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Sally Rooney: Was ist daran so magisch?
In Sally Rooneys neuem Roman »Intermezzo« geht es wieder um stressige Gefühle von jungen Dublinern
Woher kommt die weltweite Faszination für die Romane von Sally Rooney? Zuletzt machte sich die irische Autorin mit ihrem Israel-Boykott hierzulande unbeliebt. Ihr neuer Roman »Intermezzo« verkauft sich trotzdem gut. Wie kommt es, dass eine Autorin, die sich selbst als Marxistin bezeichnet und deren Geschichten sich ganz materialistisch um die Bedürfnisse ihrer Protagonist*innen und deren Klassenstatus drehen, so viel Erfolg hat, dass in Großbritannien sogar Buchhandlungen einige Stunden früher öffnen, wenn ein neuer Roman von ihr erscheint? Pilgern zu solchen Events vor allem in die Jahre gekommene Harry-Potter-Fans, die schon als Kinder vor Buchhandlungen nächtigten, um als Erste die neueste Geschichte aus Hogwarts in Händen zu halten?
Welche Magie hat Sally Rooney zu bieten? In ihrem vierten Roman »Intermezzo«, den die Mehrheit der hiesigen Rezensenten nicht ganz zu Unrecht als ihren bisher besten abfeiert, stehen zur Abwechslung mal zwei Männer im Zentrum der Erzählung. Zwei Dubliner Brüder verarbeiten gerade das Trauma, dass ihr Vater gestorben ist. Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein. Der 32-jährige Peter ist erfolgreicher Menschenrechtsanwalt in Dublin, ein sogenannter Frauenheld und hat sich trotz kleinbürgerlicher Herkunft in die besseren Kreise der linksliberal-akademischen Upper Middle Class hochgearbeitet.
Sein zehn Jahre jüngerer Bruder Ivan ist ein Schachgenie, der aber gerade nur mäßigen Erfolg auf Turnieren hat. Er ist stets verunsichert und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich eine Liebesbeziehung mit einer Frau zu führen. Denn natürlich geht es in »Intermezzo« dann doch um die Frauen, mit denen die beiden im Lauf dieser Geschichte ihre für einen Sally-Rooney-Roman naturgemäß konfliktreichen Beziehungen führen.
Der stets coole Peter hängt auf geradezu obsessive Weise seiner großen Ex-Liebe, der zutiefst bürgerlichen Uniprofessorin Sylvia, nach, mit der ihn eine enge Freundschaft verbindet und die an einer schweren chronischen Erkrankung leidet, die eine konventionelle, romantische Beziehung der beiden unmöglich macht. Daneben ist er mit der 22-jährigen Studentin und Hausbesetzerin Naomi liiert, die im Lauf der Geschichte von der Polizei zwangsgeräumt wird und sogar bei ihm einzieht. Sein zehn Jahre jüngerer Bruder Ivan wiederum lernt bei einem Schachturnier in der irischen Provinz die 15 Jahre ältere Margarete, Leiterin eines Kulturzentrums, kennen und beginnt mit ihr eine leidenschaftliche Liebesaffäre, die bald zu einer ernsthaften Beziehung wird.
Sally Rooneys Prosa ist nah an der Realität einer jungen urbanen Mittelschicht dran. Die komplizierten Beziehungen dieser jungen, städtischen Akademiker, die in diesem Roman zwar auch, aber in der Summe nicht ausschließlich einem linksliberalen Milieu entstammen, werden ungemein kleinteilig ausgeleuchtet. Die beiden Brüder geraten bald in heftigen Streit, vor allem wegen der Beziehung von Ivan zu einer älteren Frau. Wird der junge Ivan ausgenutzt? Muss der ältere Bruder ihn schützen oder ist das eine unangemessene, paternalistische Bevormundung? Gleichzeitig versucht Peter eher hilflos, sich zwischen den beiden Frauen in seinem Leben zu entscheiden. Dabei konsumiert er massenhaft Psychopharmaka gegen Angststörungen und schlittert zunehmend in eine fatale Abhängigkeit hinein.
Der Streit der Brüder eskaliert schließlich in einer wilden Prügelei, und letztlich sind es dann natürlich die starken Frauen, die mit Maß, Vernunft und Empathie für den nötigen Ausgleich zwischen den beiden Streithähnen sorgen. Die Männer dagegen ergeben sich ihren Affekten, lassen sich treiben und rümpfen fortwährend beleidigt die Nase.
Die Figuren in »Intermezzo« reden wie in Rooneys anderen Romanen so banal daher wie das Menschen tun, die ein ums andere Mal ihre Probleme miteinander wälzen. Als würde man am Küchentisch in einer WG sitzen und sich selbst beweihräuchernden Menschen zuhören, die fortwährend ihren Alltag reflektieren. Nur ist das bei der Lektüre überhaupt nicht langweilig. Denn Rooney versteht es, diese Atmosphäre in einer minimalistischen Prosa punktgenau, auf geradezu verstörend treffsichere Weise abzubilden. Dennoch finden ihre Geschichten ein Stück weit wie unter einer Glaskuppel statt. Alle ihre Romane, auch »Intermezzo«, sind fast ausschließlich in Dublin angesiedelt. Die Autorin erklärt in seltenen Interviews auch gerne, dass sie wenig reist. Lebensweltlich wie literarisch ist sie fest in der irischen Hauptstadt verankert. Wobei es in ihren Büchern, die immer von sozialen Barrieren, Klassenunterschieden, deren Durchlässigkeit oder scheinbarer Unüberwindbarkeit handeln, nie um Arbeitswelten geht.
Sally Rooney ist Jahrgang 1991 und seit ihrem 26. Lebensjahr eine überaus erfolgreiche Autorin, die internationale, zigfach mit Preisen ausgezeichnete Bestseller schreibt, von denen zwei schon als sehenswerte BBC-Serien verfilmt wurden. Lohnarbeit dürfte in ihrem bisherigen Leben einfach keine Rolle gespielt haben, weswegen sie darüber auch nicht schreibt. Dennoch schafft sie es, wie unter einem Brennglas die sozialen Dimensionen ihrer Figuren abzubilden. In ihren Romanen geht es auch immer wieder um familiäre Traumata und die psychische Gewalt in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Dabei gab es in der letzten Zeit um Sally Rooney, die die 2022 vom »Time Magazine« zu einer der »100 einflussreichsten Personen« weltweit gekürt wurde, heftige Debatten. Einem israelischen Verlag hatte die Erfolgsautorin die Übersetzungs- und Publikationsrechte ihres Romans »Beautiful World, Where Are You« (2021) verweigert, wegen Israels Politik gegenüber den Palästinensern. Das brachte ihr vor allem in den deutschen Feuilletons harsche Kritik ein. In ihrem neuen Roman spielen Israel oder der Nahost-Konflikt, wie auch sonst in ihren anderen Büchern, keine Rolle.
Ihr Stil ist eine faszinierend hyperrealistische Prosa mit Wiedererkennungseffekt. Damit liegt sie voll im Trend der Millennial-Literatur, die sich gern mit dem Alltag und den inneren Konflikten junger Menschen in ihren Dreißigern beschäftigt. Doch bei allem generationenspezifischem Hype steht Rooney durchaus in einer literarischen Tradition. Denn die drogenberauschten inneren Monologe des durch Dublin irrenden Peter erinnern des Öfteren an Passagen aus »Ulysses« von James Joyce, so, als wäre »Intermezzo« nebenbei auch noch ein ironisch-feministischer Meta-Text zum bisher berühmtesten Dublin-Roman. In Sally Rooneys Büchern gibt es einfach jede Menge zu entdecken.
Sally Rooney: Intermezzo. A. d. Engl. v. Zoe Beck. Claassen, 496 S., geb., 24 €.
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