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Assads Sturz schürt Abschiebefantasien
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge setzt Entscheidung über Asylanträge von Syrer*innen aus
Während in Syrien noch Menschen aus Baschar al-Assads Foltergefängnissen befreit werden, hat in Deutschland die Debatte darüber begonnen, wie man die Geflüchteten aus Syrien möglichst schnell los wird. Im Interview bei der Rtl/Ntv-Sendung Frühstart erklärte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn: »Ich würde in einem ersten Schritt mal sagen, wir machen ein Angebot. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro.« Der zweite Schritt ist für Spahn eine »Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz«, die Deutschland zusammen mit Österreich, Jordanien und der Türkei organisieren soll. Das seien die Länder, die am meisten Geflüchtete aufgenommen haben.
Andere Politiker*innen aus der Union äußerten sich in einem ZDF-Interview ähnlich, aber zurückhaltender. Der außenpolitische Sprecher Jürgen Hardt etwa erklärte, dass man erstmal zu einer »Neubewertung« der Lage in Syrien kommen müsse. Dafür sei es aber »noch zu früh«. Mit der Neubewertung müsse dann auch eine Neubeurteilung einhergehen, »wer bei uns Schutz suchen darf und wer nicht«. Hardt geht davon aus, dass viele Syrer*innen zurückkehren wollen. Das wäre dann »ein Gewinn für Syrien, aber auch für die deutschen Sozialkassen«, so der CDU-Politiker.
Der CSU-Chef Markus Söder erklärte nach einer Vorstandssitzung, dass er damit rechne, dass viele Syrer*innen wegen Assad geflohen seien und nun »einfach in ihre Heimat zurückwollen«. Das solle unterstützt werden. Deutschland müsse auch darüber nachdenken, »wie eine stärkere Rückführung in die syrische Heimat vieler Menschen möglich ist.« Den Grünen warf Söder vor, durch skeptische Äußerungen die Rückreise von Syrer*innen zu behindern.
Söder dürfte damit Warnungen wie die von Kathrin Göring-Eckardt meinen. Die Grüne-Bundestagsabgeordnete warnte vor vorschnellen Abschiebediskussionen. Die Vorstellung, dass Deutschland etwa Kinder, die zur Schule gehen, nach Syrien schicke, führe zu großer Unsicherheit. Auch Sozialdemokrat*innen äußerten sich skeptisch. Die Forderung nach einem Aufnahmestopp wies der SPD-Politiker Michael Roth als populistisch zurück. Dem ZDF sagte er: »Vielleicht sollten wir, Wahlkampf hin, Wahlkampf her, vernünftig darüber nachdenken, wie wir den Menschen einen Weg aufzeigen können.«
Allerdings hat der Sturz von Assad auch schon reale Auswirkungen auf das deutsche Asylsystem. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erklärte am Montag, dass es ab sofort die Entscheidung über Asylanträge von Syrer*innen aussetze. Das betrifft 47 270 Asylanträge, davon 46 000 Erstanträge. Ein Behördensprecher erklärte dem Spiegel, dass die Lage in Syrien unübersichtlich sei und man nur schwer abschätzen könne, wie es weitergeht. Jede Asylentscheidung, die man im Augenblick treffen würde, stünde »auf tönernen Füßen«. Derzeit sind in Deutschland 5090 Syrer*innen asylberechtigt. 321 444 Menschen wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, 329 242 genießen subsidären Schutz.
Der Anwalt und Aufenthaltsrechtsexperte Marcel Keienborg hatte am Sonntag schon in einem Beitrag auf der Plattform Threads damit gerechnet, dass das Bamf die Asylentscheidungen auf Eis legen könnte. Allgemein rechnet er nicht damit, dass sich der Schutzstatus von Syrer*innen in Deutschland allzu schnell ändert. Das Bamf und die Verwaltungsgerichte stünden derzeit »ratlos vor einer völlig überraschenden, scheinbar vom Himmel gefallenen Situation«. Das käme für sie unerwartet. Keienborg erinnert an ein Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster vom Sommer, in dem das Gericht ausgeführt hatte, das es quasi keinen Bürgerkrieg mehr gäbe und dass Zivilpersonen in Syrien nicht mehr damit rechnen müssten, bei Anschlägen getötet oder verletzt zu werden.
Eine Einschätzung, die so heute nicht mehr haltbar ist. Aufenthaltsrechtsexperte Keienborg zeichnet in seinem Beitrag den Weg vor, den das Bamf und die Gerichte jetzt gehen müsse. Als erstes steht ein neuer Lagebericht des Außenministeriums. Es sei aber derzeit »praktisch gar nicht möglich« so einen Bericht zu schreiben, weil niemand wisse wie sich die Situation in Syrien entwickele. Keienborg geht davon aus, dass sie die Situation von Syrer*innen in Deutschland nicht viel verändern wird, bis klar ist, wie es in Syrien politisch weitergeht.
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