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Zyklon »Chido«: Katastrophe mit innenpolitischen Folgen
Verwüstungen durch Wirbelsturm »Chido« auf Mayotte haben für Frankreich auch innenpolitische Folgen
Nach dem verheerenden Wirbelsturm »Chido«, der am Samstag über die Inselgruppe Mayotte fegte und wahrscheinlich mehrere Hundert Tote und gewaltige materielle Schäden hinterließ, laufen in Frankreich die Hilfsmaßnahmen an.
Kompliziert ist es vor allem, die 10.000 Kilometer zwischen Frankreich und dem Überseedepartement im Indischen Ozean zu überwinden. Eine erste Frachtmaschine mit Hilfsgütern erreichte die Inselgruppe bereits am Sonntag und weitere werden folgen. Am Montag traf eine Maschine mit Innenminister Bruno Retailleau ein, der sich vor Ort ein Bild von der Lage machen will, sowie mit 160 Soldaten und Feuerwehrleuten, die die einheimischen Hilfskräfte verstärken sollen. Am Montagnachmittag fand im Krisenzentrum des Innenministeriums in Paris eine Sitzung unter Vorsitz von Präsident Emmanuel Macron statt.
Die Naturkatastrophe mit ihren tragischen Konsequenzen wird umgehend in die innenpolitischen Auseinandersetzungen gezogen. So schrieb Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der linken Bewegung La France insoumise, auf dem Netzwerk X: »Eine Bevölkerung, die seit langem besonders verletzlich ist und alleingelassen wurde, ist einer schrecklichen Herausforderung ausgesetzt.« Die »arroganten und unfähigen Machthaber« hätten »nichts vorausgesehen und nichts organisiert«.
Darauf hat Estelle Youssouffa, die Mayotte als unabhängige Abgeordnete in der Pariser Nationalversammlung vertritt, empört reagiert: »In Mayotte ist man noch dabei, die Toten zu zählen, da sind bereits die Aasgeier zur Stelle, um ihr verächtliches politisches Süppchen zu kochen.« Mansour Kamardine, der ehemalige Mayotte-Abgeordnete der rechten Oppositionspartei der Republikaner, gibt zu bedenken, dass die verschiedenen rechten wie linken Regierungen seit Jahren viel für Mayotte getan haben, dass aber »ein großer Teil davon im riesigen Trichter der ständig nachwachsenden Probleme ohne große Wirkung verschwunden ist«.
Anchya Bamana, der erste für das rechtsextreme Rassemblement National (RN) gewählte Abgeordnete von Mayotte, behauptet, dass »alles absehbar war«, und gibt der illegalen Einwanderung von Ausländern die Hauptschuld für die Misere auf der Inselgruppe. Die Probleme für die Inselbewohner, die sich aus dem seit mehr als zehn Jahren stark steigenden Einwanderungsdruck ergeben haben, hat RN systematisch instrumentalisiert. Bei den letzten Parlamentswahlen bekam es hier so im Schnitt 59 Prozent der Wählerstimmen.
Mayotte, das aus zwei Inseln mit zusammen nur 374 Quadratkilometern besteht und offiziell 310.000 Einwohner zählt, liegt im Indischen Ozean zwischen Mosambik und Madagaskar. Geografisch und historisch gehörte Mayotte zu den Komoren, die zwischen 1831 und 1948 eine französische Kolonie und dann ein Überseegebiet Frankreichs waren. Während sich die Bevölkerung der meisten Inseln der Komoren bei einer Volksabstimmung 1958 für die Unabhängigkeit entschied, blieb Mayotte bei Frankreich und wurde im Staatsverband das 101. Departement.
Allerdings ist Mayotte seit vielen Jahren das ärmste Departement. Die angespannte wirtschaftliche und soziale Lage hat sich dadurch weiter verschärft, dass immer mehr Einwohner der Komoren, wo die Lebenslage noch schlechter ist, mit Booten illegal nach Mayotte übersetzten, das nur 70 Kilometer entfernt ist. Hier hofften sie, Arbeit zu finden, und früher oder später eingebürgert und damit Franzosen zu werden.
Besonders viele schwangere Frauen kamen, um in Mayotte zu entbinden. Damit sollten die Neugeborenen gesetzlichen Anspruch auf die französische Staatsangehörigkeit erlangen und damit die Eltern einen Schutzstatus. Da angesichts eines Mangels an Arbeitsplätzen und vor allem an Wohnungen die Spannungen zwischen den Einwohnern Mayottes und den Einwanderern zunahmen, hat die Regierung in Paris mehrmals große Kampagnen zur Erfassung und Abschiebung von Ausländern durchgeführt.
Doch die meisten kamen über kurz oder lang wieder. Ihre Zahl schätzt man auf mindestens 100.000. Um sie zu vertreiben, werden seit 2023 immer wieder Elendssiedlungen unter Polizeieinsatz geräumt und mit Bulldozern planiert. Es entstehen aber stets neue, und viele wurden durch den Wirbelsturm »Chido« besonders schlimm verwüstet. Die Abgeordnete Estelle Youssouffa schätzt treffend ein, dass es sich bei diesen Armenvierteln um »Massengräber unter freiem Himmel« handele.
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