VW-Betriebsrat: »Was anderes bauen als Autos«

Betriebsrat Lars Hirsekorn kämpft für die Rechte der VW-Beschäftigten und für die Verkehrswende

Krise in der Autobranche – VW-Betriebsrat: »Was anderes bauen als Autos«

Wie sind Sie zu VW gekommen?

Ich habe bei Volkswagen angefangen, weil ich einen Hauptschulabschluss habe und mir gesagt habe, ich muss von irgendwas leben. Ich war Teil der damals in Braunschweig relativ zur Einwohnerzahl recht großen Antifa- und Hausbesetzerbewegung. Die bestand anders als in vielen anderen Städten nicht rein aus Abiturient*innen. Ich habe vorher mal hier und da gejobbt. Da habe ich mir gesagt, na gut, bei VW kriegste wenigstens noch halbwegs Geld für die beschissene Arbeit. Nicht umsonst sind die Löhne in der Automobilindustrie so hoch.

War es damals schwer, bei VW eine Stelle zu finden?

In den 80er Jahren hat Volkswagen wirklich noch die Tore weit aufgemacht. Wer vorbeigegangen ist und nicht schnell genug »nein« gesagt hat, wurde reingesteckt ins Werk. Denn da wollte niemand arbeiten. Und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken an den Bändern sind teilweise nach wie vor schlecht. Das vergessen die Leute oft. Die vielen Nachtschichten, die Wochenendarbeit, der Lärm, Dreck, Hitze und Kälte. Von denen, die über uns lästern, will das mindestens die Hälfte nicht machen.

Müsste man heute nicht propagieren, alle Klimaaktivist*innen sollen in der Autoindustrie anfangen und dort die Verkehrswende durchsetzen?

Mit Sicherheit werden dort harte Kämpfe stattfinden. Das halte ich für sehr, sehr realistisch. Und ich freue mich über alle, die da sind und mitdiskutieren. Gleichzeitig diskutieren wir in Deutschland über die Frage: Was ist denn vernünftige Mobilität? Und wir haben das Staatsunternehmen Deutsche Bahn, das vernünftige Mobilität bieten könnte, und wir schauen zu, wie es völlig ruiniert wird.

Hatte die zweijährige außerbetriebliche Kampagne für eine Verkehrswende in Wolfsburg, die von Klimaaktivist*innen ausgegangen ist, Auswirkungen auf die Belegschaft bei VW?

Interview

Lars Hirsekorn, Jahrgang 1972, ist seit 1994 VW-Arbeiter in Braunschweig und seit 2022 Mitglied des dortigen Betriebsrats. Er unterstützt die Initiative »VW heißt Verkehrswende«, die sich dafür einsetzt, dass bei VW künftig Bahnen statt Autos produziert werden.

Die Diskussion hat nicht ganz so viel bewirkt, weil sich große Teile der IG Metall nach wie vor im Prinzip darüber ausschweigen und Alternativen zum Auto kaum diskutiert werden. Trotzdem bemerkt man in der Belegschaft immer wieder, dass die Idee »Wir können was anderes bauen als Autos« hängen geblieben ist.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Umweltaktivist*innen?

Für mich war es wirklich sehr angenehm. Ich bin mir bewusst, dass ich in vielen Dingen anders lebe als sie. Aber es gab diesbezüglich nie Kritik oder Belehrungsversuche. Alle wurden so genommen wie sie sind. Sie machen sich auch keine Illusionen über ein richtiges Leben in der falschen Welt. Natürlich versuchen sie so zu leben, wie sie es für richtig halten, aber wo es keinen Bus gibt, lässt es sich auch Auto fahren. Ich glaube übrigens nicht, dass sie mit der Bezeichnung Umweltaktivist*innen zufrieden wären. Für die meisten geht es um mehr. Aktivist*innen für eine andere Welt wäre wohl passender.

Gab es bei Ihren Kolleg*innen Vorbehalte gegen die Aktivist*innen, weil sie nie bei VW gearbeitet haben?

Sicher, solche blöden Sprüche gab es immer mal wieder. Wer sich tatsächlich mit ihnen unterhalten hat, hat schnell gemerkt, dass die nicht falsch sind. Am deutlichsten wurde das bei einem Seminar. Da stand am Montag fest, dass am Freitag jemand von Fridays for Future kommt. Das gab die ganze Woche Genörgel, der könne zu Hause bleiben. Aber als er am Freitag mit den Kolleg*innen diskutiert hat, waren alle hinterher erstaunt, dass das doch tatsächlich ein schlauer und taffer Kerl ist. Aber im Großen und Ganzen bleibt die Skepsis, wie eine Welt mit weniger Autos aussehen soll und was »wir« dann produzieren. Das ist das größte Hindernis.

Was ist bei den Kolleg*innen von der Diskussion zur Verkehrswende hängen geblieben?

Ich mache Seminare mit Vertrauensleuten und auch mit »normalen« Gewerkschaftsmitgliedern, auch zum Thema Klima, Auto, Umwelt. Da kommen immer wieder Leute in die Seminare, die sagen: »Ja, wir können auch Straßenbahnen bauen.« Das ganze Konzept ist schon hängen geblieben und ist auch so weit in der Region verankert, dass es diskutierbar ist und das ist schon wirklich unglaublich viel wert.

Es gibt auch Versuche rechter Kreise, bei Beschäftigten in der Autoindustrie Einfluss zu nehmen. Ich nenne als Beispiel nur den als Gewerkschaft auftretenden Verein »Zentrum Automobil«. Konnten Sie solche Bestrebungen auch bei VW beobachten?

Sicher, die Faschisten sind auch in Braunschweig aktiv. Tatsächlich kriegen sie aber kaum ein Bein an den Boden. Ihre ganze Argumentation beruht ja im Normalfall auf: »Wir sind gegen die roten Bonzen«. Ihre Positionen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Privatisierung des Gesundheitswesens, keine Streiks, Betriebsführerschaft usw. kommen bei den Kolleg*innen nicht besonders gut an. Aber insgesamt argumentiert natürlich auch die Gewerkschaft oftmals nur moralisch gegen das rechte Gesindel. Es wird zu wenig auf die Klassenfrage argumentiert. So kommt es schon vor, dass jemand glaubt, er könne stolzes IG-Metall-Mitglied sein und Sonntag die Faschisten wählen.

Sind Sie persönlich von Kolleg*innen schon angefeindet worden, weil Sie für eine Verkehrswende eintreten?

Angefeindet nicht, kritisiert ja. Natürlich gibt es eine Reihe von Leuten, deren Weltbild ich mit Füßen trete, wenn ich sage, ihren Mega-SUV halte ich für eine Schwanzverlängerung. Da ich aber auch zu diesen Leuten stehe, wenn sie das Unternehmen wegen einer Krankheit zu einer Abfindung drängt, hören sie sich meine Argumente zumindest an.

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Fühlen Sie sich von den Umweltgruppen genügend unterstützt?

Ich höre im Augenblick von den großen Umweltorganisationen eigentlich nichts. Greenpeace hat die Autoschlüssel auf die Zugspitze entführt und gefordert, dass noch mehr Elektroautos gebaut werden sollen. Das halte ich nicht für sinnvoll. Aber selbstverständlich würde ich mir von den NGOs jetzt eine Unterstützung der Belegschaft wünschen. Eine Auslastung der Werke bekommen wir hoffentlich nur mit neuen und anderen Produkten hin. Da wünschte ich mir die inhaltliche Unterstützung von ADFC, BUND, Nabu und allen anderen. Wirklich vor Ort sind bisher nur die Aktivist*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, die schon die letzten zwei Jahre bei uns waren.

Eine Konversion der Produktion von Autos zu Straßenbahnen funktioniert nur bei einer Zusammenarbeit von Hand- und Kopfarbeiter*innen. Wie sieht es damit bei VW aus?

Wir haben bei den Techniker*innen Vertrauensleute, die gut arbeiten und über Teamkonferenzen auch Einfluss auf ihre Kolleg*innen haben. Aber dass seit Corona Homeoffice eingeführt wurde, hat unglaublich viel kaputt gemacht, weil nur die Kolleg*innen der Fertigung in der Fabrik waren. Die anderen sind nur selten reinkommen und haben ganz viel von zu Hause gemacht. Das bedeutete einen großen Verlust an gewerkschaftlichen Kontakten in die Angestelltenbereiche, also bei der Kopfarbeit.

Müsste das Verkehrskonzept nicht angesichts der Krise bei VW und den drohenden Entlassungen auf offene Ohren bei den Kolleg*innen stoßen, denen es um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze geht?

Die Betriebsratsführung und auch viele in der Belegschaft und der IG Metall möchten wieder einen Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag haben, wo irgendwo steht: »Wenn ihr den wieder kündigt, dann wird es aber teuer!« Wir versuchen hingegen das Thema Konversion und die Herstellung neuer Produkte in die Diskussion in den Betrieben zu tragen. Aber die Umsetzung ist eine Frage der Kräfteverhältnisse.

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