- Politik
- Regierungsbildung
Sachsens Linke-Chefin: »Jetzt ist nicht die Zeit für Eitelkeiten«
Genossen erwägen Unterstützung von CDU-Mann Kretschmer bei Wahl als Ministerpräsident
Die Linke im sächsischen Landtag überlegt, ob sie einen Regierungschef der CDU mitwählt. Wie war bisher das Verhältnis zwischen beiden Parteien?
Es ist über die Jahre besser geworden. In der Zeit von Kurt Biedenkopf hat man uns nicht nur politisch, sondern auch menschlich wie Aussätzige behandelt. Inzwischen gibt es einen kollegialeren Umgang. Trotzdem hat die CDU 34 Jahre lang auch die besten Vorschläge stur abgelehnt, wenn sie von uns kamen. Dass Michael Kretschmer diese unsinnige Haltung jetzt offenbar aufgeben will, ist ein Schritt nach vorn. Wir werden ihn und die CDU natürlich an ihren Taten messen. Er steht unter großem Druck von Kräften auch aus der eigenen Partei, die Mehrheiten lieber mit der AfD suchen wollen. Sie haben schon während der Verhandlungen mit dem BSW hörbar aufbegehrt.
Für wie ehrlich halten Sie die »ausgestreckte Hand« in Richtung Opposition, von der CDU und SPD sprechen?
Ich kann den Leuten nicht in die Köpfe schauen. Aber ich habe in den Gesprächen mit beiden den Eindruck gewonnen, dass sie es ernst meinen mit der versprochenen »neuen politischen Kultur«. Wir verhandeln offen und auf Augenhöhe. Es darf für keinen der Beteiligten darum gehen, kleine Vorteile herauszuschlagen, sondern darum, die Lebensverhältnisse in Sachsen konkret zu verbessern. Offenkundig werden wir im Gegensatz zum BSW und AfD auch als eine verlässliche Partei wahrgenommen.
Wie werden die sechs Linken abstimmen, wenn Kretschmer zur Wahl steht?
Wir sehen in dem Verfahren, das CDU und SPD anbieten, eine echte Chance – nicht nur, die Faschisten von der Macht fernzuhalten, sondern auch, erstmals in Sachsen unsere Ideen für eine sozialere Politik umzusetzen. Es ist uns den Versuch wert, Kretschmer und die Koalition beim Wort zu nehmen. Sollte sich zudem die Gefahr ergeben, dass ein Kandidat von der AfD oder ein Kandidat von Gnaden der AfD gewählt werden könnte, werden wir unseren Beitrag dazu leisten, das zu verhindern.
Die Chemnitzer Sozialpolitikerin Susanne Schaper sitzt seit 2014 für Die Linke im Landtag und führt seit der Wahl vom September die nur noch sechsköpfige Fraktion. Bereits seit 2019 ist sie Teil der Doppelspitze der Landespartei.
Warum erwägt Die Linke eine Unterstützung der Minderheitsregierung?
Unsere Zeit ist so kompliziert, dass parteipolitische Eitelkeiten aus meiner Sicht keinen Platz haben dürfen. Wir müssen gemeinsam mit den anderen demokratischen Kräften verhindern, dass die extreme Rechte reale Macht gewinnt. Es gibt in CDU und auch BSW durchaus Leute, die bereit wären, der AfD Einfluss zu geben oder zumindest hinzunehmen, dass sie solchen bekommen. Wir wollen das nicht. Und wir müssen dafür sorgen, dass ein sozial verantwortungsvoller Landeshaushalt beschlossen wird. Wenn wir nicht bald finanzielle Sicherheit garantieren, dann stürzen unsere Kommunen, Vereine und Unternehmen ins Bodenlose. Wenn wir jetzt aus Trotz einen auf Fundamentalopposition machen, würde bloß die Wut wachsen, von der sich die AfD ernährt!
Welche Prämissen gelten für ihre Unterstützung bei der Wahl des Ministerpräsidenten oder beim Etat?
Unser jüngster Parteitag hat klare Mindestanforderungen beschlossen: keine Kürzungen im Sozialen, bei Kultur und Bildung, Jugend und im öffentlichen Nahverkehr. Alle Krankenhausstandorte müssen erhalten werden. Wir wollen Maßnahmen gegen den Anstieg der Mieten und Investitionen in die Infrastruktur. Hinzu kommt die Forderung, dass die Minderheitenregierung dauerhaft ausschließt, Mehrheiten mit der AfD zu suchen. Sonst wären wir sofort raus. Diese Zusage haben wir bekommen.
CDU und SPD haben einen »Konsultationsmechanismus« mit der Opposition vorgeschlagen. Wie belastbar ist dieser?
Er darf nicht als Einbahnstraße funktionieren. Wir werden nicht einfach fertige Gesetze ein bisschen schminken und dann abnicken, sondern wollen uns mit eigenen Vorschlägen einbringen. Das Verfahren darf auch keine Black Box sein: Es muss für die Öffentlichkeit erkennbar werden, welcher Partner welche Vorschläge eingebracht und durchgesetzt hat. Wenn wir uns über diese Prinzipien einig sind, lassen sich die weiteren Details sicher klären. Für uns ist klar: Wir werden immer sagen, was wir tun, und dann tun, was wir sagen.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Reichen ihnen mündliche Zusicherungen aus oder braucht es schriftlichen Vereinbarungen?
Ob mündlich oder schriftlich ist für uns nicht maßgeblich, es kommt auf Taten an. Eine Minderheitenregierung braucht Mehrheiten im Parlament. Dazu können wir nur beitragen, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Klar ist: Kretschmers Regierung wäre nicht unsere. Wir sind keine Koalitionspartner. Wir bleiben Opposition und bringen uns verantwortungsvoll ein. Sollten wir seine Wiederwahl ermöglichen oder ihr nicht im Wege stehen, wäre das ein Vertrauensvorschuss in der Erwartung, dass die Koalition mit unseren Vorschlägen ernsthaft und achtsam umgeht.
Die Linke kam nur dank zweier Direktmandate haarscharf in den Landtag. Welche Rolle spielt für ihre Abwägungen die Gefahr, das bei eventuellen Neuwahlen nicht noch einmal zu schaffen?
In unserer Partei gibt es einen Aufbruch, der mich hoffnungsvoll stimmt. Wir gewinnen viele junge Neumitglieder. In der Gesellschaft wächst Protest gegen die drohende ruinöse Kürzungspolitik. Wenn es Neuwahlen geben sollte, dürften in diesem Wahlkampf soziale Themen, für die wir vor allem einstehen, eine größere Rolle spielen als bei der letzten Landtagswahl. Wünschen würden wir uns eine Neuwahl natürlich nicht, das Jahr 2024 war anstrengend genug für alle.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.