1. FC Union Berlin: Zeit, sich zu besinnen

Der Verein und seine Fußballer gehen mit großen Problemen ins neue Jahr

Notwendige Besinnung: das Weihnachtssingen in der Alten Försterei
Notwendige Besinnung: das Weihnachtssingen in der Alten Försterei

Benedict Hollerbach formulierte den Auftrag für sich und alle seine Mitspieler beim 1. FC Union: »Wir wollen mit einem frischen Kopf in das neue Jahr starten.« Der 23-Jährige geht auch auf dem Platz voran – als bester Torschütze der Berliner in der Bundesliga. Damit steht er jedoch zugleich für die Krise in Köpenick. Mit seinen bislang drei Saisontreffern wird Hollerbach in der Ligastatistik gerade mal auf Platz 38 geführt. In den bisherigen 15 Spielen trafen Unions Fußballer nur 14-mal ins gegnerische Tor und stellen damit die drittschlechteste Offensive der Bundesliga.

Gefährliche Funktionärssprache

Welche Rolle der Kopf spielt, bewies Hollerbach selbst, als er nach dem 1:4 am vergangenen Sonnabend in Bremen von einer »Niederlagenserie« sprach. Vergessen hatte er die Partie zuvor gegen den VfL Bochum sicherlich nicht – aber das Unentschieden im Heimspiel gegen den Tabellenletzten blieb ihm nicht als Punktgewinn im Gedächtnis. Negative Assoziationen sind nach nunmehr acht Partien ohne Sieg, darunter fünf Niederlagen, nachvollziehbar.

Diese »Tendenz« findet Horst Heldt natürlich »nicht zufriedenstellend«. Unions Sportchef will sich nun aber auch erst mal besinnen, »die Eindrücke sacken lassen.« Damit bedient er sich der üblichen Funktionärssprache, die nichts Gutes ahnen lässt. Das wiederum wundert nicht, hatte sich der 1. FC Union im Sommer mit der Verpflichtung des 55-Jährigen einfach auf das Manager-Karussell des deutschen Fußballs geschwungen. Greifen nun auch in Köpenick so schnell die Mechanismen des Geschäfts, folgt einem fehlenden Bekenntnis zum Trainer wie zumeist dessen Entlassung. Angetrieben wird dieser Ablauf im mit jeder Schlagzeile geführten Kampf um Aufmerksamkeit medial schon längst.

Versäumnis vom Sportchef

Unbedacht formulierte Heldt seine Worte sicher nicht. Schon eher aus Routine seiner Funktionärsarbeit in Stuttgart, Gelsenkirchen, Hannover und Köln, was es aber auch nicht besser macht. Denn zur Wahrheit gehört ebenso, dass Trainer Bo Svensson nur damit arbeiten kann, was ihm zur Verfügung steht. Was ihm fehlt, ist ein bundesligatauglicher Mittelstürmer. Und Heldt war, warum auch immer, nicht in der Lage, dieses schon vor dem Sommer bekannte Problem im Kader der Berliner zu lösen.

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Deutlich machen das Versäumnis von Heldt die Zahlen: Mit 185 Torschüssen liegt Union im soliden Mittelfeld der Liga. Torgefahr entwickelt das Team mit dem Offensivplan des Trainers durchaus. Weil vorn aber ein sicherer Vollstrecker fehlt, finden sich die Berliner in der Effizienztabelle auf dem vorletzten Platz wieder. Ein weiteres Argument für Svensson ist die Abwehrarbeit: Auch nach dem 1:4 in Bremen stellt Union mit 19 Gegentreffern noch immer die zweitbeste Defensive. Und die Mannschaft scheint ebenfalls in Takt. Dafür, dass Einstellung und Leidenschaft stimmen, spricht die zweitbeste Laufleistung der Bundesliga.

Schatten über der Selbstinszenierung

Die Zeit der Besinnung begann am Montag mit dem traditionellen Weihnachtssingen. Denn sammeln muss sich die ganze Union-Familie – auch Fans und Vereinsführung. Über der rot-weißen Selbstinszenierung schwebte weiterhin der dunkle Schatten des letzten Heimspiels gegen Bochum. Der Feuerzeugwerfer wurde zwar identifiziert und vom 1. FC Union selbst mit einem dreijährigen Stadionverbot belegt. Auf eine Entschuldigung warten der am Kopf getroffene Torwart Patrick Drewes und der Verein weiterhin vergeblich.

»Wir können uns nicht für eine andere Person entschuldigen.« Mit dieser absurden Logik begründete Union seine Haltung. Nicht mal ein Bedauern? Das ist schwach. Zumal die darauffolgenden Pfiffe im Stadion und Beleidigungen in sozialen Medien weit mehr als nur eine Einzelmeinung darstellen. Hat Drewes übertrieben? Konnte oder wollte er danach nicht mehr weiterspielen? Selbst wenn, dann ist es nicht das Thema, das den 1. FC Union Berlin beschäftigen sollte. Vielmehr dieses: Das Tabu in der Alten Försterei, keine Gegenstände auf den Platz zu werfen, wurde von den eigenen Fans gebrochen.

Ob Unions sportliche Situation noch bedrohlicher wird, entscheidet der DFB am 9. Januar. Ist der Einspruch des VfL Bochum erfolgreich, verlieren die Berliner einen im Abstiegskampf vielleicht wichtigen Punkt. Eine Woche davor nehmen Unions Fußballer wieder das Training auf. Ob Bo Svensson dann noch auf dem Platz das Sagen hat, entscheidet Horst Heldt bestimmt nicht allein. Das einst so gewinnbringende Vertrauensverhältnis im Verein hat er jedoch recht leichtfertig zerstört.

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