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- Schwangerschaftsabbruch
Entkriminalisierung von Abtreibungen gefordert
Tausende demonstrieren für eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch durch den Bundestag
Noch immer ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland prinzipiell rechtswidrig. Er bleibt für Frauen, die ihn wünschen, lediglich straffrei – wenn sie einen vorgeschriebenen Beratungstermin wahrgenommen und danach eine Wartefrist von drei Tagen eingehalten haben.
Für ein Ende dieses Zustands sind am Samstag allein in Berlin und Karlsruhe nach Veranstalterangaben insgesamt rund 7000 Menschen auf die Straße gegangen. Sie forderten eine vollständige Entkriminalisierung des medizinischen Eingriffs und das volle Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper.
Zur Demonstration hatte das Bündnis »Abtreibung legalisieren – jetzt!« aufgerufen, dem sich inzwischen mehr als 100 Organisationen und Einzelpersonen angeschlossen haben, darunter weltliche und kirchliche Sozialverbände sowie Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. »Es ist ein Menschenrecht, über den eigenen Körper zu entscheiden«, erklärte die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Julia Durchrow. »Dass dieses Recht immer noch missachtet wird, bringt weltweit viele Menschen auf die Straße – und das zurecht.«
Auch in Karlsruhe folgten zahlreiche Menschen einem Demoaufruf des Bündnisses. Sie forderten dort das Bundesverfassungsgericht auf, eine aktive Rolle bei der Legalisierung von Abtreibungen auszuüben.
Anlass der Demonstrationen ist der von mehr als 320 Bundestagsabgeordneten mehrerer Parteien vorgelegte Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch, der Abtreibungen noch immer unter Strafe stellt, weshalb auch die Zahl der Ärzte, die bereit sind, den Eingriff vorzunehmen, dramatisch zurückgegangen ist. Insbesondere im ländlichen Raum müssen Frauen daher weite Wege in Kauf nehmen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Abtreibungen grundsätzlich nur noch über das Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden sollen und in den ersten zwölf Wochen vollständig legal sein sollen. Eine Beratungspflicht soll demnach beibehalten werden, die Wartefrist aber entfallen. Paragraf 218 soll danach – neu formuliert – im Strafgesetzbuch erhalten bleiben und nur noch solche Abtreibungen unter Strafe stellen, zu der Frauen gezwungen werden oder die gegen ihren Willen stattfinden.
Die Kosten für eine Abtreibung sollen laut Entwurf künftig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Bisher ist dies nicht der Fall, was »eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer« darstelle, wie es im Gesetzentwurf heißt. Das Demobündnis unterstützt weitgehend den Entwurf, der am vergangenen Donnerstag in erster Lesung beraten wurde. Es fordert seine Verabschiedung durch den Bundestag noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Zuvor hatte das Bündnis im Oktober einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.
Die Ampel-Koalition hatte sich eigentlich die Streichung des Paragrafen 218 zum Ziel gesetzt und dafür ein umfängliches Gutachten bei einer 18-köpfigen Expert*innenkommission in Auftrag gegeben. Diese kam in ihrem im April dieses Jahres vorgelegten Abschlussbericht zu der Auffassung, dass eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs angezeigt sei. Sie plädierte für eine Regelung, die der sogenannten Fristenlösung in der DDR entspricht. Der parteiübergreifende Gruppenantrag an den Bundestag orientiert sich an den Empfehlungen der Kommission.
Es war insbesondere die FDP, die eine schnelle Umsetzung der Vorschläge der Fachleute dann aber blockierte. Justizminister Marco Buschmann hatte nach der Veröffentlichung des Gutachtens dessen eingehende Prüfung angekündigt und Hoffnungen auf Umsetzung in dieser Legislatur gedämpft. Aber auch SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach stand auf der Bremse. Es brauche vor möglichen Gesetzesänderungen »einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens«. Er warnte vor einer weiteren »Debatte, die die Gesellschaft spaltet«.
In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am Donnerstagabend kam es zu einer hitzigen Debatte. Die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws, eine der Initiatorinnen des Antrags, nannte die bisherige Regelung im Bundestag »zutiefst patriarchal«. Abtreibungen seien immer noch ein Tabu, ungewollt Schwangere litten unter Stigmatisierung. »Schuldgefühle für Frauen – damit muss endgültig Schluss sein«, sagte Schauws.
Die SPD-Politikerin Carmen Wegge sprach von einem »ausgewogenen, moderaten und alle Rechte berücksichtigenden« Entwurf. »Wir schlagen eine Entkriminalisierung der Frau vor«, sagte Wegge. Heidi Reichinnek (Die Linke) erinnerte daran, dass Schwangerschaftsabbrüche in der DDR bereits entkriminalisiert waren. Dagegen seien heute noch immer viele, insbesondere konservative Politiker der Meinung, dass »Frauenkörper Volkseigentum« seien.
Dagegen betonte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker, die Unionsparteien stünden »uneingeschränkt« zur bisherigen Regelung. Dorothee Bär (CSU) warf den Unterstützenden der Neuregelung einen »spalterischen Kulturkampf« vor. »Mit uns ist Lebensschutz nicht verhandelbar«, sagte Bär und kündigte an, die Union werde »geschlossen als Fraktion nicht zustimmen«.
Einer aktuellen Umfrage zufolge sind in der Bundesrepublik drei Viertel der Bürger für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
Gyde Jensen von der FDP sprach sich grundsätzlich für eine Neuregelung aus, kritisierte aber »die Eile« des aktuellen Vorstoßes. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch sagte, ihre Partei trage »den gesellschaftlichen Kompromiss zu 218 und will ihn nicht verschärfen«.
Der Gesetzentwurf für die Neuregelung hatte mit Stand Donnerstag 328 Erstunterstützende von SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Darunter sind auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte Scholz’ Unterstützung als »skandalös« gegeißelt und ihn zur Rücknahme seiner Unterschrift aufgefordert.
Bei einer Abstimmung könnten noch weitere Befürworter aus anderen Fraktionen hinzukommen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht signalisierte bereits, dass ihre zehnköpfige Gruppe dem Antrag zustimmen werde. »Der Paragraf gehört aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, denn er kriminalisiert Frauen und Ärzte«, sagte die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen. Derzeit hat der Bundestag 733 Abgeordnete, eine Mehrheit wäre bei 367 erreicht.
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