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Eine Rede halten

Hat man eine Stimme oder erhebt man sie?

Und auf einmal fragt man sich: Schauen die Leute auf die Fliege, die um meinen Kopf kreist?
Und auf einmal fragt man sich: Schauen die Leute auf die Fliege, die um meinen Kopf kreist?

Kürzlich wurde ich eingeladen, eine öffentliche Rede zu halten. Ich fragte mich: Warum ich? Das fragte ich dann auch meine Auftraggeberin und sie antwortete, zu Recht: »Warum nicht du?« Dann führte sie aus: »Es sprechen doch aktuell so viele Monster und Dilettanten öffentlich. Du bist immerhin kein Monster.«

Einigermaßen beruhigt bereitete ich mich also auf meinen öffentlichen Sprechakt vor und fragte mich: Was spricht aus mir wenn ich spreche? Was halte ich, wenn ich eine Rede halte? Was trage ich, wenn ich etwas vortrage?

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. Alle Texte auf dasnd.de/hohmann.

Ich spreche nie allein. Aus mir sprechen The Pleaser, die Opportunistin, die unterhalten will, wenn sie vor einem Publikum spricht. Die sich wünscht, dass Menschen lachen oder zumindest lächeln. The Killjoy, die Spielverderberin, die sich wünscht, die Erwartung zu unterwandern. So wie als Kind, wenn ich regelmäßig auf dem Monopoly-Brett einschlief, während die anderen sich gegenseitig auf dem Immobilienmarkt zunichtemachten oder sich ins Gefängnis steckten. Oder ist es The Magician, die Magierin, die selbst um die profane Seite ihrer Zaubertricks weiß und die sich dessen bewusst ist, dass es immer auch dem »Etwas mehr« der Illusion bedarf, damit »es« passiert. »Es« – aber was?

Jeder Auftritt vor einem Publikum bedarf der Magie, bedarf der Anrufung anderer Mächte. Jede Rede ist eine Versammlung, es ist eine Anrufung, eine Beschwörung, ein leichtes Trauma, allein vor vielen, es ist das Wissen darum, dass man immer schon Stimmen in sich vereint – innen und außen, diese Unterscheidung ist schwer zu treffen. Was habe ich gehört, was gedacht, was gelesen, was selbst entwickelt? Was ist das Voice Traffic der Straße, was ein Werbeslogan, welches Gespräch findet am Nebentisch statt, welches am eigenen Tisch, welches ist ein Selbstgespräch?

Ich halte eine Rede und ich packe ein: The Pleaser, The Killjoy, The Magician.

Ich habe meine Muttersprache dabei, highly charged, meine Vatersprache – kann sie eine Sister-Sprache werden? Ich habe all die Stimmen dabei, die mit mir räsoniert haben, in der letzten Zeit, manche sind Jahrtausende alt, andere habe ich erst gestern gehört, aufgeschnappt, bewusst oder unbewusst. Ich spreche in Zungen, manches spricht durch mich, ohne dass ich es weiß.

What are words worth? Jede öffentliche Rede beinhaltet mindestens einen Sprechakt, irgendetwas Ereignishaftes, das ein Vorher und ein Nachher einführt. Vor der Rede und nach der Rede, vor der Rede ist nach der Rede, nach der Rede ist vor der Rede. Manchmal passiert: »Gar nichts«. Dann fehlt das Dritte, they call it »magic«.

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Welche Verantwortung trage ich also, wenn ich es wage, die Stimme zu erheben? Die Stimme, das ist immer die tatsächliche Stimme, die nicht allein im Körper entsteht, sondern flirrend über ihm, die Raum einnimmt und definiert. Eine schrille Stimme kann einem den Abend verderben. Es ist kein Zufall, dass man auch in politischen Kontexten »eine Stimme hat«, die »Stimme erhebt«. Es ist dieses ganz spezifische, immaterielle Organ, fast okkult spricht es ebensosehr aus einem heraus, wie man selbst mit ihm spricht, das so besondere Gewalt hat.

Man trägt etwas vor. Aber was trägt man, indem man, während man etwas vorträgt? Was trägt man in den Händen mit den manikürten Fingernägeln, die fast nicht dafür gemacht sind, etwas zu tragen, als vielleicht ein Buch, einen Stift, als auf der Tastatur zu tippen, so laut, dass ein deutscher Mann mich zurechtweist, im ICE: »Wir sind hier im Ruhebereich«.

Was, welche Fassade, erhalte ich beim Sprechen aufrecht? Was halte ich aus, den Fluch des Sprechaktes? Die Tatsache, dass es immer ein Davor und ein Danach gibt? Wenn ich öffentlich sprechen muss, bin ich oft den ganzen Tag schlecht gelaunt, »Endorphine sparen«, nennt D. das. Was halte ich, wenn ich eine Rede halte? Was halte ich durch, welche Spannung muss ich halten, welche Erwartungen erhalte ich (zurück) – ist die Fliege, die über meinem Kopf kreist, in Wirklichkeit das Ereignishafte? Ich erhalte (aufrecht), ich halte aus, ich halte durch, ich versuche verzweifelt die Spannung zu halten, wie eine Seiltänzerin ohne Seil. Drahtloser, zahnloser Drahtseilakt. Woran suche ich Halt, wenn ich eine Rede halte? Woran suche ich Halt während ich eine Rede halte?

Vor Menschen sprechen, allein vor vielen – eine traumatische Erfahrung per se, der archaische Instinkt sagt: Weglaufen! Und mein Freund J. antwortet: »Kultur beginnt da, wo man die Verletzen und Kranken nicht mehr zurückließ, sondern sie pflegte«.

Und Bertolt Brecht schreibt: »Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.« Und dann sagt er: »Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral.«

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