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Weltzeituhr Berlin: Mechanische Kooperation von Ost und West
Ein Erbe der DDR: Die Urania-Weltzeituhr am Alexanderplatz bekommt nicht immer die Anerkennung, die ihr zusteht
Am Alexanderplatz herrscht eigentlich immer Trubel. Wenn nicht gerade Weihnachtsmarkt ist, sind es vor allem zahllose Umsteigende und Reisende, die den Platz in Berlin-Mitte bevölkern. Und Tourist*innen. Neben dem Fernsehturm, der mal in den Wolken verschwindet, mal einen Blick über ganz Berlin verspricht, ist es vor allem die Weltzeituhr, die Menschen aus aller Welt anzieht. Auch im späten Dezember stehen zahlreiche Gruppen um die Uhr herum und machen Selfies, vermutlich mit der Uhrzeit ihrer Heimat. Ein Foto mit der Uhr gehört zum Berlin-Reise-Portfolio genauso dazu, wie ein Selfie am Brandenburger Tor.
Die Uhr selbst, die eigentlich »Urania-Weltzeituhr« heißt, dreht gemächlich ihre Runden. Auf einer Säule thront ein Zylinder mit 24 Seiten, jede einzelne für eine der 24 Haupt-Zeitzonen der Erde. Im Inneren dreht sich ein Zeitring und durchläuft die einzelnen Hauptzeitzonen. Die Aluminiumplatten, auf denen die Namen wichtiger Städte der jeweiligen Zeitzonen eingraviert sind, sind vom Wetter gezeichnet. Zwei Platten sind behelfsmäßig ersetzt. Sie werden aktuell repariert, nachdem im September ein Obstlaster gegen die Uhr gefahren war. Über dem Zylinder wiederum dreht sich wesentlich schneller, etwa einmal pro Minute, ein stilisiertes Planetensystem.
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Die Uhr dokumentierte Zeitgeschehen. Petra Kelly und vier andere Grüne demonstrierten 1983 dort. »Abrüstung in Ost und West – jetzt damit anfangen« und »Schwerter zu Pflugscharen« stand auf den Transparenten. Die Grünen standen damals noch konsequent für den Frieden ein. Zeiten ändern sich, könnte man sagen. 1989 demonstrierten um die Uhr herum Zehntausende für einen anderen Sozialismus und bekamen die BRD. Auch heute starten regelmäßig Demonstrationen dort und die Umweltgruppe Letzte Generation sprühte sie aus Protest 2023 großflächig mit oranger Farbe ein.
Eingeweiht wurde die Uhr am 30. September 1969, pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR und kurz vor der Fertigstellung des Fernsehturms. Der Entwurf der Uhr hatte sich in einem Wettbewerb durchgesetzt und musste, unter Bedingungen einer Mangelwirtschaft, in einer Rekordzeit von neun Monaten fertiggestellt werden. Um das möglich zu machen, wurden nicht nur »Feierabendbrigaden« in den herstellenden Betrieben eingerichtet, sondern auch einiges an Geld mobilisiert.
»Ich habe nicht erwartet, dass das so ein Volltreffer wird.«
Erich John Designer der Weltzeituhr
»Wir konnten die Kugellager nicht in der DDR beschaffen«, erinnert sich Erich John in einem Interview mit der Stiftung Industrie- und Alltagskultur. John war Formgestalter, wie Designer in der DDR hießen, und hat das Monument entworfen. Das fehlende Kugellager wurde per Sondergenehmigung bei Rothe Erde Dortmund in der Bundesrepublik für 10 000 Westmark bestellt und rechtzeitig geliefert. Eine mechanische Ost-West-Kooperation: Die Sonderanfertigung mit 1,20 Meter Durchmesser sorgt zusammen mit einem umgebauten Trabant-Getriebe für die Rotation der Uhr.
Wertschätzung für die Weltzeituhr vermisst ihr Designer Erich John: »Ich habe das Gefühl, dass Dinge, die in der DDR entstanden sind, nicht als so wichtig angesehen werden«, sagte er im November dem »Tagesspiegel«, als die Reparaturarbeiten nach dem Obstlaster-Unfall noch immer andauerten.
Für sein Lebenswerk hat John 2021 das Bundesverdienstkreuz bekommen. Soviel Anerkennung war ihm aber nicht immer vergönnt. Mit dem Ende der DDR musste er seine Stelle an der Kunsthochschule Weißensee abgeben, nachdem 1992 alle Hochschulmitarbeiter entlassen worden waren. Und das, obwohl Formgestalter John schon vorher hochdekoriert und international gefragt war. 1982 hatte er den Designpreis der DDR erhalten, im selben Jahr war er Gastprofessor an der US-amerikanischen Ohio State University.
Die Uhr ist mittlerweile nicht mehr aus Berlin wegzudenken und wird auch nicht verschwinden. Denn zumindest formal bekommt sie die verdiente Anerkennung. Seit 2015 steht sie unter Denkmalschutz und bleibt für Berliner*innen beliebter Treffpunkt am weitläufigen Alexanderplatz. »Ich habe nicht erwartet, dass das so ein Volltreffer wird«, so Erich John.
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