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Selbsthass als Milliardengeschäft
Veronika Kracher verweigert sich dem patriachialen Schönheitsideal. Und dafür gibt es Gründe
In »Der eindimensionale Mensch« beschreibt Herbert Marcuse den dem Kapitalismus inhärenten Aspekt, in Menschen sogenannte falsche Bedürfnisse zu wecken, die dann durch Konsum scheinbar befriedigt werden. So wird der Mensch von seinen eigentlichen Bedürfnissen entfremdet und verbleibt weiterhin in seinem falschen Bewusstsein – also dem Glauben, das Leben in diesen auf Gewalt, Entfremdung und Ausbeutung basierenden Verhältnissen sei eigentlich gar nicht so schlecht.
Ich würde dem noch hinzufügen, dass diese Bedürfnisse gerade im warenproduzierenden Patriarchat, in dem wir leben, immer auch gegendert sind und die Funktion haben, geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Heute hat sich die von Marcuse beschriebene Konsumwerbung maßgeblich auf soziale Medien verlagert, wo sie sich immer wieder als regulärer Content tarnt. »Folge mir für meine 16-Schritt-Handpflege-Routine«, erklärt mir eine Influencerin auf TikTok. Und ich schaue ihr fasziniert dabei zu, wie sie ihre Hände mit Schaum einreibt, über heißen Wasserdampf hält, kaum existente Härchen entfernt, unterschiedliche Öle darauf tröpfelt und anschließend eine Maske, eine Wachskur und diverse Cremes verwendet.
Ein paar kurze Clips später: »Christina Aguilera und Lindsay Lohan: Haben sie die Substance (eine Referenz auf den feministischen Horrorfilm von Coralie Fargeat, in dem ein mysteriöses Produkt ewige Jugend und Schönheit verspricht) genommen?« Die das Gesicht aufpolsternden Filler wurden entfernt, die Gesichter dieser Frauen um die 40 wirken, als wären sie die von Frauen Mitte 20: keine Krähenfüße, volle Lippen, ein strahlendes Lächeln, die Nase ist klein und stupsig. Ihre Gesichter sehen sich erstaunlich ähnlich, eine Mischung aus Chloe Kardashian und AI-generierten Partnerinnen, die sich per App downloaden lassen.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
»Je unattraktiver ich zu Bett gehe, desto attraktiver wache ich auf«, verkündet eine junge Frau auf einem anderen Kanal. Sie entfernt eine rosa Satin-Haube von ihren langen, dichten Haaren, pult eine Maske von dem Gesicht und hakt eine Art Kinnhalter von den Ohren, der ein Doppelkinn verhindern und die Haut straffen soll (wissenschaftlich wird an der Effektivität dieser Produkte gezweifelt). »Morning Shed« nennt sich diese Routine, die verspricht, mit »glass skin« ohne auch nur eine sichtbare Pore, Haaren wie aus der Shampoo-Werbung und frei von auch nur den zartesten Fältchen in den Tag zu starten. Laut ihrem Profil ist die junge Frau Mitte 20. Anscheinend aber ist es besser, bereits in diesem Alter Unsummen in Beauty-Produkte zu investieren, als mit Mitte 30 auszusehen wie eine alte Vettel (also: wie eine Frau Mitte 30).
Ein faszinierender Aspekt am warenproduzierenden Patriarchat ist, dass es einem Bruchteil an Frauen zu Vermögen verhilft, in dem diese dann hegemoniale Schönheitsstandards vermitteln, nach denen sich andere Frauen anschließend zu richten haben. Diese entsprechen in der Regel einem patriarchalen Blick: jung, helle Haut, ein fast schon kindliches Gesicht – die ideale Frau darf auf keinen Fall älter wirken als 25, da sind sich Leonardo di Caprio und Social Media einig.
Für Models, Popstars, Schauspielerinnen und Influencerinnen ist es vergleichsweise einfach, diese alle paar Jahre wechselnden Idealbilder zu verkörpern – sie verfügen über die finanziellen Mittel, die spezialisierten Ärzt*innen, erhalten von Unternehmen die neuesten Trend-Produkte gratis, um diese anschließend zu bewerben. Die Durchschnittskonsumentin verfügt hingegen nicht über diese Privilegien, mal schnell ein paar tausend Euro für die Abnehmspritze Ozempic oder einen Facelift ausgeben zu können. Nichtsdestotrotz wird sie gesellschaftlich dafür sanktioniert, daran zu scheitern, dem herrschenden Ideal von Weiblichkeit zu entsprechen, weil sie zu alt, zu dick oder generell zu unattraktiv erscheint.
Die Beauty-Industrie, soziale Medien, die Kulturindustrie und generell eine ganze Gesellschaft stützt sich darauf, dass wir uns als Individuen niemals gut genug fühlen, sondern stattdessen jeden kleinen Makel unter der Lupe sezieren und ausmerzen wollen. Sie wecken, um zurück zu Marcuse zu kommen, das falsche Bedürfnis der perfektionierten Weiblichkeit: Wir müssen dünn sein, also so wenig Raum wie möglich einnehmen. Jugendlich wirken, also keine Lebenserfahrung und Reife an den Tag legen. Immer frisch und geschminkt wirken, aber niemals »zu viel« Make Up tragen, weil dies auf zu viel Persönlichkeit und Individualität schließen lässt. Und erfüllen lässt sich dieses falsche Bedürfnis dann durch den Konsum der »richtigen« Produkte und Dienstleistungen – auch wenn diese, gerade in Bezug auf sogenannte Fast Fashion, nur wenige Monate nach Produktion an den Küsten von Ländern wie Ghana landen.
Ein perfider Clou der kapitalistischen Verhältnisse: Wir internalisieren die gegen uns gerichtete Herrschaft und verkaufen sie uns selbst als unsere eigenen, selbstbestimmten Interessen. »Choice Feminism« wird das genannt: Wenn ich als Frau eine Entscheidung treffe, zum Beispiel mir Botox spritzen zu lassen, dann ist diese automatisch feministisches Empowerment! Dies blendet jedoch aus, dass wir eine Ideologie verinnerlicht haben, die unseren eigenen Interessen zuwider läuft – auch, um uns vor Verurteilungen der patriarchalen Gesellschaft zu schützen.
Unser Selbsthass ist ein Milliardengeschäft. Das bedeutet auch: Selbstliebe, sich schön genug zu finden und auch Schönheit in vermeintlichen Makeln zu entdecken, ist eigentlich ein subversiver Akt. Damit meine ich nicht die neoliberale Vorstellung von kommodifizierter »Selfcare«, die ebenfalls nur propagiert wird, um Profit zu schaffen. Nein, ich meine etwas ganz grundlegendes: sich selbst gut genug zu sein.
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