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Justiz muss zahlen
NRW-Justizbehörden müssen wegen Fehlentscheidungen knapp zwei Millionen Euro an Entschädigung zahlen
Dass die Justiz Entschädigungszahlungen leisten muss, ist im deutschen Rechtssystem keine Seltenheit. So muss beispielsweise die Justiz in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr rund 1,9 Millionen Euro dafür aufbringen. Nach Angaben der dpa, die sich auf das Justizministerium in Düsseldorf beruft, wurden bis Anfang November bereits fast 1,6 Millionen Euro ausgezahlt. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag die Gesamtsumme bei 1,4 Millionen Euro. Woran der Anstieg liegt, lässt sich laut Justizkreisen nicht eindeutig sagen. Es sei »nichts Besonderes und normales Geschäft«, dass die Höhe der Entschädigungen von Jahr zu Jahr schwankt.
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Menschen, die in Deutschland zu Unrecht inhaftiert wurden haben Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 75 Euro pro Hafttag. Sonja Bongers, rechtspolitische Sprecherin der SPD in Nordrhein-Westfalen, sagte dazu gegenüber »nd«: »Es ist selbstverständlich, dass Menschen, die zu Unrecht in Haft waren, entschädigt werden müssen.« Allerdings stelle sich die Frage, ob 75 Euro pro Tag dem erlittenen Unrecht angemessen seien. »Der ehemalige Justizminister Buschmann hatte eine Erhöhung auf 100 Euro vorgeschlagen, doch umgesetzt wurde das nicht – wie so vieles in seiner Amtszeit«, kritisierte Bongers.
In Berlin belief sich die Summe der Entschädigungen für das Jahr 2023 auf 360 225 Euro. Aktuelle Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor. Die genannte Summe wurde an lediglich 58 Personen ausgezahlt, die im vergangenen Jahr zusammen 4803 Hafttage entschädigt bekamen. Das entspricht durchschnittlich 6 210 Euro pro Person, wie die Senatsjustizverwaltung auf Anfrage der dpa mitteilte. Allerdings variierten die Zahlungen stark und reichten von 50 Euro bis hin zu 21 265 Euro pro Person.
»Der ehemalige Justizminister Buschmann hatte eine Erhöhung auf 100 Euro vorgeschlagen, doch umgesetzt wurde das nicht – wie so vieles in seiner Amtszeit.«
Sonja Bongers rechtspolitische Sprecherin der SPD in NRW
In Bayern werden üblicherweise rund eine Million Euro jährlich an Entschädigungen gezahlt, insbesondere an Menschen, die zu Unrecht inhaftiert waren oder nach Untersuchungshaft freigesprochen wurden. Obwohl aktuelle Zahlen fehlen, gehen justiznahe Kreise davon aus, dass diese Summe auch in den vergangenen Jahren konstant geblieben ist. Im Jahr 2021 lagen die Zahlungen jedoch deutlich höher, bei rund 1,4 Millionen Euro. In den beiden Jahren zuvor wurden jeweils etwa eine Million Euro gemäß dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ausgezahlt.
Die Justizbehörden betonen, dass Entschädigungszahlungen keinen Rückschluss auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen zulassen. Selbst bei einer Verurteilung kann eine Entschädigung erfolgen, wenn beispielsweise die Untersuchungshaft die verhängte Strafe übersteigt – ein Szenario, das nicht selten vorkommt.
Entschädigungen werden nicht nur für Fehlurteile gezahlt, sondern auch für andere unrechtmäßige Strafverfolgungsmaßnahmen, wie etwa ungerechtfertigte Durchsuchungen, Beschlagnahmungen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein vorläufiges Berufsverbot. Solche Maßnahmen können entschädigt werden, wenn sich die Gründe dafür im Nachhinein als unberechtigt erweisen.
Nicht in jedem Fall führt eine Abmilderung eines Urteils im Wiederaufnahmeverfahren zu einer Entschädigung. Wie ein Staatsanwalt aus Duisburg erklärt, erfolgt dies nur, wenn die reduzierte Strafe die bereits verbüßte Haftzeit unterschreitet. Auch bei Freisprüchen und der Ablehnung der Eröffnung eines Hauptverfahrens trägt der Staat zwar die Verfahrenskosten, eine Entschädigung darüber hinaus ist jedoch nicht vorgesehen. Bei eingestellten Verfahren können die Kosten vollständig dem Staat auferlegt werden – es ist jedoch auch möglich, dass Angeklagte ihre Anwaltskosten selbst tragen müssen.
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