Werbung

Skitourengehen leicht gemacht: Abkürzen mit der Bauern-Gondel

Im schweizerischen Engelberg sind »Buiräbähnli« begehrte Aufstiegshilfen der Skitourengeher

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.
Ursprünglich ist ihre Bahn für Heu und Mitarbeiter gedacht: Elisabeth Töngi-Waser vom Rugisbalm-Hof
Ursprünglich ist ihre Bahn für Heu und Mitarbeiter gedacht: Elisabeth Töngi-Waser vom Rugisbalm-Hof

Die Skitour beginnt mit einem Telefonat. Man muss den grauen Hörer abnehmen, der so groß ist wie ein Knochen. So etwas kennt man nur noch aus alten Filmen. Auch die Seilbahn könnte problemlos aus einem 80er-Jahre-Streifen stammen. Wir sitzen in der blauen Kabine aus Aluminium auf zwei Sitzbänken, die mit Teppich bespannt sind. Die Bahn hat mehr als 75 Jahre auf dem Buckel. Natürlich ist sie gut gepflegt und gewartet, der Schweizer TÜV hat seinen Segen gegeben. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine Frau auf Schweizerdeutsch. Sie fragt, ob alle drin sind, die Ski im Transportwagen liegen, die Tür geschlossen ist.

Ab geht die Fahrt. Vom Engelberger Tal hinauf Richtung Salistock, dessen Kreuz rund 1200 Höhenmeter über uns in der Sonne glitzert. Dort wollen wir heute hin, um auf der Abfahrt dann durch den Tiefschnee zu wedeln. Das »Buiräbähnli«, ein Wort, das wirklich nur Schweizer aussprechen können, erspart uns heute die Hälfte des Weges. Mehr als zwei Dutzend dieser Bauernbahnen gibt es hier im Tal zwischen Luzern und Engelberg. Vor allem im Winter sind sie unersetzlich, die einzige Verbindung zur Außenwelt für die Häuser hoch droben am Hang.

Mit 4,80 Meter pro Sekunde schweben wir Richtung Rugisbalm-Hof, unter uns 100 Meter Luft, über uns der, na ja, leider nicht mehr blaue Himmel. Die Fahrt endet am Bauernhaus, wo Elisabeth Töngi-Waser wartet. Seit 69 Jahren ist sie die Seilbahn-Chefin, hat kuriose Geschichten von Skitourengehern auf Lager, die kreidebleich aus der Gondel gestiegen sind. Wir verschieben das Schwätzchen auf später, schließlich wollen wir vor der Schlechtwetter-Front auf den Gipfel und wieder runter. Also bezahlen wir auch gleich für die zweite Sektion der Seilbahn, steigen um und sind Minuten später auf 1400 Metern angekommen. Dort beginnen die Hänge, die die Familie von Elisabeth im Sommer noch mäht. Das Heu muss ins Tal, deswegen hat man einst die Bahnen gebaut.

Das ist der zweite Grund, warum es hier eine so hohe Dichte an »Buiräbähnli« gibt. Offiziell sind es mehr als zwei Dutzend. 2016 haben sich die Landwirte dem Seilbahnverband Nidwalden angeschlossen, so heißt der Kanton, in dem wir uns befinden. Auf diese Weise können sie gemeinsam für finanzielle Unterstützung kämpfen und mit Politikern und Behörden besser über Vorschriften, Rechte und Pflichten verhandeln. Der Verband organisiert Aus- und Weiterbildung und Einkaufsgemeinschaften, um den Preis für Ersatzteile und Sanierungen zu drücken. Außerdem ruft er ein gemeinsames Rettungskonzept für Notfälle ins Leben. Parallel hat sich der Verein »Freunde der Kleinseilbahnen« gegründet, der schnell auf mehr als 2000 Mitglieder angewachsen ist. Er besteht hauptsächlich aus Wanderern und Tourengehern, die froh über jeden Höhenmeter sind, den sie sich beim Aufstieg sparen können.

Und so starten wir frisch und fröhlich auf 1400 Metern. Die Luft ist warm, der erste Hang nach der langen Querung steil, aber wir haben ja noch volle Kraft. Wir stapfen durch den Wald, der uns anfangs die Aussicht nimmt. Dann aber weichen die Bäume und geben den Blick frei auf den Lutersee, den man trotz dicker Schneedecke ausmachen kann. Aus dem Hintergrund grüßt der Titlis, Wahrzeichen von Engelberg und ganzjähriges Ziel vor allem für Inder und Thailänder, die einmal in ihrem Leben auf Tuchfühlung mit Schnee und Eis und hohen Bergen gehen wollen.

Mit einem guten, alten Kabeltelefon bestellt man den Lift.
Mit einem guten, alten Kabeltelefon bestellt man den Lift.

Oben auf dem 1896 Meter hohen Salistock sehen wir das Unwetter-Unheil schon heraufziehen. Die dunklen Wolken verdecken aber noch nicht die Aussicht auf die vielen Seen der Region rund um Luzern. Die Abfahrt, das müssen wir zugeben, ist diesmal kein pures Vergnügen. Der Schnee liegt schwer auf dem Hang, weit und breit kein Pulver. Aber eine Skitour ist ja auch ein Naturerlebnis: Einsame Wälder und kleine Bäche wirken wie eine Beruhigungspille. Wer seine Umgebung bewusst wahrnimmt, wird mit Zufriedenheit und Glück belohnt. Als wir stoppen, entdecken wir Tierspuren. Ein Hase ist im Kreis gehoppelt, vielleicht war der Fuchs hinter ihm her.

Dann die letzten Schwünge, und wir stehen wieder bei Elisabeth Töngi-Waser auf der Matte. Als es hier oben noch keinen Strom gab, musste sie jedes Mal das Diesel-Aggregat anwerfen, um die Bahn in Betrieb zu setzen. Heutzutage ist alles elektronisch gesteuert. Ein Knopfdruck genügt und die blaue Gondel setzt sich in Bewegung. Kameras gibt es weder am Berg noch im Tal. Wenn jemand den Telefonhörer abhebt, erklingt via Lautsprecher ein Horn. Dann eilt Elisabeth in die kleine Kabine und nimmt Kontakt mit den Fahrgästen auf. Einmal stieg bei ihr am Hof eine Frau aus der Gondel, die kreidebleich im Gesicht war. »An Skitour war nicht mehr zu denken. Die war fertig.« Nicht nur die luftige Fahrt habe der Frau zugesetzt, sondern auch die steile Aufhängung der Kabine. Die ist nämlich nicht mittig unterm Stahlseil angebracht, sondern vorne und hinten befestigt. »Sie neigt sich entsprechend zur Steigung oder zum Gefälle.«

Buiräbähnli

Es gibt rund ein Dutzend Bahnen, die viele Skitouren im Engelberger Tal er­leichtern. Wer mehr vorhat, kann sich online einen Buiräbähnli-Pass bestellen, der rund 50 Euro kostet und einmalige Gültig­keit für jede Bahn hat. Die Einzelpreise variie­ren, eine Fahrt in der Regel zwischen 5 und 10 Euro. Bei betreuten Bahnen kann man in bar zahlen, andere haben einen Münz-Einwurf (Franken!). Manchmal ist es auch möglich, per Twint zu bezahlen, eine gängige Bezahl-App in der Schweiz.
Alle Infos unter: www.engelberg.ch

Elisabeth hat die Sache voll im Griff. Am Bildschirm überblickt sie jede Gondelfahrt, sieht, wie die Kabine einen Mast nach dem anderen passiert. An Mast Nummer fünf der Bergstrecke ist ein Windmesser angebracht. »Ab 40 Stundenkilometern wird es kritisch, bei 60 geht nichts mehr.« Die IKSS, eine Art Schweizer Seilbahn-TÜV, kontrolliert Jahr für Jahr den Zustand der Bahn. »Beim letzten Mal haben sie die Seile genau untersucht.« Wenn es Beanstandungen gibt, reicht Elisabeth alles an ihren Sohn weiter, der früher bei einem Seilbahnunternehmen in der Nachbarschaft gearbeitet hat. »Der repariert das dann und fertig.«

Plötzlich ertönt das Horn. Elisabeth schaut auf die Uhr. »Ah, das ist die Vreni, die war beim Zahnarzt.« Wenig später steigt die Nachbarin aus der Gondel. Sie hat dicke Backen, kann kaum sprechen. Elisabeth: »Ich fahre auch nur noch ins Tal, wenn ich zum Arzt muss. Ist so schön hier oben. Was soll ich unten?« An diese Sätze müssen wir bei der finalen Skiabfahrt immer wieder denken. Und eines ist sicher: Die Nostalgie-Skitour zur liebenswürdigen Elisabeth bleibt uns besser im Gedächtnis als jede noch so schöne Pulver-Abfahrt bei strahlendem Sonnenschein.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.