Abschiebefantasien in Deutschland: Verkommene Drecksäcke

Olivier David über die deutsche Migrationsdebatte nach dem Sturz von Assad in Syrien

Ein Migrant aus Syrien auf dem Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im brandenburgischen Eisenhüttenstadt
Ein Migrant aus Syrien auf dem Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im brandenburgischen Eisenhüttenstadt

Auf Demos in Deutschland haben sich am Wochenende Zehntausende Syrer*innen zu einem Klassentreffen der besonderen Art versammelt: Sie feierten den Sturz des Assad-Regimes. Feiernde berichteten anwesenden Reportern unter Tränen von Familienmitgliedern, die von Assads Truppen ermordet wurden. Wenigstens für einen Tag wollte man den Sieg über den Schlächter aus Damaskus feiern.

Doch Pustekuchen. Im Politikbetrieb siegte bereits der Funktionalismus. Das Flugzeug des gestürzten syrischen Diktators Baschar al-Assad war am Sonntag noch auf dem Weg nach Moskau, wo die russische Regierung ihrem Partner und seiner Familie Asyl gewährte, da verloren die üblichen Verdächtigen schon ihre Impulskontrolle. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel beispielsweise teilte auf Social Media ein Video der nationalistischen Zeitung »Junge Freiheit«, wo ebenjene Syrer*innen zu sehen waren, die in Berlin den Sturz des Assad-Regimes feiern. Dazu schrieb sie: »Wer in Deutschland das ›freie Syrien‹ feiert, bei dem liegt augenscheinlich kein Fluchtgrund mehr vor. Er sollte umgehend nach Syrien zurückkehren.« Auch CDU-Politiker Jens Spahn ließ sich nicht lange bitten und schlug vor: »Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: ›Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro.‹«

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.

Hinter diesen Reaktionen steckt das ewig rassistische Problem, dass Migration und Fluchtursachen nicht ein Grund für sich sind, sondern immer nur über ihren Nutzen für einen selbst bestimmt werden. Nutzen uns die Migrant*innen? Tragen sie zu unserem Wohlstand bei? Können wir ihre Arbeitskraft ausbeuten? Dann dürfen sie bleiben; denn sie sind gute Migrant*innen. Werden diese Fragen negativ beantwortet, kann kein Herz so kalt sein wie das eines autoritären deutschen Politikers – oder einer Politikerin.

Eine psychologisierende Erklärung dafür wäre es, genannten Politiker*innen, die sämtliche Ereignisse daraufhin untersuchen, welchen Nutzen sie für sich aus ihnen ziehen können, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu attestieren. Das wäre jedoch eine individualisierende Lesart, die das Problem in den vorpolitischen Bereich verschiebt. Stattdessen kann man anhand der Debatte lernen, wie Politik funktioniert: Alles ist rein auf den eigenen Nutzen getrimmt. Armutsbetroffene zum Beispiel braucht es deshalb in einer kapitalistisch organisierten Klassengesellschaft, weil Politik und Wirtschaft mit ihnen den Niedriglöhnern drohen und sie so zu schlecht bezahlter Arbeit disziplinieren können. Motto: Ein Mucks, und es ergeht euch wie den Menschen im Bürgergeldbezug!

In dieser Logik haben Geflüchtete nicht ein Existenzrecht an sich, sie sind Verfügungsmasse. Während Israel und die Türkei also Teile Syriens bombardieren, während Hunderttausende Binnenflüchtlinge vor islamistischen Mordbanden fliehen, geht es einem Teil des deutschen Politik- und Medienbetriebs darum, Profit aus der Situation zu ziehen. Dazu sagt Linke-Chef Jan van Aken: »Alle, die jetzt anfangen, über Abschiebungen nach Syrien zu reden, sind einfach nur verkommene Drecksäcke.« Dem kann man sich nur anschließen.

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