Gefragte Rechenkapazitäten

Der Branchenverband Bitkom sieht Bedarf nach mehr Rechenzentren. KI-Einsatz in der Forschung wie im Privaten ist ein wichtiger Treiber

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 5 Min.
Zählte vor einigen Jahren noch zu den schnellsten Rechnern der Welt: der »SuperMUC-NG« am Leibniz Rechenzentrum in München
Zählte vor einigen Jahren noch zu den schnellsten Rechnern der Welt: der »SuperMUC-NG« am Leibniz Rechenzentrum in München

Das Smartphone in der Tasche, den PC auf dem Schreibtisch, der Server in der Firma – Computer begleiten uns überall. Die Königsklasse aber sind die Rechenzentren: Lange Fluchten von großen summenden Metallschränken in eigenen, hermetisch abgeschlossenen Gebäuden. Bisher vor allem eine Domäne der Wissenschaften, nehmen die Rechenzentren in Zeiten der Künstlichen Intelligenz eine immer wichtigere Funktion für die gesamte Gesellschaft ein. Experten warnen jedoch, dass Deutschland bei dieser nächsten Etappe der Digitalisierung den internationalen Anschluss verlieren könnte.

Die Treiber für den vermehrten Bedarf an großen Rechenkapazitäten sind vielgestaltig: Simulationsmodelle in der Wissenschaft, die Digitalisierung der Verwaltung sowie die private Nutzung von generativen KI-Modellen wie ChatGPT, die sich in den letzten zwei Jahren in der Gesellschaft rasant verbreitet hat. Derzeit werden weltweit etwa 15 Prozent der Rechenzentrenkapazitäten für KI und High-Performance-Computing eingesetzt. Der Hauptteil der Nutzung gilt der unternehmensinternen Verarbeitung von Daten sowie der Datensicherung bei Stromausfällen oder Cyberangriffen.

Überall schießen neue Rechenzentren aus dem Boden. Besonders stark ist die Entwicklung in der hessischen Metropole Frankfurt am Main, die auch den größten Knoten ins internationale Internet beherbergt. Die Firma firstcolo im Frankfurter Ostend hat sich mit ihrem privaten Rechenzentrum auf Nutzer aus der Wirtschaft spezialisiert. Dazu gehören Firmen wie die Online-Plattform Shop Apotheke. »Wenn ein Patient beispielsweise sein E-Rezept bei der lokalen Apotheke einlöst, dann wird dieser Vorgang hier über unsere Server-Infrastruktur verarbeitet«, so Jerome Evans vom Rechenzentrum-Betreiber firstcolo, der nur ein kleiner Anbieter ist. Die großen Kapazitäten werden im hessischen Digital-Hub von internationalen Konzernen wie der Amazon-Tochter AWS oder dem japanischen Telekommunikations-Unternehmen NTT vorgehalten und weiter ausgebaut. Laut Hessischem Ministerium für Digitalisierung und Innovation setzt der Wirtschaftszweig der Rechenzentren bereits heute knapp 40 Milliarden Euro um.

Weit größere Kapazitäten in den USA

Einen Überblick über die bundesweite Lage hat kürzlich der digitale Branchenverband »Bitkom« mit einer Studie gegeben, die vom Berliner Forschungsunternehmen »Borderstep« ausgeführt wurde. Danach gibt es in Deutschland derzeit in Behörden und Unternehmen einen Bestand von 2,4 Millionen Servern. Das ist ein Anteil von 2,5 Prozent an der weltweiten installierten Basis. Im Jahr 2015 lag der deutsche Anteil noch bei 3,5 Prozent. Wichtiger als ihre Zahl ist aber die Leistung der Rechenzentren, die in Watt gemessen wird. Hier verfügen die Rechenzentren in Deutschland heute über eine IT-Anschlussleistung von 2,7 Gigawatt. Für das Jahr 2030 werden 4,8 Gigawatt erwartet. »Demgegenüber verfügen die Vereinigten Staaten mit aktuell 48 Gigawatt und im Jahr 2030 rund 95 Gigawatt über etwa zwanzigmal mehr Kapazitäten als Deutschland«, heißt es in der Bitkom-Studie.

Im europäischen Kontext ist Deutschland bei den Rechenkapazitäten weiterhin Spitze. Aktuell investieren die Betreiber der Erhebung zufolge jährlich 2,9 Milliarden Euro in Gebäude und technische Gebäudeausrüstung sowie weitere zehn Milliarden Euro in IT-Hardware. Interessant ist allerdings die Korrelation zur Wirtschaftskraft, wo Deutschland nur ein niedriges Niveau erreicht. »Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist die Anschlussleistung der Rechenzentren (610 Kilowatt pro Milliarde Euro des BIP) in Deutschland geringer als etwa in Großbritannien (670) oder den Niederlanden (930)«, hat die Studie herausgefunden. An der Spitze rangiert Irland mit 2310 Kilowatt, was vor allem an den dortigen Niederlassungen großer Tech-Unternehmen wie Facebook und Apple liegt, wohlgemerkt aus Steuergründen. Es folgen China mit 2100 und die USA mit 1700 Kilowatt Anschlussleistung.

»Aktionsplan Rechenzentren« gefordert

»Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt dürfen wir nicht den Anschluss verlieren, sondern müssen mit den führenden Nationen Schritt halten«, warnt Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. »Deutschland muss sich handlungsfähiger, resilienter und technologieorientierter aufstellen – und das geht nur mit einer starken und leistungsfähigen IT-Infrastruktur«, lautet die Forderung des Verbandes. Um den Standort Deutschland insgesamt zu fördern und für Betreiber von Rechenzentren attraktiv zu machen, verlangt Bitkom von der Politik einen »Aktionsplan Rechenzentren«.

Darin sollten auch die nächsten »Baustellen« der Expansion berücksichtigt werden: der »ökologische Rucksack« sozusagen, der sich im rasant steigenden Strombedarf und der Lösung des Abwärme-Problems ausdrückt. Das Energieeffizienzgesetz schreibt für neue Rechenzentren ab 300 Kilowatt vor, dass sie einen Teil ihrer Abwärme nutzen müssen, was zwei Drittel der befragten Betreiber bereits tun. Doch teilweise mangelt es an der Infrastruktur »Viele Rechenzentren würden ihre Abwärme sogar kostenlos abgeben. Vielerorts gibt es die dafür nötigen modernen Wärmenetze jedoch nicht«, sagt Rohleder. Ein Viertel der Rechenzentrumsbetreiber »geht von einem höheren Wasserverbrauch aus, da Künstliche Intelligenz ebenso wie High-Performance-Computing eine stärkere Kühlung erfordert«, heißt es in der Studie.

Supercomputing in Stuttgart

Immerhin gab es in dieser Woche auch eine gute Nachricht für das Supercomputing in Deutschland. Die europäische Organisation für diese Rechnerklasse, die »EuroHPC (Highperformance Computing) Joint Undertaking« gab die Gründung von sieben neuen »KI-Fabriken« in Europa bekannt. Darunter soll am Standort Stuttgart eine neue, für KI-Anwendungen optimierte Supercomputing-Infrastruktur bereitgestellt werden. »Ziel ist es, den Zugang zu leistungsfähigen KI-Technologien für die Forschung, Start-ups, Mittelstand und Industrie sowie den öffentlichen Sektor deutlich zu verbessern«, teilte Interims-Forschungsminister Cem Özdemir mit.

Beworben hatte sich ein Konsortium unter Führung des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS). Die neue KI-Fabrik mit dem Akronym »HammerHAI« wird unter der Leitung des HLRS in Zusammenarbeit mit Rechenzentren in München, Göttingen und Karlsruhe betrieben. Das Projektbudget beträgt rund 85 Millionen Euro und wird gemeinsam von der Europäischen Kommission, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und drei Landesministerien finanziert.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.