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»Sound of Vienna«: Die Nacht, die nicht enden durfte
Die wiederaufgelegten »The K&D Sessions« von Kruder & Dorfmeister erinnern an eine Zeit, in der Partys wichtiger waren als Politik
Das Erste, was auffällt, ist das Erscheinungsjahr: 1998. Man mag es nicht glauben. Diese modernen elektronischen Klänge sollen 26 Jahre alt sein? Unweigerlich beginnt man zu rechnen. Wer 1998 Musik hörte, die 26 Jahre alt war, landete im Jahr 1972. Bei Glam-Rock und Philly Soul, bei Art-Rock und Schlagern. Also bei Songs und Sounds, die ihrer Zeit verhaftet waren und bereits wenige Jahre später zum Fall für Nostalgiker wurden. Dafür sorgten die Tsunamis namens Disco und Punk.
Das Zweite, was auffällt, ist die Wirkung. Seit Bill Haleys »Rock around the clock« von 1955 galt im Königreich des Pop die Maxime: Musik muss knallen, muss aufrütteln und aufwühlen. Das haben die Sex Pistols mit Lionel Richie gemeinsam und Motörhead mit den Spice Girls. Kruder & Dorfmeister brechen diese eherne Regel. Ihr Klänge wollen das Gegenteil: Emotionsvermeidung. Bloß keine unnötige Aufregung. Erst mal runterkühlen, runterkommen.
Ein Fall von Easy Listening? Eben nicht. Die »sanften Wellen« (wie die Musik von Bert Kaempfert und Co. schon mal bezeichnet wurde) rauschen unabhängig von Ort und Tageszeit. Es macht keinen Unterschied, ob der Klangteppich tagsüber in Hotellobbys oder nachts in Cocktailbars ausgerollt wird. Nur trifft genau dieses Kriterium nicht auf die »The K&D Sessions« zu, die kürzlich als »Limited 25th Anniversary Boxset« in einer teuren Bonusedition wiederveröffentlicht wurden – im 26. Jahr nach Erscheinen.
»Eigenbrötlerische Klangtüftelei trifft auf die vampiristische Vereinnahmung internationaler Elektrogenres wie Dub, Drum’n’Bass, Trip-Hop, Acid Jazz und Techno« beschrieben Philipp Krohn und Ole Löding rückblickend diesen damals neuen Stil, der dann als »Sound of Vienna« vermarktet wurde, sehr zum Unwillen von Kruder & Dorfmeister, die dann ein Folgealbum verweigerten. Wer heute ihren Remixen am Frühstückstisch oder abends auf dem Sofa lauscht, versteht aber nicht mehr so recht die Faszination, die in den späten 90ern von diesen Klängen ausging.
Das gilt vor allem für Menschen, die ihre Nachtleben-Sozialisation noch in Diskotheken erfahren haben. »Party machen«, das bedeutete in den 70er und 80er Jahren: Man betrank sich langsam und schwitzte den Alkohol dann auf der Tanzfläche wieder heraus. Irgendwann ermatteten die Glieder. Dann ging man erschöpft nach Hause und fiel selig ins Bett.
All das änderte sich in den 90ern mit Techno. Langsam war hier gar nichts mehr. Ecstasy sorgte dafür, dass die Ekstase sofort einsetzte. Und andauerte. Die Nacht sollte gefälligst nie aufhören. Das Wochenende war zu kurz für Schlaf. Die E-Pillen machten mit Müdigkeit kurzen Prozess. Denn Techno bedeutete eben nicht nur schneller tanzen, sondern auch: schneller leben.
Wenn die Beine nach stundenlangem Hüpfmarathon erschlafften, drosselte man lediglich die Beatzahl. Daher sind Chillout-Sounds auch nicht – wie damals gern behauptet wurde – Easy Listening mit elektronischen Mitteln. Vielmehr sind sie eine ortsgebundene Funktionsmusik. Chillout dient dazu, das süchtig machende Clubfeeling so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Und niemandem gelang dies besser als Peter Kruder und Richard Dorfmeister aus Wien. Sie lieferten die passenden Klangcollagen für alle, die partout nicht nach Hause gehen wollten.
Doch irgendwann findet selbst die längste Party ihr Ende. Nach den obligatorischen Zugaben verabschiedeten sich am 11. September 2001 die feierwütigen, sorglosen 90er Jahre. Die Deckenlampen gingen an. Die Scherben der Nacht wurden zusammengekehrt. Und während man den Weg ins Morgengrauen antrat, spürte man bereits: Der Kater würde fürchterlich werden.
Kruder & Dorfmeister: »The K & D Sessions. Limited 25th Anniversary Boxset« (!K7)
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