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Ein erstaunlicher Befund?
Francisca Raposo erinnert sich mit Dankbarkeit an die »Schule der Freundschaft« in Staßfurt
Die Geschichte der Beziehungen der DDR zu Mosambik hat in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr oder minder intensiv sowohl in der medialen Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft eine Rolle gespielt. Hervorgerufen wurde das besondere Interesse wohl vor allem durch die Tatsache, dass vor der staatlichen Vereinigung der beiden Deutschländer Hunderte Entwicklungshelfer und Experten aus der DDR in dem ostafrikanischen Land arbeiteten und einige dort ermordet wurden. Und Kinder aus dem sich zum Marxismus bekennenden Land die »Schule der Freundschaft« in Staßfurt, einer kleinen Industriestadt, Geburtsstätte des DDR-Fernsehens, besuchten, heute Sachsen-Anhalt. Nicht weniger bedeutsam ist die Tatsache, dass in den Volkseigenen Betrieben (VEB) der ostdeutschen Republik Zehntausende junge Mosambikaner einen Beruf erlernten und danach noch einige Jahre lang dort praktische berufliche Erfahrungen sammelten – was heute gern, vor allem von westlichen Journalisten und Wissenschaftlern als »Ausbeutung« gedeutet wird. Es hat sich hierzulande eine wohl beispiellose, so gut wie alle Sphären des gesellschaftlichen und individuellen Lebens betreffende Verleumdungskampagne etabliert, die von Generation zu Generation weitergereicht wird. Auch wenn immer wieder von seriösen Forschern und Publizisten sowie Zeitzeugen auf deren Einfältigkeit und Einseitigkeit oder gar Verdrehung von Fakten hingewiesen wird.
Umso mehr ist zu begrüßen, wenn eine Mosambikanerin, die als Schülerin die DDR erlebte, nach so langer Zeit zur Feder griff und ihre Geschichte erzählt. Francisca Raposo, 1968 in Mosambik geboren, galt schon in ihrer Heimat als ein begabtes Kind. In der »Schule der Freundschaft« sollte sie einen Abschluss für einen höheren Bildungsweg erreichen. Sie kam wie viele ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen aus Mosambik und Namibia aus »schwierigen Lebensbedingungen«. Francisca Raposo war entschlossen, die sich in der DDR bietende »riesige Chance« zu ergreifen, zugleich Armut, Hunger und Tod in der vom Bürgerkrieg geplagten Heimat zu entfliehen.
Zum Teil sehr detailliert schildert sie, wie sie nach Staßfurt in die »Schule der Freundschaft« gelangte, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Bett für sich allein hatte. Sie freute sich über die Kleidung, Hygieneartikel und Schulausstattung, die ihr und den anderen Kindern kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden. Natürlich hatten sie es nicht immer leicht, etwa mit der Umstellung auf ein völlig anderes Klima im Norden oder auf das ungewohnte Essen. Hinzu kamen teilweise interkulturelle Schwierigkeiten, die sie jedoch nicht als rassistisch konnotiert empfand und die mit der Zeit überwunden wurden. Francisca Raposo berichtet auch von Ausflügen, bei denen die Kinder Land und Leute kennenlernen sollten, und von den regelmäßigen medizinischen Untersuchungen, in Afrika zu ihrer Kindheit völlig unbekannt.
In der Rückschau ist es erstaunlich, was die nicht gerade im Luxus lebende DDR-Bevölkerung an solidarischer Leistung aufbrachte, um den Kindern aus Afrika ein angenehmes und sicheres Leben zu bieten – und zwar in materieller und humaner Hinsicht. Leider wird dies nicht von den Vorwortschreiberinnen gewürdigt, im Gegenteil. Aus den Geleitworten der Journalistin Ines Godazgar, die hier als »Ghostwriterin« firmiert, und der Leiterin der Evangelischen Erwachsenenbildung Sachsen-Anhalt, Annette Berger, spricht vielmehr eingangs erwähnte Unkenntnis und Unverständnis. Die Klage, »aus den holprigen Sätzen der mosambikanischen Autobiografin ein lesbares Manuskript zu zaubern«, lässt gar Bedenken aufkommen, wie viel von den »lesbar« gemachten Aussagen von Francisca Raposo überhaupt noch authentisch ist. In der Bildunterschrift zu einem im Buch abgedruckten Foto aus dem »Neuen Deutschland« über die Eröffnung der Schule 1982 in Staßfurt heißt es in typisch denunziatorischem Ton, dass dies unter »bestelltem Jubel« geschah.
Godazgar informiert in ihrem Vorwort, dass Francisca Raposo als Kinderärztin in ihre Heimat zurückkehren wollte, jedoch als Facharbeiterin in der Textiltechnik ausgebildet wurde. Für die in Merseburg aufgewachsene ostdeutsche Journalistin eine »Farce«. Aber vielleicht lag die entsprechende Qualifikation für ein Medizinstudium nicht vor? Oder die mosambikanischen Verantwortlichen hatten den Wunsch nach Textilfachkräften geäußert? Das erfährt man in Godazgars Vorwort nicht, dafür, dass der schließlich erlernte Beruf von Francisca Raposo angeblich »in Mosambik weder bekannt war noch gebraucht wurde«. Tatsache ist, dass aufgrund des von der Nato, vom südafrikanischen Apartheidstaat und den ehemaligen portugiesischen Kolonialherren geschürten Bürgerkrieges die Industrialisierung des jungen, unabhängig gewordenen mosambikanischen Staates unter der sozialistisch orientierten Frelimo (Frente de Libertação de Moçambique) verhindert wurde. Die »Farce« ist also dem Terror der konterrevolutionären Banden der Resistência Nacional Moçambicana (Renamo), ausgestattet mit Waffen und militärischem Know-how auch aus der Bundesrepublik, zu verdanken. Doch davon in den Vorworten kein Wort. Hingegen der ignorante Vorwurf, dass die DDR die mosambikanischen Jugendlichen mitleidslos »in ein desolates und völlig zerstörtes Land« zurückschickte. Und so verwundert letztlich auch nicht die Verwunderung der deutschen Herausgeberinnen, dass Francisca Raposo zu einem »erstaunlichen Befund« gekommen sei: Sie bewertet bis heute ihre Zeit in der DDR »überwiegend positiv«.
Francisca Raposo: Von Mosambik in die DDR. Meine Zeit an der »Schule der Freundschaft« in Staßfurt. Unter Mitarbeit v. Ines Godazgar. Mitteldeutscher Verlag, 159 S., br., 16 €.
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