- Wirtschaft und Umwelt
- Gewerkschaften
Gesundheitsrisiko Amazon?
US-Senatsbericht prangert schädliche Arbeit an, Gewerkschaften mobilisieren großflächig zu Streiks
Vor den Feiertagen ruft die Gewerkschaft Teamsters in den USA zu Streiks beim Handelskonzern Amazon auf, nachdem eine Frist für Tarifverhandlungen Anfang der Woche verstrichen ist. Neben denen in New York werden Beschäftigte in Chicago, Atlanta sowie an Standorten in den Bundesstaaten Illinois und Kalifornien zu Arbeitsniederlegungen mobilisiert – weitere sollen folgen. »Wenn Amazon sich weigert, über unsere niedrigen Löhne und gefährlichen Arbeitsbedingungen zu verhandeln, haben wir keine andere Wahl, als den Kampf direkt vor die Haustür von Amazon zu tragen«, heißt es im Aufruf vom Mittwoch.
Die Mobilisierung erfolgte, kurz nachdem ein 160 Seiten umfassender Bericht des US-Senatsausschusses für Gesundheit, Bildung, Arbeit und Renten über die Arbeitsbedingungen beim Logistik-Riesen erschienen war. Darin wird dem Konzern vorgeworfen, dass er Beschäftigte durch unerfüllbare Quoten einem erhöhten Gesundheitsrisiko aussetzt.
Der Untersuchung zufolge waren die Verletzungsraten unter Amazon-Beschäftigten in den Lagerhäusern in den vergangenen sieben Jahren fast doppelt so hoch wie im Rest der Branche. 2023 soll die Rate noch 30 Prozent über dem Durchschnitt gelegen haben. Neben Muskel- und Skeletterkrankungen habe die Arbeit in einigen Fällen gar zu »chronischen Schmerzen, Mobilitätsverlust, vorübergehenden und dauerhaften Behinderungen und verminderter Lebensqualität« geführt, wie es im Bericht heißt.
Für die 18-monatige Untersuchung hatte der Ausschuss Berichte von knapp 500 Beschäftigten ausgewertet. Neben 135 Interviews stellten Arbeiter*innen den Ausschussmitgliedern mehr als 1400 Dokumente, Fotos und Videos zur Verfügung, wie es in dem Report heißt. Amazon beschäftigt in den USA über 740 000 Arbeiter*innen in den verschiedenen Lagerhäusern.
Hintergrund für die vielen Verletzungen ist der Auswertung zufolge etwa, dass die Beschäftigten in ihren Schichten teils Tausende Male dieselben Bewegungen wiederholen müssen. Und obwohl das Unternehmen über Sicherheitsprotokolle verfügt, sei es »nahezu unmöglich, sie einzuhalten«. Arbeiter*innen sollen aktiv davon abgehalten worden sein, sich außerhalb des Unternehmens medizinisch versorgen zu lassen. In einzelnen Fällen seien krankgeschriebene Beschäftigte sogar entlassen worden.
Der Grund für die überdurchschnittlich häufigen Verletzungen sei das Geschäftsmodell von Amazon, kritisiert der US-Senator und demokratische Sozialist Bernie Sanders, der die Untersuchung leitete. »Amazon zwingt die Beschäftigten dazu, in einem System zu arbeiten, das unmögliche Quoten verlangt und sie als Wegwerfware behandelt, wenn sie verletzt werden.« Statt Maßnahmen zu ergreifen, beschönige der Konzern Daten, wobei selbst interne Zahlen des Unternehmens zeigten, dass die Verletzungsraten »deutlich höher« seien als im Branchendurchschnitt. Vorschläge für Maßnahmen, um das Arbeitstempo zu verringern, wurden aber nicht umgesetzt.
Amazon weist die Vorwürfe zurück. Der Senatsausschuss habe keine objektive Untersuchung durchgeführt, der Bericht sei »ein Versuch, Informationen zu verdrehen, um ein falsches Narrativ zu verbreiten«. Herangezogene Daten seien gefälscht oder veraltet und auch Vergleiche mit anderen Unternehmen ungenau, bemängelt der Konzern in einer Stellungnahme. Die Verletzungsrate liege nur »leicht« über dem Branchendurchschnitt und die Leistungsanforderungen seien realistisch.
Laut eigenen Angaben hat Amazon im Laufe der Jahre zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit umgesetzt und die Unfallrate in den Jahren von 2019 bis 2023 erheblich reduziert. Neben höhenverstellbaren Arbeitsplätzen und Arbeitsmitteln seien neue Computeralgorithmen eingeführt worden, die die Beschäftigten auf ergonomische Kraftzonen hinwiesen und so die Arbeitsbelastung senkten.
Doch nicht nur in den USA, auch international werden dem Konzern gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen vorgeworfen. »Der Bericht unterstreicht, was uns Amazon-Mitarbeiter in anderen Teilen der Welt seit Jahren berichten«, erklärt die Generalsekretärin der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft Uni Global Union, Christy Hoffman, auf nd-Anfrage. »Es ist nicht nur die Geschichte eines Landes – es ist eine globale Krise.« Vergangenes Jahr gab bei einer Gewerkschaftsbefragung in acht Ländern mehr als die Hälfte der Amazon-Beschäftigten an, dass die Arbeit ihrer Gesundheit schade. In Deutschland fordert Verdi neben Tarifverhandlungen eine Übereinkunft für gesunde Arbeit.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.