Breite Front stürzt Premier Barnier in Frankreich

Frankreichs heterogene Linke uneins über weitere Konfrontation mit Präsident Macron

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Misstrauisch: Der französische Premierminister Michel Barnier nach dem Votum gegen ihn.
Misstrauisch: Der französische Premierminister Michel Barnier nach dem Votum gegen ihn.

Das Ergebnis ist überdeutlich: Für den von der linken Volksfront eingebrachten und von der extremen Rechten unterstützten Misstrauensantrag gegen die Mitte-rechts-Regierung von Michel Barnier haben 331 Abgeordnete gestimmt. Für die Annahme des Antrags hätten 288 gereicht. Mit nur 90 Tagen im Amt hat Barnier damit einen Negativ-Rekord in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik aufgestellt, in der es außerdem nur noch 1962 einen zweiten Sturz einer Regierung per Misstrauensantrag gegeben hat.

Michel Barnier hat am Donnerstagvormittag Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt und den seiner Regierung angeboten, den dieser dem Gesetz entsprechend annehmen musste. In diesem Zusammenhang wurde für Donnerstagabend eine Fernsehansprache des Präsidenten angekündigt. Insiderinformationen zufolge ist Macron höchst verärgert über das »willkürlich angerichtete politische Chaos«, das Frankreichs Position auf dem internationalen Parkett und seiner Wirtschaft auf den Finanzmärkten schadet. Der innenpolitische Streit um einen von Brüssel angemahnten Sparhaushalt angesichts der Staatsverschuldung von mehr als drei Billionen Euro sei verheerend. Nichts sei heute wichtiger als Stabilität.

Frankreich ohne stabile Mehrheiten

Der Präsident wird diesmal nicht wieder Wochen bis zur Ernennung eines neuen Regierungschefs verstreichen lassen, sondern schon in den nächsten Tagen seine Entscheidung fällen. Favoriten sind den Medien zufolge Sébastien Lecornu und Bruno Retailleau, die in der Regierung Barnier Verteidigungs- beziehungsweise Innenminister waren, ferner der erfahrene und anerkannte Zentrumspolitiker Francois Bayrou und schließlich Bernard Cazeneuve, der unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande Minister und Regierungschef war.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

In der Parlamentsdebatte über den Misstrauensantrag haben Redner der verschiedenen rechten und Zentrumsparteien bis zuletzt an die Sozialisten (PS) appelliert, sich nicht länger durch das radikale Bündnis La France insoumise (LFI) manipulieren zu lassen und nicht mehr deren Konfrontationskurs mitzutragen. Wenn sich nur ein Teil der sozialistischen Abgeordneten der Stimmen enthalten hätten, wäre der Misstrauensantrag gescheitert. Doch beim Votum hat keiner von ihnen gefehlt. Allerdings haben die Appelle wohl Spuren hinterlassen. Für die nächste Periode mit einem neuen Premier und einer neuen Regierung schlägt der PS-Vorsitzende Olivier Faure vor, die linke Volksfront sollte mit den verschiedenen rechten und Zentrumsparteien – mit Ausnahme des rechtsextremen Rassemblement National – verhandeln. Das Ziel: Eine Art »Nichtangriffspakt« zu schließen, um im Interesse der Stabilität des Landes in Sachfragen zu Kompromissen zu gelangen und auf den Einsatz des Ausnahmeparagrafen 49.3 zu verzichten.

La France insoumise bleibt unbeugsam

Das linke Bündnis La France insoumise setzt dagegen weiter auf Konfrontation. Nach wie vor fordern Jean-Luc Mélenchon und die anderen führenden LFI-Politiker, dass Präsident Emmanuel Macron angesichts der Stimmenmehrheit der Volksfront-Parteien bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Juli die von ihnen nominierte Lucie Castets als Premierminister ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen soll. Gegen jeden anderen Premier werde LFI wieder einen Misstrauensantrag einbringen. »Um aus der Sackgasse zu kommen, (…) fordern wir, dass Macron geht«, sagte die LFI-Abgeordnete Mathilde Panot kurz nach der Abstimmung. »Auch wenn es alle drei Monate einen neuen Barnier gibt, wird Macron keine drei Jahre mehr durchhalten«, erklärte LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon mit Blick auf die 2027 anstehende Präsidentschaftswahl. Doch wenn sich Mélenchon selbst Chancen auf den Einzug ins Élysée ausrechnet, dürfte er sich gewaltig irren. Übereinstimmenden Einschätzungen von Medien, Politikexperten und anderen Beobachtern zufolge würden vorgezogene Präsidentschaftswahlen Marine Le Pen an die Staatsspitze hieven.

Auch Marine Le Pen ist überzeugt, dass Macron schuld an der gegenwärtigen Situation ist, aber seinen Rücktritt fordert sie nicht. Sie kündigt sogar an, der neuen Regierung eine gewisse »Schonfrist« einzuräumen und gemeinsam mit allen interessierten Parteien zügig an einem neuen Haushalt für 2025 zu arbeiten, der für alle akzeptabel wäre.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.