»Inhalte zu löschen, ist weder demokratisch noch neutral«

Hat die bayerische Staatskanzlei Einfluss auf einen städtischen Podcast genommen?

  • Interview: Hendrik Pachinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Staatskanzlei in München. Von hier aus soll Einfluss auf einen städtischen Podcast in Nürnberg genommen worden sein.
Die Staatskanzlei in München. Von hier aus soll Einfluss auf einen städtischen Podcast in Nürnberg genommen worden sein.

Frau Böhm, Sie waren Interviewpartnerin beim Podcast »Kontakt Aufnahme«. Was ist das für ein Podcast und über was haben Sie dort gesprochen?

»Kontakt Aufnahme« ist ein Podcast-Format des Bildungszentrums Nürnberg. Ich war dort vor einigen Wochen zu Gast, um als Mitarbeiterin des bayerischen Flüchtlingsrats über aktuelle migrationspolitische Entwicklungen zu sprechen.

Nach der Aufzeichnung ist der Podcast zum regulären Sendetermin ausgestrahlt worden, mit ihrer Kritik an staatlichen Maßnahmen. Kurz darauf wurde er aber gelöscht und einige Tage später erneut in der Mediathek hochgeladen, nur fehlten einige Ihrer Beiträge. Wieso das?

Uns beim bayerischen Flüchtlingsrat stellt sich nach wie vor die Frage, wie und weshalb es zu dieser Kürzung gekommen ist. Zunächst war der Podcast ein paar Stunden nach der Veröffentlichung nicht mehr verfügbar. Auf Nachfrage in der Redaktion wurde uns mitgeteilt, dass es Ärger aus der bayerischen Staatskanzlei gebe. Nach einigen Tagen ging der Podcast wieder online, allerdings um knapp 13 Minuten gekürzt. Es fehlen der Beitrag zu den Tauschaktionen sowie ebenso alles, was über die Ausländerbehörde Nürnberg sowie Markus Söders Vorschlag zur Einrichtung von mehr Lagern und den erleichterten Arbeitsmarktzugang gesagt wurde. Allerdings bestreitet die Stadt Nürnberg laut Nachfrage des Bayerischen Rundfunks eine Einflussnahme der bayerischen Staatskanzlei und gibt an, diese Entscheidung selbst getroffen zu haben.

Interview


Johanna Böhm ist Mitarbeiterin beim bayerischen Flüchtlingsrat in Nürnberg. Dort ist sie zuständig für Beratungen und Öffentlichkeitsarbeit.

Auf Ihre Nachfrage in der Redaktion erhielten Sie die Antwort, dass sich die Pressesprecherin von Ministerpräsident Markus Söder gemeldet habe. Kritiker sehen hierin einen Eingriff in die Pressefreiheit und staatliche Zensur. Die Staatskanzlei wiederum behauptet auf Nachfrage des Bayerischen Rundfunks, dass es überhaupt keinen Anruf gegeben habe. Wie sehen Sie die Vorgänge?

Sollte die Staatskanzlei tatsächlich Druck auf die Stadt Nürnberg ausgeübt haben, wäre das ein heftiger Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Dass die Pressesprecherin von Markus Söder sich derart an den Inhalten des Podcasts gestört haben soll, dass unmittelbar interveniert wurde, wirkt nicht nur ganz schön komisch, sondern ist auch höchst alarmierend. Aber auch ohne direkte Einflussnahme der Staatsregierung bleibt der eigenständige »Korrekturbeschluss« der Stadt Nürnberg sehr fragwürdig. Hier hätten wir zumindest eine offizielle Klarstellung erwartet, wie und warum es zu der Kürzung kam. Auch hätte die Stadt Nürnberg oder der Leiter des Bildungszentrums eigeninitiativ auf uns zugehen können, um die kontroversen Punkte noch einmal gemeinsam durchzusprechen, bevor der Podcast still und heimlich gekürzt wird.

Die Schirmherrin des Podcasts, das städtische »Bildungszentrum BZ«, verweist auf eine Verletzung des »Neutralitätsgebots« und des »Beutelsbacher Konsenses«. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Wir finden nicht, dass eine Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens und ein Neutralitätsgebot hier zutreffend ist. Uns erscheint eine Berufung auf Neutralität eher als Vorwand. Denn entfernt wurden Kritik an CSU-Projekten und Passagen über Themen, die der CSU gegen den Strich gehen. Kritische Aussagen zur aktuellen Migrationspolitik, die eher die Ampel-Regierung betreffen, blieben hingegen erhalten.

Dass der bayerische Flüchtlingsrat keine neutrale Position einnimmt, ist klar. Der Beutelsbacher Konsens fordert aber, unterschiedliche Perspektiven auf eine bestimmte Thematik sichtbar zu machen, um eine kritische Meinungsbildung zu ermöglichen. In dem Podcast ging es um eine fachliche Einschätzung zu aktuellen fluchtpolitischen Thematiken aus Perspektive einer Menschenrechtsorganisation. Dabei wurde nicht nur Kritik geäußert, sondern aus unserer Sicht wurden auch einigermaßen vernünftige Vorschläge aus der Staatskanzlei oder potenziell positive Aspekte der Bezahlkarte hervorgehoben. Wenn Markus Söder, die Staatskanzlei oder die Stadt Nürnberg das zu einseitig finden, könnten sie sich einfach selbst an der Debatte beteiligen. Inhalte einfach zu löschen, ist weder demokratisch noch neutral.

Gerade die Bezahlkarte ist in Bayern ein heißes Thema und wird kontrovers diskutiert. Ist es nicht vielleicht gerade dann Aufgabe staatlich finanzierter Bildungsträger, eine Position der »Neutralität« zu beziehen?

Wenn es einen gesellschaftlichen Disput um politische Praxen gibt, dann ist die staatliche Haltung nicht »Neutralität«. Staatlich finanzierte Bildungsträger sollten Differenzen darstellen und so zur Meinungsbildung beitragen. Eine Demokratie lebt davon, dass sich Menschen mit verschiedenen Meinungen zu diversen Themen auseinandersetzen und verschiedene Positionen beziehen können. Nur weil von oben entschieden wurde, dass die Bezahlkarte eingeführt wird, muss es trotzdem möglich sein, diese Entscheidung kritisch von unten zu diskutieren. Auch das muss durch Medien sichtbar gemacht werden. So eben auch die zahlreichen Proteste gegen die diskriminierende Bezahlkarte, zum Beispiel in Form der Tauschinitiativen.

Was genau darf man sich unter einer Tauschinitiative vorstellen?

In Bayern, aber auch bundesweit entstehen zurzeit zahlreiche solidarische Tauschstellen. Menschen mit Bezahlkarte kaufen im Supermarkt oder einer Drogerie einen Einkaufsgutschein, andere Personen können in der jeweiligen Tauschstelle gegen Bargeld diesen Gutschein eintauschen und dann damit im Supermarkt einkaufen gehen.

Diese Tauschaktionen sind, so scheint es, vor allem der CSU sowie der AfD ein Dorn im Auge. Dafür ist das Bohei um den Podcast ein gutes Beispiel. Die Bezahlkarte verstößt unserer Meinung nach gegen das verfassungsmäßige Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und ist ein Instrument der Schikane. Für uns stellen die Tauschaktionen daher eine notwendige Reaktion auf die Bezahlkarte und ihre restriktiven wie fragwürdigen Regelungen dar.

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