Als Scheich zum Karneval

Aus der Reihe Vater-Sohn-Romane, diesmal »Schuld war mein Hobby« von Hans-Christian Dany

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Vorgaukeln der heilen Welt: Autofreier Sonntag nach dem »Ölpreisschock« 1973
Vorgaukeln der heilen Welt: Autofreier Sonntag nach dem »Ölpreisschock« 1973

Früher hieß es: Wer nichts wird, wird Chef. Der in Hamburg aufgewachsene und lebende Autor Hans-Christian Dany wurde einer und hat das aufgeschrieben. Damit man das besser versteht, geht es dabei erstmal um einen anderen Chef, es ist sein Vater. Der machte mit seiner großen Baufirma Konkurs, als Folge des »Ölpreisschocks« 1973 und von Misswirtschaft und dem guten alten Leben im Überschwang, als gäbe es kein Morgen, kurz: dem Vorgaukeln von heiler Welt.

Dany hat in der Edition Nautilus in loser Folge essayistische Bücher über Bomberjacken, Amphetamin und die flegelhaften Mechanismen der Kontrollgesellschaft veröffentlicht. Jetzt erschien im Verlag »Schuld war mein Hobby – Bilanz einer Familie«. Verallgemeinernd ausgedrückt geht es um Schuld und Schulden und wie das möglicherweise zusammenpasst. Diese »Flugschrift« ist ein Auftragswerk. Ein Düsseldorfer Galerist beauftragte Dany, zwölf Texte à 500 Euro zu verfassen, um sie online zu veröffentlichen, Thema und Umfang waren egal.

So entstand ein Flickenteppich aus autobiografischen Überlegungen, die zunächst überwiegend chronologisch, später sprunghaft präsentiert werden, gespickt mit Anekdoten aller Art. Wie viel Fiktion und/oder Flunkerei dabei eine Rolle spielen, ist schwer zu sagen; ein bisschen Spaßguerilla dürfte sich eingeschlichen haben.

Dany nimmt uns mit auf eine Reise durch die alte Post-Wirtschaftswunder-BRD. Wer wie er Jahrgang 1966 ist (beispielsweise ich), der oder die findet die Fakten und die historischen Daten, die ihm dabei als roter Faden dienen, interessant. Das Dany die 1966er aber beinahe zur »Generation« hochstilisiert, ist nicht nur gewagt, sondern Unfug (auch wenn es sich freilich um einen sehr erlesenen Jahrgang handelt). Ich erinnere mich, wie 1973 nach dem »Ölpreisschock« für kurze Zeit »autofreie Sonntage« eingeführt wurden. Bei uns daheim wurde der Pullover zum Kult erklärt. Mein Vater kontrollierte täglich, dass die Temperatur im Kinderzimmer ja nicht über 18 Grad kletterte. Danys Vater wurde angeblich von der Baader-Meinhof-Bande bedroht. Da ging es bei uns ruhiger zu. Unmut kam aber auf, wenn ich regelmäßig die Worte »Tourist« und »Terrorist« verwechselte (genau wie »Kirche« und »Kirsche«). Danys Oma rauchte 80 Kippen am Tag, mein Opa, aus einem ganz anderen Milieu, ebenso. Wenn Danys Großeltern in den »Vier Jahreszeiten« residierten, war in der Handtasche der Oma eine Lady Gun von Cartier: »Die einschüssige Pistole passte perfekt zu den silbernen Schüsselchen, in denen man dort die Finger nach den Austern reinigt.«

Dany kommt aus einer Tiefbau-Dynastie (mehr als 1500 Angestellte). Als die »Ölkrise« war, ging er als Scheich zum Karneval. Ich verkleidete mich als Hippie, da musste man nicht viel machen. Lange Haare hatte ich keine, kaputte Klamotten fanden sich. Wir feierten in der Badewanne, Sozialwohnung, bei den Nachbarskindern, aber ohne Wasser, war zu teuer. Dany lernte, wie man Froschschenkel filetiert und Austern isst, mein Vater schleppte Schildkrötensuppe (damals noch legal) palettenweise aus dem Aldi. Mir war die zu bitter. Nein, 1966 war keine Generation. Ich fühlte mich auch nie als Napoleon. Laut Dany hieß das 1975, das man ein »Problemkind« sei.

Geld bringt Geld, noch so eine alte Weisheit. Dany lernte als 10jähriger halbseiden Buchführung und vertickte Munitionskisten als »Möbel« in der Schule. Er spielte Fußball auf dem »Friedhof für Industrieschlamm«, wir kickten auf der Müllkippe oben am Rübenacker, hauptsächlich, weil es verboten war. Dany war von Sid Vicious, dem Borderline-Bassisten der Sex Pistols mit Hakenkreuz-T-Shirt, fasziniert: »Sid, der sich als möglicher Nazi vorführte, wirkte ehrlich, während die Lehrer logen.« Irgendwie wie heute. So einfach geht Leben? Danys These lautet: »Nein zu sagen und nichts zu werden, schien mal eine Möglichkeit. (…) Mit den Jahren wurde das Nein komplizierter.«

Bei ihm springen »Drittes Reich« und die 80er hin und her. Aber Brokdorf, Wackersdorf, Häuserkampf? Gibt es nicht. Stellen Sie sich ein Tennis-Match in Flushing Meadows vor: links-rechts, rechts-links. Damals tönte es in Norddeutschland, wo auch ich lebte, allerorten: »Besatzer raus!« Die Bands, die das sangen, trugen bald schon mehrheitlich keine Haare mehr. Dany indes kämpfte noch immer halbbeflissen mit der Mao-Bibel, die er auf dem Dachboden seines Baulöwenerzeugers gefunden hatte. Er versteht immer weniger und wird nicht mehr verstanden. Seine Eltern drohen, ihn ins Internat zu stecken, ins schöne Salem im Schwabenländle. Ist aber zu teuer. Dann stirbt Uwe Barschel, der Arbeitgeber seines Patenonkels. Für mich war damals, 1988, der Tod von Franz-Josef Strauß kriegsentscheidender, weil den Westlinken ihr Feindbild wegbrach, weshalb sie auch die Wende/Annexion der DDR/Wiedervereinigung völlig verpennten.

Von Dany erfahren wir, das ihm selbst für Drogenhandel der Ehrgeiz fehlte. Die Gefühlskälte der Eltern erklärt er verharmlosend damit, dass diese Kriegskinder gewesen seien. Nebenbei streut Dany in seinen Anekdoten-Cocktail immer wieder den Zerfall seiner Familie ein. Selbstmord des Bruders 2021 nach langer Phobie, was wie der Konkurs der Firma in seiner Familie als eine Form von »Ehrverlust« empfunden wird. Drei Jahre vorher war der Vater gestorben. Ist das ein Sittenbild für das Leben in einem maladen Land der Nachkriegsgeschichte? Nein, es ist eine kaputte Familie, eine unter vielen, die dem schnöden Mammon auf den Leim gegangen ist – freiwillig.

Dann taucht noch der »eitle Streber« Rainald Goetz auf (und wieder unter). Mutmaßungen über den Neoliberalismus werden feilgeboten, Thatcher und Kohl trällern schmutzige Lieder. Hermann Göring und Roland Freisler seien in der Ferienpension von Danys Urgroßtante auf Sylt oft zu Gast gewesen, schreibt Dany. Er outet sich als Billiges-Geld-Versteher und Christian-Kracht-Verehrer. Vor allem gefällt ihm der Reisende in Krachts Dekadenzroman »Faserland« (1995), wenn er sagt: »Halt’s Maul, du SPD-Nazi!« Das hätte er bei mir, als ich 15 war, live haben können, ganz ohne den Axel-Springer-Hintergrund von Krachts Familie. Merke: Man kann sich Dekadenz nicht aneignen, man ist Teil davon.

Aber dann … bricht die Nacht an für Hans-Christian Dany. Der Normverweigerer und Renegat der wohlhabenden Zunft übernimmt freiwillig den millionenverschuldeten Betrieb des Vaters, überschreitet die Grenze des alles verneinenden Dämmerungsgeschöpfes zum freiwilligen Unternehmer und ist endlich im Kapitalismus angekommen. Als »Minusmillionär« und »Frühstücksdirektor« wird er überall hofiert. Am Ende ist seine Story nicht kugelrund, aber für grüne Austern vor getrüffelten Rebhühnern, nebst 50 Euro Trinkgeld, bleibt Zeit. Jetzt fühlt sich der Snob nicht mehr schuldig, nur noch überfordert. Der Versuch, im Spielcasino alles durchzubringen, scheitert. »Irgendwann würde die ganze Wohnung vor lauter Geld überquellen. Ich bekam Platzangst und dachte, die Scheine müssen weg.« Ohne Schulden aber ist Dany für die deutsche Finanzwirtschaft wertlos geworden. Ein Traum.

Es gibt sogar noch etwas, das uns, als 1966er, verbindet: »Obwohl ich die letzte Rate des Honorars erhalten hatte, schrieb ich weiter, als ob nichts geschehen sei. Ich tat es, wie ich rauche, und kippte gelegentlich den Aschenbecher aus.«

Hans-Christian Dany: Schuld war mein Hobby – Bilanz einer Familie. Edition Nautilus, 128 S., br., 18 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.