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Christel Buschmann: Die Sonne, das Smartphone und die Angst
Die Filmemacherin Christel Buschmann debütiert mit dem Roman »Ein glühend heißer Nachmittag«
Es ist heiß. Matilda weilt, jung und schön und einsam, in Mexiko-Stadt. Sie hat eine Handtasche der Marke Birkin, keine Geldsorgen, eine Playlist mit Musik aus der Geschichte der anspruchsvollen U-Musik im Ohr — und pausenlos Angst. Die Armut an Taten und der Reichtum an Fantasie bestimmen ihr Leben unter der sengenden Sonne Mittelamerikas; wobei sie die meiste Zeit in klimatisierten Räumen verbringt.
»Ein glühend heißer Nachmittag« ist ein Roman über eine Frau, die nicht aus ihrem Kopf herauskommt. Der Titel selbst ist einem Schund-Roman entliehen, mit dem sich Matilda die Zeit vertreiben soll. Denn Matilda ist in Mexiko als Begleitung ihres Mannes Alexander, der eine Geschäftsreise absolviert. Er ist gewohnt zu befehlen, ihr zufolge stark, berufsbedingt kalt, ständig abwesend des Business wegen, von dem sie natürlich nichts versteht. Wenn er berührt, erregt er oder hinterlässt Schmerzen, an die sie sich erinnern kann.
Die Paarkommunikation beschränkt sich größtenteils auf Erniedrigungen seinerseits, Klagen von Matilda oder coole Kommentare. Fast unausweichlich scheint da eine Affäre, die verspricht, aus sich herauszukommen, wenn die Psyche es zulässt. Als Liebhaber dient, Sicherheit geht vor, kein einheimischer Revolutionär und Dichter, sondern ein Geschäftsmann.
Diese Handlung klingt erstmal nach wohlstandsverwahrloster Oberschichtenliteratur. Aber weit gefehlt! »Ein glühend heißer Nachmittag« ist ein spielerischer, hochkomischer und tieftrauriger Text aus einer Gegenwart, der der Atem wegbleibt, weil die Protagonistin sich einer Angst-Industrie aus Self-Help und News-Flashs ausliefert, die dafür sorgt, dass sie nur in sich selbst und auf den Bildschirm starrt.
Zwar handelt es sich um einen Debütroman, Autorin ist aber die 82jährige Christel Buschmann. Die Filmemacherin und Journalistin drehte Dokumentationen über Wunderheiler in der Sowjetunion, russische Straflager für Frauen, Kindesmissbrauch, aber auch ein Porträt des Modeschöpfers Wolfgang Joop. Ihre Spielfilme trugen Titel wie »Gibbi Westgermany« (mit Eric Burdon und Martin Kippenberger) oder »Ballhaus Barmbek« (mit Kiev Stingl und Nico): Es geht um schmutzige wie schöne Außenseiter-Halbwelten, Lebensentwürfe am Rande der alten BRD, die keine Spießersicherheit boten, aber eben ein wenig von der ominösen Freiheit zuließen, mit der der Westen wirbt.
Buschmanns Protagonistin Matilda hingegen ist sehr unfrei, aber auch sehr produktiv darin, sich auszumalen, was ihr alles Schlimmes zustoßen könnte. Sie ist wie eine böswillige Drehbuchautorin ihres eigenen Lebens, läuft aber in Wahrheit ihrem Mann hinterher oder sitzt einfach da. In ihrem Kopf wechseln sich selbstgestellte psychologische Diagnosen ab mit Schreckensmeldungen aus dem Internet. Sie kennt unzählige Apps gegen Überforderung und Unbehagen. Die Songs fangen ihre Gefühle ein, sind Anweisungen, Urteile.
Der Roman ist kein innerer Monolog, aber die Erzählstimme weicht Matilda nicht von der Seite. Goethe, Eichendorff, Fontane werden zitiert, genauso wie Lou Reed, Elvis, Roberta Flack, Lil Peep. Egal ob deutsche Dichtung, böses Sprichwort oder Classic Rock: Matilda ist in Gedanken und Katastrophen vorbestimmt. Und sie vertraut auf betreutesdenken.de und andere Seiten im leuchtenden Gehäuse in ihrer Hand. Die meiste Zeit verbringt sie allerdings in hochsicheren Hotels, man bewegt sich mit Taxis durch die Stadt oder geht in teure Immobilien anderer reicher Leute. Aus dem Dialog mit einem Barmann: »Was zählt, ist der Augenblick.« »Schöne Bluse.« »Es kommt nicht darauf an, was man anhat, sondern was man im Kopf hat.« »Meine Frau hat einen Tumor im Kopf.« »Haben Sie mal darüber nachgedacht …« »Denken macht traurig.« »Ja. Es ist, wie es ist.«
Nur einmal unternimmt Matilda etwas Armutstourismus, flieht aber schnell vor den für sie fremdartigen, zu lebendigen Menschen mit materiellen Bedürfnissen. Ein deutscher Tourist mit Sombrero-Hut im Fahrstuhl, der sie vergewaltigen will, wird mit dem Absatz eines hochhackigen Schuhs niedergestreckt. Der kommt noch ein zweites Mal zum Einsatz. Und am Ende gibt es tatsächlich einen Toten. Wobei Matilda eine maximal unzuverlässige Perspektive auf ihre Umwelt einnimmt.
Christel Buschmanns Weise zu schreiben, in flackernden, heißen Schlaglichtern zu erzählen, zerlegt die Gegenwart in stets verpasste Momente, in vertane Chancen, sich freizumachen von der demolierten Lebensform, ein Anhängsel zu sein. Der Hunger nach Erfahrung ist eine Form der Anorexie. Ein verstörender, böser, lustiger, rasanter Roman gegen die Angsthörigkeit einer daueralarmierten Seele.
Christel Buschmann: Ein glühend heißer Nachmittag. März-Verlag, 192 S., geb., 23 €.
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