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- Europarat kritisiert Budapest
Misshandlungen in ungarischen Gefängnissen
Europarat kritisiert Haftbedingungen wie von Maja T.
Ein diese Woche veröffentlichter Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (CPT)beleuchtet gravierende Missstände in der Behandlung von inhaftierten Personen in Ungarn. Das zum Europarat gehörende Komitee besuchte mit einer Delegation im Mai 2023 Zellen im Polizeigewahrsam, mehrere Gefängnisse sowie psychiatrische Einrichtungen des Landes. Im Ergebnis des nun erst fertiggestellten Berichts heißt es, dass in den Einrichtungen erhebliche Probleme bestehen.
In mehreren der besuchten und als überbelegt bezeichneten Gefängnisse gibt es dem Bericht zufolge glaubwürdige Hinweise über körperliche Misshandlungen durch das Personal. Insbesondere wurden Schläge, Tritte und Prügel mit Schlagstöcken dokumentiert, mitunter, während die Insassen gefesselt waren. Diese Misshandlungen fanden häufig in Bereichen statt, die nicht durch Überwachungskameras erfasst wurden, wie z.B. in Lagerräumen oder medizinischen Beratungsräumen. Verletzungen werden nicht wie vorgeschrieben stets durch den medizinischen Dienst des Gefängnisses dokumentiert, Beschwerden teilweise über ein Jahr lang nicht bearbeitet.
Zudem wurden gegenüber der Delegation auch glaubwürdige Behauptungen geäußert, wonach die Behörden es anderen Inhaftierten erlaubten, ihre Mithäftlinge zu misshandeln. In einigen Fällen habe das Personal hierzu sogar entsprechende Anweisungen gegeben. Viele Insassen, insbesondere Untersuchungshäftlinge und Hochsicherheitsgefangene, haben laut dem CPT keinen Zugang zu Arbeit oder Bildungsangeboten. Die Delegation berichtete auch von hohen Kosten für die tägliche Verpflegung der Insassen.
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Der Bericht ist auch für die in Budapest inhaftierte Transgender-Person Maja T. von Bedeutung. Ihr wird vorgeworfen, im Februar 2023 an Angriffen auf Neonazis in Budapest teilgenommen zu haben, die sich anlässlich eines rechtsextremen Gedenkmarsches, des sogenannten »Tags der Ehre«, versammelt hatten. Ungarische Behörden beschuldigen Maja T., bei diesen Auseinandersetzungen Gewalt angewendet zu haben. Ihre Auslieferung erfolgte nach einem EU-Haftbefehl aus Ungarn in einer Blitzaktion durch die sächsische Polizei, die dabei eine gleichzeitig erfolgreiche Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegenstandslos werden ließ.
Laut dem CPT-Bericht erhielt das Anti-Folter-Komitee mehrere Berichte über diskriminierende und erniedrigende Behandlungen von Transgender-Personen, insbesondere während der Befragungen durch die Polizei. Demnach wurden glaubwürdige Vorwürfe über verbalen Missbrauch und herabwürdigende Bemerkungen gegenüber Transgender dokumentiert.
In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum Fall Maja T. hat sich auch der neue EU-Justizkommissar Didier Reynders zur Rechtsstaatlichkeit in Ungarn geäußert – allerdings wie gewohnt ausweichend und unkritisch. Die linken Europaabgeordneten Ilaria Salis (die selbst im Budapest-Komplex wegen angeblicher Taten beim »Tag der Ehre« vor Gericht stehen soll) und Martin Schirdewan hatten die Anwendung des Europäischen Haftbefehls in Deutschland und die Blitzauslieferung von Maja T. beanstandet.
Reynders stellte klar, dass der EU-Haftbefehl, der zwar auf einem EU-Rahmenbeschluss beruht, ein Verfahren zwischen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten sei, bei dem weder die Kommission noch nationale Regierungen Einfluss nehmen könnten. Die Mitgliedstaaten seien jedoch verpflichtet, wenn erforderlich, Zusicherungen für angemessene Haftbedingungen einzuholen. Die Frage, ob dies bei der Transgender-Person Maja T. der Fall war, beantwortet Reynders nicht. Das Berliner Kammergericht will eine solche Zusicherung nach eigener Aussage erhalten haben. Dem nun vorgelegten CPT-Bericht zufolge ist diese allerdings wertlos.
Auch wenn Reynders die konkrete Anwendung des EU-Haftbefehls im Fall Maja T. nicht kommentieren will, ist er aber zuständig, die korrekte Umsetzung des zugrundeliegenden Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten zu überwachen, und bei Verstößen Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Grund dazu gibt es offenbar: Am 18. Februar 2021 hatte die Kommission bereits ein solches Verfahren wegen der Nicht- beziehungsweise fehlerhaften Umsetzung des Rahmenbeschlusses gegen Deutschland eingeleitet.
Die Bundesregierung hat dazu wie gefordert Stellung genommen. Aber erst drei Jahre später, am 13. März 2024, hat die Kommission zwei der bereits im ersten Mahnschreiben gegenständlichen Vorwürfe präzisiert. Um welche es sich dabei handelt, bleibt offen; eine Frage dazu beantwortet das Bundesjustizministerium »aufgrund der Vertraulichkeit der Kommunikation in einem laufenden Verfahren« nicht, sagte ein Sprecher zu »nd«.
Man wolle jedoch den Bedenken der Kommission durch eine Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Rechnung tragen, so das Justizministerium. Ein Entwurf werde im Bundesjustizministerium erarbeitet, hieß es im Sommer; einer der Kernpunkte war, dass Betroffene gegen Auslieferungsentscheidungen wie etwa nach Ungarn Rechtsmittel einlegen können.
Das Justizministerium stehe zu dem Gesetzentwurf nach eigener Auskunft »in inhaltlichem Austausch mit der Kommission«, so der Sprecher am Montag. Das ist aber eine Nebelkerze, denn wegen des Ampel-Aus kann eine solche Gesetzesänderung auch nach einem Kabinettsbeschluss in der gegenwärtigen Legislatur wohl nicht mehr beschlossen werden.
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