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Irena Rudolph-Kokot: Von Asylpolitik in die Flucht getrieben

Warum die einstige Stadtchefin und linke Aktivistin Irena Rudolph-Kokot die Partei verließ

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Zweimal ist Irena Rudolph-Kokot in Leipzig für die SPD zur Landtagswahl angetreten. Ein drittes Mal wird es nicht geben.
Zweimal ist Irena Rudolph-Kokot in Leipzig für die SPD zur Landtagswahl angetreten. Ein drittes Mal wird es nicht geben.

Nein, sie ist nicht wieder eingetreten. Als Irena Rudolph-Kokot unlängst nach 13 Jahren Mitgliedschaft die SPD verließ, begründete sie das damit, dass die sächsische Landespartei mit dem BSW die Chancen für eine gemeinsame Regierung sondieren wollte. Der Versuch scheiterte; am Mittwoch stellten SPD und CDU Pläne für eine Minderheitsregierung vor. An Rudolph-Kokots Entscheidung ändert das nichts: »Das Papier mit dem BSW war der letzte Tropfen, aber die Entfremdung reicht tiefer.«

Rudolph-Kokot war ein bekanntes Gesicht der sächsischen SPD. Zwar schaffte sie es nie in den Landtag; auch der Weg in den Leipziger Stadtrat blieb ihr verwehrt, weil sie als Beschäftigte eines städtischen Eigenbetriebs laut Gesetz nicht kandidieren darf. Von 2021 bis 2023 war sie aber Stadtchefin der Partei. Zudem gehört die Frau mit der auffälligen Zopffrisur zu den Köpfen des Bündnisses »Leipzig nimmt Platz« und ist bei jeder Leipziger Antifa-Demo präsent.

In die SPD kam Rudolph-Kokot aus einem kurios anmutenden Grund. Sie hatte als »Aufstockerin« erlebt, wie schwer es ist, von knappen Sozialleistungen leben zu müssen, und wie erniedrigend die damit verbundene Bürokratie ist. Dass sie mit diesen Motiven 2011 ausgerechnet bei der SPD landete, die gerade die Agenda 2010 und Hartz IV durchgedrückt hatte, mutet widersinnig an. Rudolph-Kokot sagt, sie habe das System quasi von innen verändern wollen: »Die Partei, die den Quatsch eingerührt hat, sollte ihn auch wieder auslöffeln.«

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Zudem empfand sie die Partei als ehrliche Interessenvertreterin von Beschäftigten und sei von deren Arbeitnehmerorganisation AFA unterstützt worden, als sie sich mit ihren Kollegen des Städtischen Eigenbetriebs Behindertenhilfe (SEB) 2011 gegen die drohende Privatisierung wehrte. Die Nähe zu gewerkschaftlichen Positionen hielt sie auch in Zeiten beginnender Entfremdung noch in der SPD, sagt Rudolph-Kokot, die den Personalrat des 850 Mitarbeiter zählenden SEB leitet und in deren Büro eine Streikweste vom ehrenamtlichen Engagement bei Verdi kündet. Auch die Arbeit in der AG Migration und Vielfalt in der SPD, deren Bundesvize sie war, empfand sie als befriedigend. »In den Jahren nach 2015 konnten wir in der Großen Koalition richtig viel erreichen«, sagt Rudolph-Kokot, die eine russische Mutter hat und bis 1989 teils in Moskau aufwuchs.

Gerade im Bereich Migration aber vollziehe die deutsche Politik derzeit eine Rolle rückwärts. Sie habe sich »nie vorstellen können«, dass eine selbst ernannte »Fortschrittskoalition« unter SPD-Führung die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte oder den Arbeitszwang für Flüchtlinge propagiert, sagt Rudolph-Kokot. Auch in Sachsen trägt die Partei Verschärfungen beim Thema Asyl mit. Im Koalitionspapier heißt es, man wolle »irreguläre Migration wirksam begrenzen«. Rudolph-Kokot hat den Eindruck, dass auch die SPD »rechten Narrativen hinterherrennt«, was sie nicht mehr habe mittragen wollen.

In ihrer Austrittserklärung bedauerte Rudolph-Kokot zudem, dass es »die einstige Friedenspartei SPD fast nicht mehr gibt«. Das klingt nach einem übertrieben harten Vorwurf angesichts der Tatsache, dass SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz regelmäßig eher für eine angeblich zu halbherzige Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression kritisiert wird. Rudolph-Kokot verweist dagegen auf den Begriff »Kriegstüchtigkeit«, wie ihn SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius verwendet: »Derzeit ist eine Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt.« Als Zeichen dagegen brachte sie auf ihren Plakaten als Direktkandidatin zur Landtagswahl Aufkleber mit dem kyrillischen Wort »Mir« (»Frieden«) an.

»Die Partei, die den Quatsch eingerührt hatte, sollte ihn auch wieder auslöffeln müssen.«

Irena Rudolph-Kokot über SPD und Hartz IV

Das sorgte für Spekulationen, sie könne zum BSW wechseln. Deren friedenspolitische Thesen seien ihr aber »zu platt«, sagt Rudolph-Kokot: »Die denken, sie schicken eine Friedenstaube los und das Problem ist gelöst.« Zudem fehle beim BSW jede Kritik am System Putin. Die Wagenknecht-Partei wie auch die AfD »missbrauchen die verbreitete Friedenssehnsucht der Menschen«, und andere Parteien »schaffen es nicht, Antworten darauf zu finden«, sagt sie.

Unzufrieden mit der SPD war sie auch bei anderen Themen, dem Bürgergeld etwa oder, in Sachsen, der Zustimmung zu neuen Versammlungs- und Polizeigesetzen – letzteres, obwohl die von einem SPD-Parteitag geforderte Kennzeichnungspflicht nicht enthalten war. Da komme ein Kernproblem der seit 2014 im Freistaat mitregierenden Partei zum Ausdruck: »Man denkt den Kompromiss stets schon mit und schwächt so die eigene Verhandlungsposition.« So wüssten die Wähler immer weniger, was sie bekommen, wenn sie der SPD die Stimme geben.

Die sächsische SPD-Spitze sieht sich als soziales Korrektiv in der Landesregierung; zudem will man die AfD von der Macht fernhalten. Rudolph-Kokot fragt, »wie lange dieser Kern noch für mehr als fünf Prozent reicht«. In zehn Regierungsjahren fiel die Partei im Land von 12,4 auf 7,3 Prozent. Die Mitgliederzahl, im Wahljahr 2019 zeitweise bei fast 5000, liegt heute wie 2014 bei gut 4500. Sie sei, sagt Rudolph-Kokot, »nicht die Einzige, die gegangen ist«.

Hört man sich in der SPD nach Reaktionen auf ihren Austritt um, wird Bedauern geäußert, aber auch eine Kränkung unterstellt angesichts eines Platzes auf der Landesliste, der keine Chance auf ein Landtagsmandat bot und den Rudolph-Kokot freiwillig preisgab. Wenn dieser Tage die Parteibasis per Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag abstimmt, gehört sie nicht mehr dazu. Trauer verspürt sie nicht: »Ich habe gut abgeschlossen.« Rudolph-Kokot will bei Verdi aktiv bleiben, bei »Leipzig nimmt Platz«, im Leipziger Kulturzentrum Werk 2: »Ich habe genug zu tun, auch ohne SPD.«

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