Fliegende Scharfschützen

Israel nutzt in Gaza schießende Quadrokopter – es ist der erste bekannte Einsatz der Technik in einem Krieg

Die von Duke Robotics und Elbit entwickelte Drohne »Tikad« kann bis zu zehn Kilogramm schwere Waffen tragen.
Die von Duke Robotics und Elbit entwickelte Drohne »Tikad« kann bis zu zehn Kilogramm schwere Waffen tragen.

Seitdem senkrechtstartende Quadrokopter vor rund 20 Jahren Einzug bei zivilen und militärischen Sicherheitsbehörden hielten, gibt es die Idee, sie auch mit Pistolen oder sogar automatischen Gewehren auszurüsten und ferngesteuert das Feuer zu eröffnen. Lange Zeit war dies technisch nicht umsetzbar: Wegen des starken Rückstoßes konnten die Waffen ihre Opfer nicht genau ins Ziel nehmen. Auch der zeitliche Versatz bei der Übertragung von Videoaufnahmen oder dem Schießbefehl ist ein Problem, wenn diese Daten per Satellit übertragen werden. Mit der Perfektionierung von Quadrokoptern, aber auch mithilfe künstlicher Intelligenz können die Systeme diese Hindernisse nun beheben.

Bekannt ist die Einführung von Scharfschützendrohnen oder schießenden Quadrokoptern bereits vom Militär in der Türkei, allerdings ist das Gerät noch nicht im Einsatz dokumentiert worden. Mehrere andere Anbieter experimentieren mit der Technik; so hat etwa der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer zwei mit Pistolen ausgestattete Quadrokopter auf einer Messe präsentiert. Inzwischen kann aber als belegt gelten, dass Israels Militär die neuartigen Waffen im Gaza-Krieg einsetzt.

Einer der ersten Berichte dazu stammte im Februar von der Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor. Demnach schossen am 11. Januar israelische Quadrokopter auf Palästinenser*innen, die sich versammelt hatten, um Mehl von UN-Lastwagen zu erhalten. Dabei sollen 50 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden sein. In welcher Zahl die Menschen aber tatsächlich durch die Quadrokopter oder aber andere Waffen starben, lässt sich nicht recherchieren. Euro-Med dokumentierte jedoch weitere derartige Angriffe auf Zivilist*innen, darunter am 12. Februar in einem Flüchtlingslager in Rafah, bei dem zwei Geschwister im Alter von 19 und 17 Jahren ums Leben kamen.

Immer mehr Augenzeugenberichte

Mittlerweile haben viele weitere Medien über derartige Einsätze berichtet und lassen Augenzeugen zu Wort kommen. Dem US-Magazin »NPR« erzählt etwa Fatma Daama aus Jabalia von der ständigen Bedrohung: »Wenn ich zur Tür gehe, um besseren Handyempfang zu bekommen, beginnt der Quadrokopter, auf mich zu schießen, und ich muss wieder hereinkommen«. So zitiert auch das deutsche Magazin »Quantara«. Ebenfalls gegenüber »NPR« erklärt Adeeb Shaqfa, wie er seinen Sohn bei einem Drohnenangriff in Rafah verlor. In Beit Lahiya im Norden berichten dem Magazin zufolge mehrere Palästinenser*innen, dass Scharfschützendrohnen im Oktober auf Zivilist*innen schossen, als diese versuchten, Verwandte nach einem israelischen Luftangriff aus Trümmern zu bergen.

Im Podcast des australischen Journalisten Antony Loewenstein dokumentierte die palästinensische Journalistin Maha Hussaini einen besonders perfiden Einsatz dieser Drohnen. Sie berichtet, dass die Quadrokopter nachts über Flüchtlingslager flogen und Aufnahmen von schreienden Babys und Frauen abspielten. Anwohner*innen, die daraufhin nach draußen gingen, um zu helfen, seien von den Drohnen angegriffen, mindestens sieben Menschen dadurch getötet worden.

Anfang Oktober wurde eine Gruppe palästinensischer Journalisten von einem israelischen Quadrokopter beschossen, der Al-Jazeera-Kameramann Fadi al-Wheidi wurde im Genick getroffen und liegt seitdem im Koma. Die Bilder von dem Vorfall fanden in der arabischen Welt weite Verbreitung.

Tod aus der Luft hinterlässt besondere Verletzungen

Ärzte, die in Gaza im Einsatz waren, bestätigen die Berichte über Einsätze gegen Zivilist*innen. So beschreibt etwa Ghassan Abu Sitta, ein Gastchirurg aus Großbritannien, wie Scharfschützendrohnen auf Menschen schossen, die versuchten, das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt zu betreten, wo er arbeitete. Er berichtet »NPR«, dass er an einem Tag mehr als 20 Verletzungen durch Schüsse von Scharfschützendrohnen gesehen habe, darunter mindestens ein Kind, dem in den Hals geschossen wurde.

Nizam Mamode, ein britischer Chirurg, sagte vor dem britischen Parlament: »Die Drohnen kamen herunter und schossen auf Zivilisten, auf Kinder. Dies war kein gelegentliches Ereignis. Dies geschah Tag für Tag.« Im Podcast mit Antony Loewenstein berichtete Khaled Dawas, ein Arzt in Gaza, von spezifischen Verletzungen durch Quadrokopter-Drohnen. In einem Fall entfernte er eine Kugel aus der Blase eines Patienten, dessen Angehörige angaben, er sei von einer Drohne beschossen worden, die wahllos in der Gegend feuerte.

Auch der »Spiegel« zitierte in seiner vorletzten Ausgabe Mimi Syed, eine amerikanische Notfallmedizinerin, die von zahlreichen Patienten mit Schussverletzungen durch Quadrokopter berichtet. Die Verletzungsmuster mit Schüssen von oben deuten auf gezielte Angriffe hin, auch auf Kinder und Kleinkinder.

Drohne verfolgt Ziel bis zum Schuss

Welche Drohnen welcher Unternehmen Israels Militär einsetzt, ist bislang nicht dokumentiert. Berichtet wird aber über Geräte der Firmen Duke Robotics und Smartshooter, die in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung derart bewaffneter Drohnen gemacht haben. Der zusammen mit dem israelischen Rüstungskonzern Elbit entwickelte Multikopter »Tikad« von Duke Robotics, die inzwischen von der israelischen Firma UAS Drone gekauft wurde, soll mit bis zu zehn Kilogramm schweren Schusswaffen ausgestattet werden können.

Smartshooter vertreibt keine eigenen Scharfschützendrohnen, hat aber das System »Smash Dragon« entwickelt, das an herkömmliche Senkrechtstarter montiert werden kann. Die militärischen Nutzer können dann beliebige Waffen mit einem Kaliber bis zu 40 Millimetern einrüsten. Das eingebaute Feuerleitsystem basiert laut dem Hersteller auf künstlicher Intelligenz und schlägt dem Schützen den Haltepunkt für einen Treffer vor, sodass dieses Ziel trotz des Rückstoßes präzise getroffen werden kann. Die mit dem System ausgerüsteten Quadrokopter können laut Smartshooter menschliche Ziele auch bis zum Angriff autonom verfolgen.

Auch unbewaffnete Drohnen von Xtend, einem führenden israelischen Drohnenhersteller, könnten laut dem Magazin »Forbes« in die Angriffe eingebunden werden. Xtend baut dazu sogenannte Mesh-Funknetzwerke auf, bei denen mehrere Drohne als Knoten dienen. So können die Einsätze der Scharfschützendrohnen auch ohne Satellitenverbindung und damit geringerer Latenz durchgeführt werden. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt erhielt Xtend für eine ähnliche Technik Gelder der EU-Kommission.

Israels Militär schweigt

Auf die Frage von »NPR« antwortete Smartshooter, dass seine »Smash-Dragon« nicht vom israelischen Militär geflogen werde. Allerdings haben israelische Streitkräfte in der Vergangenheit den Einsatz anderer Smartshooter-Systeme selbst hervorgehoben. Andere Produkte von Smartshooter werden zudem von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des israelischen Verteidigungsministeriums finanziert.

Lange durften israelische Medien nicht über den Einsatz bewaffneter Drohnen berichten, geändert hat dies erst die Aufhebung eines jahrzehntelangen Zensurgesetzes im Jahr 2022. Die Nutzung von »Scharfschützendrohnen« hat das Militär bislang nicht offiziell bestätigt. Israels UN-Botschafter Danny Danon sagte jedoch auf Anfrage von »NPR« allgemein, das Militär verwende »hoch entwickelte Waffen, um zivile Opfer zu minimieren«.

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