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Keine Aussicht auf Frieden im Sudan
Mit dem Ende der Regenzeit nimmt der Krieg wieder an Intensität zu
Die Prognose steht: Der Sudan führt auch im kommenden Jahr die Liste der Länder mit den humanitären Krisen an. Dort herrsche die größte humanitäre Krise aller Zeiten und zugleich die größte Vertreibungskrise der Welt, wie es in der jährlichen »Emergency Watchlist« der Hilfsorganisation International Rescue Comittee (IRC) von 20 Ländern heißt. Das afrikanische Land mit seinen 50 Millionen Einwohnern steuert demnach auf einen verheerenden humanitären Zusammenbruch im Jahr 2025 zu. Laut der Liste sind die fünf größten Krisen in folgenden Staaten und Regionen: Sudan, den besetzten palästinensischen Gebieten, Myanmar sowie Syrien und Südsudan.
Inzwischen steht auch das Flüchtlingslager Sam Sam in der Region Nord-Darfur unter Beschuss, in dem mehrere Hunderttausend Menschen Zuflucht gesucht haben. Eine Sprecherin von Ärzte ohne Grenzen, einer der wenigen vor Ort verbliebenen Hilfsorganisationen, sprach von einer katastrophalen Lage. Unter den Bewohnern sei Panik ausgebrochen, Tausende versuchten zu fliehen. Doch auch im Umland herrschen Kämpfe und Gewalt.
Waffen aus dem Ausland schüren den Konflikt
Mit dem Ende der Regenzeit intensiviert sich der Krieg im Sudan wieder. Zurzeit kontrollieren die Rapid Support Forces (RSF) eine Mehrzahl der regionalen Hauptstädte Sudans, während die Regierungsarmee SAF unter Abdel Fattah Al-Burhan weiterhin den Norden und Osten des Landes hält, darunter den größten Hafen Bur Sudan (Port Sudan). Es wird erwartet, dass die Rebellen unter der Führung von Mohammad Hamdan »Hemeti« Daglo nach Bur Sudan vorzustoßen versuchen. In der ersten Phase des Krieges, der seit Mitte April 2023 tobt, war unter anderem die Hauptstadt Khartum nahezu vollständig zerstört und entvölkert worden; auch im westlichen Darfur war es zu massiven Zusammenstößen gekommen.
Beide Konfliktparteien sind abhängig von ausländischen Waffenlieferungen. Laut einem Bericht von Amnesty International stammen diese Waffen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, China, Russland, dem Jemen und Serbien. Das seit 2004 für die Region Darfur bestehende Waffenembargo ist weitgehend wirkungslos, weil regional zu begrenzt. Eine neuere Entwicklung ist auch, dass insbesondere russische und türkische Hersteller Waffen, die ursprünglich für den privaten Gebrauch hergestellt wurden, massenhaft in die Region exportieren: etwa Jagdgewehre oder Schreckschusswaffen, die vor Ort dann scharfgemacht werden. Russland unterstützt Hemetis RSF auch mit Söldnern der Wagner-Einheiten.
Die humanitäre Lage im Sudan ist katastrophal. Bei direkten Kampfhandlungen sind inzwischen über 16 000 Menschen getötet worden, mehrere Millionen Menschen sind auf der Flucht; die Hilfsorganisation Norwegischer Flüchtlingsrat (NRC) geht davon aus, dass ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Sudan vertrieben wurde. »Es ist wirklich empörend, dass die Welt nun die weltweit größte humanitäre Krise klar vernachlässigt«, sagte NRC-Generalsekretär Jan Egeland nach einem jüngsten Besuch von Flüchtlingslagern. »Sie ist größer als die Ukraine, Gaza und Somalia zusammen. Hier im Sudan stehen 24 Millionen Leben auf dem Spiel. Wir erleben einen unerbittlichen Countdown hin zu Hungersnot, Verzweiflung und dem Zusammenbruch einer gesamten Zivilisation.«
Nahrung und Medizin sind Mangelware
Es gibt Berichte von Massenvergewaltigungen, das UNHCR spricht von einem »alarmierenden« Anstieg sexualisierter Gewalt insbesondere in Flüchtlingslagern. Hinzu kommt die Nahrungsknappheit: Im August 2023 schätzte die WHO, dass über die Hälfte der Bevölkerung nicht wisse, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekomme. Die medizinische Versorgung ist mancherorts vollständig zusammengebrochen, Ärzte ohne Grenzen nimmt an, dass 80 Prozent der medizinischen Einrichtungen nicht mehr funktionstüchtig seien. In Zentral- und Ostsudan ist die Cholera ausgebrochen, auch andere Seuchen wie Malaria und das Dengue-Fieber breiten sich aus.
Im Dezember ist es dem Welternährungsprogramm (WFP) erstmals seit Monaten wieder gelungen, an Tausende hungernde Menschen im Flüchtlingslager Sam Sam Essen zu verteilen. Die Lage sei so desolat gewesen, dass Bewohner zermalmte Erdnussschalen essen mussten, sagte WFP-Sprecherin Leni Kinzli. Damit werden sonst Tiere gefüttert. »Im ganzen Lager gibt es Eltern, deren Kinder an Unterernährung gestorben sind«, fügte sie hinzu.
Hoffnung auf ein baldiges Ende des Konfliktes gibt es kaum. Im Dezember 2023 beendete die Uno ihr politisches Mandat im Sudan auf Druck der Regierung, eine Resolution des Sicherheitsrates, die einen sofortigen Waffenstillstand forderte, wurde am 19. November von Russland blockiert. Immerhin hat die Regierung jetzt angekündigt, den Vereinten Nationen zu erlauben, im aktuell noch verhältnismäßig friedlichen Süden des Landes Flughäfen zu nutzen, um Hilfsgüter zu importieren. Außerdem sollen Uno-Einheiten Konvois begleiten dürfen. Denn auch im von Kämpfen bisher weitgehend verschonten Süden ist die Lage prekär: nicht nur wegen der vielen Menschen, die dorthin geflohen sind, sondern auch wegen der schlechten Ernte dieses Jahr und einer Heuschreckenplage, die den Preis für das hirseähnliche Grundnahrungsmittel Sorghum fast verdreifacht hat.
Was den Fortgang des Krieges anbelangt, sind die Prognosen nichtsdestotrotz düster. Solange die Waffenlieferungen anhalten, hat keine der Konfliktparteien ein Interesse daran, die Kämpfe einzustellen. Befürchtet wird eine weitgehende Zerfaserung des Krieges, der dann in regionale und lokale Klein- und Kleinstkonflikte zerfallen könnte, mit noch katastrophaleren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung. Tom Periello, Sonderbeauftragter der US-Regierung für den Sudan, hält im schlimmsten Fall eine Entwicklung für möglich, die er als »eine 20 bis 25 Jahre andauernde Version Somalias auf Steroiden« bezeichnet, unter Beteiligung der Nachbarländer. Eindämmen ließe sich die Katastrophe nur durch einen diplomatischen Durchbruch, sagt Periello, der sich aber nicht abzeichnet. Die immer wieder aufgenommenen Friedensgespräche in Saudi Arabien blieben bisher ergebnislos und werden es wohl auch bleiben, solange beide Kriegsparteien auf einen militärischen Sieg hoffen.
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