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»Für Zwangsbehandlungen hat das Gericht enge Grenzen gesetzt«
Gerd Dodegge, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zum Betreuungswesen, über den gesetzlichen Rahmen für Zwangsmaßnahmen
Es gibt ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Was beinhaltet die Entscheidung?
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat am 26. November 2024 entschieden, dass die bisherige Vorgabe, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen sind, verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Solche Zwangsbehandlungen müssen auch ausnahmsweise in Wohneinrichtungen durchgeführt werden können. Der Gesetzgeber ist vom BVerfG zur Neuregelung spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezembers 2026 verpflichtet.
Ist mit weiteren Klagen zu dem Komplex zu rechnen?
In den letzten Jahrzehnten gab es zahlreiche juristische Entscheidungen zum Betreuungsrecht, und es werden auch in Zukunft weitere folgen. So hat das BVerfG bei seiner jüngsten Entscheidung offen gelassen, ob es auch eine Ausnahmeregelung für den Fall geben muss, dass ein alternativer Durchführungsort für die Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses und der bewohnten Einrichtung vorhanden ist, an dem die Beeinträchtigungen für den Betroffenen noch geringer sind. Das kann beispielsweise eine Arztpraxis oder ein Gesundheitszentrum sein.
Georg Dodegge war Betreuungsrichter am Amtsgericht Essen und ist erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zum Betreuungswesen in Nordrhein-Westfalen. Auf seinem Blog schreibt er über die Entwicklungen im Betreuungsrecht.
Wie viele Anträge auf Zwangsbehandlungen gibt es und wie hoch ist die Quote der Genehmigungen?
2020 gab es 6599 Anträge, dabei 4032 Genehmigungen plus 320 richterliche Anordnungen als Eilmaßnahmen. 2021 sank die Zahl auf 6199 Anträge. Es gab 3783 Genehmigungen plus 267 richterliche Anordnungen als Eilmaßnahmen. Diese Zahlen betreffen Zwangsbehandlungen von somatischen und psychiatrischen Krankheiten. 2021 gab es zudem 5018 Anträge nach Landesunterbringungsrecht, dabei 3293 richterliche Zustimmungen.
Gibt es regionale Schwerpunkte bei der Zwangsbehandlung und wie lassen sie sich erklären?
Regionale Schwerpunkte lassen sich kaum ausmachen. Allerdings hat Berlin relativ hohe Zahlen. Aus der Praxis kann ich Ihnen sagen, dass natürlich mehr Verfahren an den Orten anhängig sind und waren, an denen psychiatrische Kliniken oder große Unterbringungseinrichtungen ansässig sind und auch dort, wo vorsorgende Krisendienste und alternative niederschwellige Behandlungsangebote fehlen.
Auf welcher juristischen Grundlage sind Zwangsbehandlungen überhaupt möglich?
Die juristischen Auseinandersetzungen mit der Frage, ob der Staat die Gesundheit zu schützen hat, gehen zurück auf die Proteste gegen die Startbahn West, eine Erweiterung des Flughafens in der Nähe von Frankfurt am Main in den frühen 1990er Jahren. Damals klagten Anwohner*innen, die durch den verstärkten Flugzeuglärm ihre Gesundheit gefährdet sahen. Das BVerfG entschied, dass der Staat sehr wohl auch für die Gesundheit der einzelnen Menschen zuständig ist.
Nun geht es aber bei der Zwangsbehandlung um Menschen, die ärztliche Behandlungen verweigern. Wird da nicht in deren Recht auf Selbstbestimmung eingegriffen?
Der BVerfG hat entschieden, dass Menschen, bei denen die freie Willensentscheidung nicht gegeben ist, dann zwangsbehandelt werden können, wenn sonst eine schwere Gefährdung ihrer Gesundheit droht. Doch das Gericht hat enge Grenzen für solche Zwangsbehandlungen gesteckt.
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Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich habe als Richter in einem Fall eine Zwangsbehandlung positiv beschieden, bei dem ein Patient eine lebensnotwendige Dialyse verweigerte, weil er in einer Wahnvorstellung der Meinung war, die Mafia wolle ihn durch die Dialyse töten. Er hatte vorher seine Dialysebehandlung aktiv unterstützt und nach dem Ende seiner Wahnvorstellungen setzte er die Behandlung freiwillig fort. Wenn er sie damals abgebrochen hätte, wäre er nicht mehr am Leben.
Inwiefern wurden die Rechte der betroffenen Menschen in den letzten Jahren gestärkt?
Vor Geltung des Betreuungsrechts wurden Patient*innen mit der falschen Behauptung zwangsbehandelt, dass es sich um Mittel zur Stärkung der Nerven handelt. Das wäre heute juristisch nicht mehr möglich. Zudem wurde mit der juristischen Einfügung der Patient*innenverfügung in das Betreuungsrecht die Rechte der betroffenen Menschen gestärkt. Hier können Menschen bei freier Willensentscheidung festlegen, welche Behandlungen sie später zulassen wollen.
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