Andreas Malm und der gerechte Ökoterror

Der Ökomarxist Andreas Malm erklärt in einem neuen Pamphlet, warum sich an Palästina angeblich das Schicksal des ganzen Planeten entscheidet

  • Julian Kuppe
  • Lesedauer: 8 Min.
Darstellung des Klimaaktivismus aus dem Film »How to Blow Up a Pipeline«, nach der Vorlage von Andreas Malms gleichnamigem Buch
Darstellung des Klimaaktivismus aus dem Film »How to Blow Up a Pipeline«, nach der Vorlage von Andreas Malms gleichnamigem Buch

Andreas Malm ist ein einflussreicher Theoretiker des gegenwärtigen radikalen Klimaaktivismus und des ökologischen Marxismus. Einerseits ist er ein anerkannter marxistischer Akademiker, andererseits veröffentlicht er in schneller Folge aktivistisch orientierte Pamphlete mit radikalen Thesen, die es sogar zur Verfilmung im gleichnamigen Ökothriller »How to Blow Up a Pipeline« schafften. Bevor Malm klimapolitisch aktiv wurde, galt sein Engagement acht prägende Jahre lang aber vor allem der »palästinensischen Sache«, wie er selbst sagt.

Bisher hat der schwedische Humangeograf und Autor seinen Aktivismus für Palästina und seine theoretischen Interventionen zur Klimafrage weitgehend voneinander getrennt. In seinem Text »The Destruction of Palestine Is the Destruction of the Earth« versucht Malm nun, beides ausdrücklich zu verbinden. Ursprünglich erschien dieser im April 2024 als längerer Blogbeitrag auf der Seite des linken britisch-amerikanischen Verlages Verso. Nun dient Malms Essay als Auftakt der Reihe »The Verso Palestine Pamphlets«. Worin aber besteht der Zusammenhang zwischen dem antizionistischen Aktivismus, der radikalen Klimapolitik und ökologischem Marxismus bei Malm?

Revolutionäres Subjekt »Widerstand«

Im ersten Teil des Texts wirft Malm Israel zunächst vor, im Krieg gegen die Hamas in Gaza einen Genozid an den Palästinensern zu verüben und verbindet dies dann mit der Beschreibung klimatischer Extremereignisse. Daran anschließend beschäftigt er sich in etwa der Hälfte des Texts mit Aspekten der britischen Kolonialgeschichte des Nahen Ostens, die für ihn den Zusammenhang zwischen fossilem Kapitalismus und Kolonialismus herstellen. Der Zionismus sei daher ein koloniales Projekt des britischen »Empire«. Im letzten Teil wendet sich Malm damit gegen die These einer jüdischen Lobby und erklärt den jüdischen Staat zum Werkzeug des US-Imperialismus, an den es seit 1967 übergegangen sei. Sowohl dem britischen Kolonialismus als auch dem amerikanischen Imperialismus ginge es mit der »zionistischen Entität« um Zugang zu fossilen Brennstoffen.

Wie es der Titel von Malms Aufsatz verrät, sieht der Autor einen direkten Zusammenhang zwischen der ökologischen Zerstörung der Erde durch den Klimawandel und dem, was Malm die »Zerstörung von Palästina« nennt. Dieser Zusammenhang bleibt aber eine Analogie. Denn dass der fossile Kapitalismus mit Krieg und Terror zusammengeht, trifft hier nicht mehr und nicht weniger zu als beispielsweise auf den Fall des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine oder den Kriegen in Syrien und im Jemen – über die Malm aber nie in diesem Sinne geschrieben hat.

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Malm räumt selbst den Fakt ein, dass alle modernen Ökonomien mehr oder weniger auf fossilen Brennstoffen basieren. Seine Argumentation lautet daraufhin, es sei in dieser Situation vorzuziehen, wenn Profite aus fossilen Energien in den palästinensischen »Widerstand« oder an Al Jazeera fließen, statt an die IDF oder Al-Sisi. Deutlich wird hier ein manichäisches Weltbild, das klar zwischen antiimperialistischem und antikolonialem »Widerstand« einerseits und einer imperialistischen »westlichen Allianz«, angeführt von den USA, andererseits unterscheidet. Den Zionismus stellt er dabei als ein von Beginn an imperialistisches Projekt zunächst des britischen Empires und gegenwärtig des »US Empires« dar.

Den universellen Charakter Palästinas sieht Malm in dem, was er als »Widerstand« versteht. Der palästinensische »Widerstand« – und damit dessen autoritäre Organisationsformen und Terror als Mittel der Politik – gilt ihm als Vorbild für die Klimabewegung. Malm verbindet die Vorstellung eines antikolonialen Guerillakampfs mit der Idee eines apokalyptischen Kampfs um das Klima gegen die fossile Industrie und konstruiert daraus ein revolutionäres Subjekt. Der Begriff des »Widerstands« ist, wie der Historiker und Philosoph Moishe Postone hervorhob, regelmäßig mit einer manichäischen Weltsicht verbunden, die sowohl die Vorstellung von Herrschaft als auch die von politischer Praxis verdinglicht und Unterscheidungen zwischen politisch vollkommen verschiedenen Formen von Gewalt verwischt.

Autoritärer Staat als »Retter«?

Malm ist in der Klimabewegung und darüber hinaus durch seine Aufrufe zu radikalen Aktionsformen wie Sabotage in seinem Buch »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt« und durch ökoleninistische Vorstellungen in »Klima|x« bekannt geworden. Davor hatte er mit »Fossil Capital« und »Der Fortschritt dieses Sturms« bereits zwei Bücher veröffentlicht, die treffende marxistische Analysen des Verhältnisses von Naturzerstörung und Kapital beinhalten. Wie aber ist es möglich, dass Malm einerseits eine marxistisch fundierte Kritik des fossilen Kapitalismus vorlegt, er aber andererseits hinsichtlich der politischen Praxis hochgradig regressive Vorstellungen propagiert?

Die Gründe dafür liegen in einem leninistisch-trotzkistischen Begriff von Staat und Gesellschaft, einem vulgär-marxistischen Antiimperialismus und einem nicht vorhandenen Begriff von Antisemitismus. Einige Rezensionen betonen in Malms Werk einen Widerspruch zwischen staatsfixierten Vorstellungen und bewegungsorientierten Aktionsformen. Tatsächlich hängen diese Momente in Malms Theorie aber zusammen: Auch die militanten Aktionsformen sind bei ihm darauf ausgerichtet, den Staat dazu zu bringen, im Sinne der Forderungen der Klimabewegung zu handeln. Malm befindet sich mit dieser staatszentrierten Politik am radikalen Ende einer politischen Linie, die von Ende Gelände über Fridays for Future bis zur Letzten Generation reicht. Er ist mit seinen Konzepten in der Klimabewegung deshalb so erfolgreich, weil er die dort ohnehin schon vorhandenen Vorstellungen vulgär-marxistisch radikalisiert und legitimiert.

Dazu kommt noch die an sich zwar notwendige, aber theoretisch-konzeptionell verkürzte dekoloniale Ausrichtung in der Bewegung für Klimagerechtigkeit in den letzten Jahren. Der vulgär-marxistische Antiimperialismus trifft sich mit vereinfachten dekolonialen Vorstellungen in dem einfachen Gegensatz von Unterdrückten und Unterdrückern: In beiden werden praktisch ausschließlich die westlichen Länder als imperiale und postkoloniale Mächte problematisiert. In beiden gibt es keinen kritischen Begriff vom Staat als Staat des Kapitals und als politische Form der kapitalistischen Gesellschaft. In Malms Text zeigt sich die regressive Konsequenz dieser Weltsicht, wenn der palästinensische »Widerstand« als Teil einer Achse angesehen wird, die über Libanon, Jemen und Irak bis nach Iran, Russland und China reicht und die ein »Gegenbündnis« zum imperialistischen Westen darstellen soll.

Bereits 2014 bezieht Malm sich positiv auf die Vorstellung eines »Klima Mao«: ein planetarer Souverän, der »gerechten Terror im Interesse der Zukunft der Gemeinschaft« ausübt. Joel Wainwright und Geoff Mann, auf die dieses Szenario zurückgeht, hatten es entworfen, um davor zu warnen. Malm dagegen behauptet bereits in seinem Text von vor zehn Jahren zur »Revolution im Zeitalter des Klimawandels«, es gäbe eine Linie der zunehmenden Dringlichkeit, die mit zunehmender Radikalität einhergehen müsse – die für ihn wiederum gleichbedeutend mit zunehmendem Autoritarismus ist: »Die Politik der Eindämmung des Klimawandels folgt einer Zeitlinie, die von Bernstein über Trotzki zu Mao und darüber hinaus reicht.« Malm stellt sich »so etwas wie eine Diktatur gegen fossiles Kapital, basierend auf der Mobilisierung der Massen« vor, die entstehen könnte, wenn »in Asien die Massen durch einen Machtkampf an die Macht gebracht und die Staaten in Agenten des grünen Terrors verwandelt werden, die im Interesse des Überlebens der Menschheit schnell die Brände fossiler Brennstoffe löschen«.

Ökologischer Erlösungsantisemitismus

Für Malm ist Israel, als koloniales Siedlerprojekt, ein Stützpunkt des US-amerikanischen Imperialismus. Er distanziert sich zwar von offensichtlich antisemitischen Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung, vertritt aber gleichzeitig offensiv einen antiimperialistischen Antizionismus. Dieser reproduziert zwangsläufig antisemitische Muster, auch wenn sie nun in einer »modernen« Form auftreten, die den offenen Antisemitismus bestreitet.

In dem Pamphlet zu Palästina wird das in der Gegenüberstellung deutlich, die den gesamten Text durchzieht: Auf der einen Seite Palästina als natürliche Einheit von Land, Natur und Bewohnern und auf der anderen Seite das koloniale, vom Imperialismus geschaffene »zionistische Gebilde« zur Durchsetzung der Interessen des imperialistischen Zentrums und des fossilen Kapitals. Es ist eine Form der »Konkretisierung des Abstrakten«, der »Fetischisierung des globalen Kapitals in Gestalt der USA und Israels«, wie Postone erklärte. Einen jüdischen Staat kann es in diesem Weltbild nicht geben.

Nur mit dieser antisemitischen Denkfigur wird verständlich, wie Malm behaupten kann, ausgerechnet die »Zerstörung Palästinas« sei die »Zerstörung der Erde«. Im Umkehrschluss beinhaltet sie, Israel und die USA seien als Verkörperung des fossilen Kapitals für beides verantwortlich und beides könne nur durch deren Zerstörung beendet werden. Aus dieser Ideologie heraus ist Terror als »Widerstand« notwendig und gerechtfertigt. Die derart »fetischisierte antikapitalistische Ideologie«, wie Postone es nannte, führt zu einer autoritären und reaktionären Politik, die jede Aussicht auf sozial-ökologische Selbstbestimmung und vernünftige Regelung des Stoffwechsels mit der Natur ausschließt.

Malm ist ein extremes Beispiel einer in der internationalen Linken, im anglophonen akademisch orientierten Marxismus, in der kritischen Geografie, in der Klimabewegung und im dekolonialen Diskurs weit verbreiteten Haltung. Viele von ihnen liefern, wie Malm, wichtige Beiträge zur Kritik von Aspekten der bestehenden destruktiven Verhältnisse, aber in Bezug auf Israel und Antisemitismus ist ein Ausfall der Reflexion festzustellen. Das macht die Kritik, sofern sie bestimmte Aspekte trifft – im Falle von Malm seine Kritik am fossilen Kapitalismus und an postmodernen Naturverständnissen –, nicht hinfällig. Es muss allerdings genau dem Zusammenhang der jeweiligen Kritik mit dem Ausfall der Reflexion in Bezug auf Antisemitismus nachgegangen werden, um unterscheiden zu können, woran angeschlossen werden kann und woran nicht.

Der Zusammenhang zwischen den zunehmend verhärteten, aber unsicher und instabiler werdenden sozial-ökologischen und geopolitischen Verhältnissen und der Tendenz zu autoritären politischen Vorstellungen bedarf dringend stärkerer Aufklärung.

Julian Kuppe ist Geograf und beschäftigt sich mit dem Zusammenhang der kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, sozial-ökologischer Krisen und der Subjektform.
Andreas Malm: The Destruction of Palestine Is the Destruction of the Earth. Verso 2025, 114 S., br., £ 9,99.

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