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Berliner Sozialgipfel: Wohnungsfrage bleibt ungeklärt
Wohnungssenator Christian Gaebler (SPD) diskutiert beim Berliner Sozialgipfel mit Sozialverbänden
»Wann fangen Sie an, den Willen der Berliner*innen und auch ihrer Partei umzusetzen?«, fragt Susanne Feldkötter, stellvertretende Landesbezirksleiterin von Verdi Berlin-Brandenburg, auf dem Berliner Sozialgipfel am Montagabend. Die Frage richtet sich an den Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), und bezieht sich auf den 2021 gewonnenen Volksentscheid der Initiative »Deutsche Wohnen und Co enteignen« (DWE). »Grundsätzlich ist es schon losgegangen«, sagt Gaebler, woraufhin Gelächter im Saal ausbricht.
Neben einem Zwischenruf war dies die einzige Interaktion zwischen Senator Gaebler und dem Publikum des diesjährigen Sozialgipfels, der im Zeichen der Wohnungsfrage stand. Das Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie dem Berliner Mieterverein hatte den Wohnungssenator für eine Podiumsdiskussion eingeladen. »Wohnungen gehören zur Daseinsvorsorge und sind kein Luxusgut«, heißt es in einer Pressemitteilung des Bündnisses. Der verschleppte Volksentscheid nahm nur einen kleinen Teil der Diskussion ein, die angesichts der Dramatik des Themas überraschend zahm und gesittet verlief.
Gaebler selbst bekam ausgiebig Raum, um die Maßnahmen, die seine Verwaltung zur Lösung der »sozialen Frage der Gegenwart und auch der Zukunft«, wie er sagt, darzustellen. Eine Rekordsumme von 1,5 Milliarden Euro sei für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus bewilligt worden und sei auch nicht von den Kürzungen betroffen. Man komme damit dem ausgegebenen Ziel näher, jährlich 5000 Sozialwohnungen zu schaffen, so der Senator. Mit dem Schneller-Bauen-Gesetz wolle man dafür sorgen, dass schneller gebaut werden kann. Auch landeseigene Wohnungsunternehmen (LWU) trügen dazu bei, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen: Gemäß der Kooperationsvereinbarung mit dem Land müssen die LWU 63 Prozent ihrer Wohnungen an Menschen vermieten, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Und mit dem »Leistbarkeitsversprechen« der LWU werde sichergestellt, dass niemand mehr als 27 Prozent seines Einkommens für die Miete aufwenden muss.
Die Lage für Mieter*innen in der Hauptstadt bleibt trotzdem desolat. »Für viele Menschen in Berlin wird Wohnen zum Armutsrisiko«, sagt Ulrike Haman-Onnertz, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Mehr als zwei Drittel der Berliner*innen haben ihrem Einkommen gemäß theoretisch Anspruch auf eine Sozialwohnung, von denen es immer weniger gibt. Mieten werden immer weiter erhöht, die Angebotsmieten sind mittlerweile bei durchschnittlich 15,14 Euro pro Quadratmeter. Und: »Extreme Überschreitungen der Mietpreisbremse sind an der Tagesordnung«, sagt Hamann-Onnertz.
»Wir trauen uns nicht, das zu fordern, was eigentlich notwendig ist.«
Robert Trettin
Seniorenvertretung Treptow-Köpenick
Was das Land Berlin angesichts föderaler Zuständigkeitsfragen überhaupt zur Besserung der Situation machen kann, wurde auch diskutiert. Hamman-Onnertz bringt eine Sozialwohnungsquote für Privatvermieter ins Spiel, genauso wie einen »Vermieterführerschein«. Gaebler entgegnet, man müsse sehen, wie man die Voraussetzungen schaffen könne, damit sich Vermieter mehr an gesetzliche Vorgaben halten. Aber eine »Bauchlandung« wie beim vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckel will er nicht nochmal. Doch auch Maßnahmen, die mit Sicherheit in der Hoheit des Landes liegen, etwa eine vom Mieterverein geforderte Erhöhung der Sozialquote bei den LWU auf 75 Prozent, will der Senat nicht umsetzen. »Ich finde 63 Prozent ist schon relativ viel«, so der Senator. Man wolle gemischte Quartiere und keine »Ghettobildung«.
Während auf der Bühne diskutiert wird, steigt im Publikum die Anspannung merklich. Nach eineinhalb Stunden verlässt Senator Gaebler den Saal. Neue Antworten hat er nicht geliefert, was in zahlreichen Redebeiträgen danach enttäuscht kommentiert wird. Das Publikum verärgert besonders, wie wenig über die Regulierung von Privatvermietern und Immobilienkonzernen gesprochen wurde. »Man kann in seinem Kampf an einem Punkt ankommen, an dem man verzweifelt«, sagt Ingeborg Gotthold, die bei Verdi zur Wohnungsfrage aktiv ist. Es gebe eine Unmenge an Ausflüchten, obwohl Politiker geschworen hätten, dass sie Wohnraum schaffen wollen.
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Die Forderungen aus dem Publikum sind dann auch radikaler als die der Verbände. »Wir trauen uns nicht, das zu fordern, was eigentlich notwendig ist: dass mit der Daseinsvorsorge kein Profit gemacht werden darf«, sagt etwa Robert Trettin, Seniorenvertreter aus Treptow-Köpenick. Das, was man jetzt sozialen Wohnungsbau nenne, sei Wohnungsbau, der aus der Miete finanziert werde. Trettin schlägt vor, eine Vermögenssteuer einzuführen, mit der man den Wohnungsbau finanzieren könnte.
Der große Wurf für ein Ende des Berliner Mietenwahnsinns bleibt auf dem Sozialgipfel aus. Immerhin will sich das Land Berlin laut Wohnungssenator Gaebler einer Bundesratsinitiative des Landes Hamburg zur Verlängerung der Mietpreisbremse anschließen. Die ehemalige stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, nun beim Sozialverband SOVD, versucht in ihrem Schlusswort versöhnend zu wirken: »Wir brauchen beides: auf der einen Seite den Druck, auf der anderen Seite das Zugehen auf die Politik.«
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