Unwille der Politik. Denn hier verhinderte die FDP mit Duldung ihrer Koalitionspartner zukunftsfähige Lösungen. Diese würden sich nämlich nicht auf einen Wechsel des Antriebs durch E-Autos beschränken, sondern zu einer echten Verkehrswende führen, mit einer Reduzierung des Verkehrsaufkommens und dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie des Rad- und Fußverkehrs zulasten des Autoverkehrs.

Ab 2027 soll ein neues Emissionshandelssystem eingeführt werden, das die Bereiche Mobilität und Gebäude umfassen soll. Auch dies ist Bestandteil des EGD und könnte für die Verbraucher*innen teuer werden. Expert*innen befürchten, dass die CO2-Preise aufgrund der weit hinter den Zielen zurückbleibenden Verkehrs- und Baupolitik explodieren könnten.

Um ökonomisch schwächere Haushalte, Kleinunternehmen und Verkehrsnutzer dabei zu unterstützen, die Auswirkungen steigender CO2-Preise zu bewältigen, führt die EU für den Zeitraum 2026 bis 2032 einen Klimasozialfonds ein. Dieser enthält jedoch deutlich weniger Mittel als ursprünglich vorgesehen, nämlich 87 Milliarden statt der einst geplanten 144 Milliarden Euro. Ähnlich wie die FDP bei der Schuldenbremse, hat hier der Sozialdemokrat Olaf Scholz verhindert, den sozialökologischen Umbau innerhalb Europas gerecht zu finanzieren.

Neben diesen Vorhaben gab es viele weitere innerhalb des EGD – das kaum überschaubare Gesamtpaket umfasst einschließlich der Folgeabschätzungen tausende Seiten, die tief ins Detail gehen. Sie regulieren auch Fragen des Ausbaus erneuerbarer Energien, der Energieeffizienz und -infrastrukturen, der klimarelevanten Steuern, Abgaben und Investitionsbewertungen, des Gas- und des künftigen Wasserstoffsektors, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Naturräume. Etliches davon hat progressive Elemente; vieles geht nicht weit genug; manches, wie etwa die positive Bewertung der Atomkraft in der sogenannten Taxonomie, bleibt kritikwürdig.

Die Folgen des Rechtsrucks

Im Februar 2024 hat die EU-Kommission ein Etappenziel im Klimaschutz vorgeschlagen. Bis 2040 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Die neue Kommission soll auf dieser Grundlage Gesetzesvorschläge vorlegen. Ob sie dieses Zwischenziel tatsächlich ins EU-Klimagesetz übernimmt und ob EU-Ministerrat und -Parlament dort mitgehen, ist allerdings keineswegs sicher. Denn die Welt hat sich gedreht: Zu den Nachwirkungen der Coronakrise und dem Krieg mit der Ukraine kommt nun der Rechtsruck in Europa. Er manifestiert sich nicht nur in Brüssel und Straßburg, sondern dürfte sich auch in der nächsten Bundesregierung niederschlagen. Hinzu kommen Handelskonflikte nicht nur mit China, sondern voraussichtlich auch mit den USA.

Die Gemengelage ist umso dramatischer, als jetzt eigentlich jene Zeiten anbrechen müssten, in denen zielführender Klimaschutz den Bürger*innen deutlich näher kommt als bisher. In die Heizungskeller etwa (erinnert sei an die Hetzkampagne gegen das Heizungsgesetz), in Garagen (E-Auto oder besser Fahrrad), für viele auch an den Arbeitsplatz (Kohleausstieg, Umbau der Autoindustrie, grüner Stahl) oder vor die Datsche (weitere Windkraft- und Solarparks).

Genau wegen dieses Unterschieds war der Green Deal in der Umsetzung bislang fest im Fahrplan, und deswegen scheut sich die Politik offensichtlich, dem Wahlvolk die vermeintlich unbequemeren nächsten Schritte zuzumuten. Dabei könnten diese auch ein Lauf zu einem besseren Leben für alle sein – wenn sie denn so organisiert würden, dass »die da oben« etwas dafür abgeben müssen, um »denen da unten« einen gerechten Wandel zu ermöglichen. Auch daran ist die Ampel gescheitert, nicht nur an der Schuldenbremse.

In Europa wird sich angesichts des aktuellen Rechtstrends in diesem Sinne wohl kaum etwas tun. Denkbar könnten vielmehr Vorstöße sein, den European Green Deal zu schwächen. Dabei scheint es allerdings kaum realistisch, seine Richtung rigoros zu ändern, etwa analog zur angekündigten Klimapolitik der USA unter Donald Trump. Schließlich haben die zahlreichen EU-Rechtsakte des EGD den Zielhorizont 2030; um sie zu kippen, bräuchte es, wie bei ihrer Verabschiedung, aufwändige Verfahren und neue Mehrheiten. Diese lassen sich – trotz der erstarkten politischen Rechten – kaum so einfach finden. Hinzu kommt, dass große Teile der Industrie sich bereits auf den EGD einstellen, Subventionen dafür kassieren und entsprechende Investitionsentscheidungen getroffen haben.

Dennoch könnten ernsthafte Gegner des European Green Deal zumindest dessen Weiterentwicklung vereiteln und Schlupflöcher bohren. Dazu zählen die Abwehr der ambitionierten Zielstellungen für 2040, Blockaden für Finanzmittel und Umverteilungen zum klimagerechten Umbau sowie unzählige Ausnahmen und faule Anrechnungsmöglichkeiten zur Zielerfüllung, etwa beim EU-Emissionshandel. Nicht zuletzt könnten die rechten Gegner des Klimaschutzes die Tendenz verfestigen, Scheinlösungen zu Lasten Dritter zu stärken, etwa mit einem bereits im EGD angelegten, unreflektierten Wachstumsfetischismus, der Unmengen von Metallen, Mineralien und künftig auch Wasserstoff aus dem globalen Süden benötigen würde. Neue Konflikte wären vorprogrammiert, wo nicht einmal die alten gelöst sind. Das aber sind, trotz der Verdienste des European Green Deal, alles andere als gute Aussichten.

Uwe Witt ist Referent für Klimaschutz und Strukturwandel der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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