Untersuchung belegt Genozid

Amnesty International zufolge begeht Israel im Gazastreifen Völkermord

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine palästinensische Frau steht inmitten der Trümmer eines Gebäudes, das bei einem israelischen Angriff auf das Viertel Schudschaiyah in Gaza-Stadt am 30. November 2024 zerstört wurde.
Eine palästinensische Frau steht inmitten der Trümmer eines Gebäudes, das bei einem israelischen Angriff auf das Viertel Schudschaiyah in Gaza-Stadt am 30. November 2024 zerstört wurde.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) beschuldigt Israel, beim Krieg im Gazastreifen einen Völkermord zu begehen. AI-Generalsekretärin Agnès Callamard forderte die Staaten bei einer Pressekonferenz auf, dagegen einzuschreiten: »Die Menschen verlangen, dass die Regierungen handeln, genug der Erklärungen.« Der israelische Staat begehe und habe Völkermord an Palästinensern im Gazastreifen begangen», sagte Callamard. Israel «hatte und hat die klare Absicht, Palästinenser im Gazastreifen auszulöschen».

Die Anschuldigung beruhe auf zahlreichen Belegen, die die Organisation in einem fast 300-seitigen Bericht zusammengetragen hat. Dafür wurden unter anderem 15 Luftangriffe im Zeitraum zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 20. April 2024 genauer untersucht, um festzustellen, ob Israel Handlungen begangen hat, die nach Artikel II (a) und (b) der Völkermordkonvention verboten sind: «Tötung von Mitgliedern der Gruppe» und «Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe».

Das israelische Außenministerium wies den Amnesty-Bericht und die darin erhobenen Vorwürfe umgehend zurück. «Die bedauernswerte und fanatische Organisation Amnesty International hat wieder einmal einen erfundenen Bericht vorgelegt, der völlig falsch ist und auf Lügen beruht», hieß es in einer Erklärung. Nicht Israels Vorgehen im Gazastreifen, sondern der Hamas-Angriff am 7. Oktober sei «völkermörderisch» gewesen. Israel verteidige nur sich selbst, und handele «in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht».

In einem ungewöhnlichen Schritt distanzierte sich auch die israelische Abteilung von Amnesty International von den Behauptungen der Dachorganisation. Amnesty Israel erklärte, nicht an der Erstellung des Berichts beteiligt gewesen zu sein. Der israelische Zweig der NGO betonte, er teile die Einschätzung nicht, dass Israel einen «Völkermord» begehe. Es würden im Gazastreifen aber offenbar «schwere Verbrechen» begangen, die untersucht werden müssten.

Die von Amnesty International untersuchten Fälle folgten dem Bericht zufolge einem Muster von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht durch das israelische Militär. «Amnesty International fand keine Beweise dafür, dass diese Angriffe auf militärische Ziele gerichtet waren», heißt es in einer Pressemitteilung. Außerdem seien Angriffe so durchgeführt worden, dass sie absehbar eine sehr hohe Zahl an Getöteten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung zur Folge hatten: Private Wohnhäuser wurden zu Zeiten angegriffen, zu denen die Menschen im Bett lagen.

Ein Sprecher der israelischen Armee sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass der Amnesty-Bericht die «operativen Realitäten» der Armee nicht berücksichtige. Die israelischen Streitkräfte ergriffen «alle möglichen Maßnahmen, um den Schaden für Zivilisten bei ihren Einsätzen zu begrenzen», sagte er, darunter Warnungen vor Angriffen oder die Erleichterung des sicheren Transports in bestimmte Gebiete.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob die von Amnesty International festgestellten völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen der israelischen Armee «in der Absicht begangen» wurden, «eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören». Dazu Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland: «Betrachtet man zusätzlich das Gesamtbild des Militäreinsatzes, den Kontext, in dem die Handlungen stattfinden, bekannte Verhaltensmuster und die kumulativen und absehbaren Folgen der israelischen Vorgehensweisen, so ist eine genozidale Absicht die einzig plausible Erklärung für die Gesamtheit israelischen Handelns.»

Der Bericht dokumentiert zudem, wie Israel für die Palästinenser im Gazastreifen vorsätzlich Lebensbedingungen geschaffen hat, «die längerfristig auf ihre Zerstörung abzielen», schreibt Amnesty International in einer Pressemitteilung. Dabei kämen drei Vorgehensweisen zur Anwendung, die sich wiederholt gegenseitig verstärkten: lebenserhaltende Infrastruktur würde beschädigt und zerstört; «pauschale, willkürliche und irreführende Evakuierungs-Befehle» für weite Teile des Landes verkündet, was zur Vertreibung «in unsichere und nicht für die Versorgung von Menschen ausgestattete Gebiete» führte; Lieferung und Bereitstellung «lebenswichtiger Dienstleistungen, humanitärer Hilfe und anderer lebensnotwendiger Güter» würden behindert oder gar verweigert.

Der Bericht beruht unter anderem auf Feldforschung an Orten von Angriffen, Gesprächen mit palästinensischen Betroffenen und Zeugen sowie medizinischem Personal. Auch wurden Satellitenaufnahmen analysiert. Amnesty sprach auch mit Vertretern von UN-Agenturen und wertete Aussagen von hochrangigen Angehörigen der israelischen Regierung und des Militärs aus. Mit Agenturen

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