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Hagenbuch und Hüschs Hundertster
Achtung: 2025 wird ein Hanns-Dieter-Hüsch-Jahr – eine Vorabuntersuchung
Hagenbuch hat jetzt zugegeben, dass er nun, gegen Ende dieses wiederum bedenklichen Jahres 2024, mit größter Beklommenheit an das kommende Jahr 2025 denke, weniger aus politischen Gründen, so Hagenbuch, das zwar selbstverständlich auch, aber eigentlich, das müsse er zugeben, aus rein persönlichen Motiven. Denn nachdem, so Hagenbuch, all die Jubiläumsfeierlichkeiten des Kafka-, Kästner-, Kant- und Karl-Kraus-Jahres 2024 endlich und endgültig durchgerauscht und abgehandelt seien, abgehandelt, so Hagenbuch wörtlich, werde sich das öffentliche Interesse zweifellos auf Jubiläumskandidaten für 2025 kaprizieren, und dann, so Hagenbuch, sei nicht auszuschließen, ja vielmehr zu befürchten, dass irgendeinem Menschen auffallen werde, dass in dieses quasi vor der Tür stehende Annus horribilis der 100. Geburtstag des sogenannten Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch falle.
Eigentlich, so Hagenbuch weiter, sei dieses Jubiläum ja ein gänzlich unwichtiges, das man getrost übergehen könne, er zumindest würde dieses Jubiläum nur zu gern ignorieren, doch schon eine oberflächliche Recherche im Internet ergebe den erstaunlichen Befund, dass Hüsch keineswegs in Vergessenheit geraten, von der Bildfläche verschwunden und mithin auch kein Anlass für irgendein Jubiläumsgedenken sei, sondern dass sich sein »Werk« offensichtlich nach wie vor einer nicht unerheblichen Beliebtheit erfreue, zumindest in Buchform und als Tonträger verbreitet werde. Und hier, so Hagenbuch, komme er selbst ins Spiel, als Betroffener, ja Leidtragender, denn weil er eine der zentralen Figuren, vielleicht sogar die bekannteste Figur in diesem Werk Hüschs sei, werde auch er immer noch verbreitet und müsse allein deshalb diesem Jubiläum mit erheblichstem Unbehagen entgegensehen. Unbe-hagen/Hagen-buch, er hoffe, das kleine Wortspiel sei angekommen.
Hagenbuch ist eine eingebildete, nörgelnd-unruhige Kunstfigur des Kabarettisten, Schriftstellers und Musikers Hanns Dieter Hüsch, der 2025 sowohl 100. Geburtstag (6. Mai) als auch 20. Todestag (6.Dezember) hat. »Alles, was ich bin, ist niederrheinisch«, sagte Hüsch, der sich mit seinem betont naiv-altklugen Stil als »philosophierender Clown« begriff. Anders als die Liedermacher spielte er auf der Bühne nicht Gitarre, sondern Orgel, trat bei den legendären Essener Songtagen 1968 auf und brach wenig später mit der 68er-Bewegung, als er beim Festival auf der Burg Waldeck als zu »bürgerlich« ausgebuht wurde. Unvergessen sind seine Bearbeitungen alter Slapstickfilme für das ZDF in den 70er Jahren, von Laurel & Hardy bis Pat und Patachon, und für die Sendung »Väter der Klamotte«.
Natürlich wisse er, Hagenbuch, dass man sich seine Eltern wie auch seine Schöpfer nicht aussuchen könne und vorliebnehmen müsse mit dem, was das Schicksal für einen vorgesehen habe. Für ihn, Hagenbuch, habe das Schicksal nun mal Hüsch als Schöpfer vorgesehen, und das müsse man akzeptieren. Allerdings hadere er dennoch damit, von Hüsch zu dem gemacht worden zu sein, als der er nun für alle Zeiten in der Öffentlichkeit herumzugeistern genötigt sei: zu einem redseligen Idioten.
Allein diese Manie, ihn immer nur in indirekter Rede zu zitieren, seitenweise dieses völlig gekünstelte, nichtssagende Geplapper in indirekter Rede, ständig wiederholte Bagatellen oder »lustige« Einfälle, beispielsweise die Namen von seinen, Hagenbuchs, angeblichen Kumpeln: Fugger, Wiesendanger, Wolgensinger, Tröster, Paul auf den Bäumen und Heinz über den Berg. Die alle hätten ihre Namen von Hüsch, während er, Hagenbuch, zumindest laut Hüsch seinen Namen nicht von Hüsch erhalten, sondern ihn »ohne besonderen Grund / Von einem Gastwirt und Metzgermeister / Der für einige Zeit / Auch Stadtpräsident / Des Städtchens Zug / Unweit von Zürich / Gewesen / Und später durch einen Sturz / Von der Treppe im Stadthaus / Zu Tode gekommen sei / Übernommen habe«. So etwas habe Hüsch ohne besonderen Grund hingeschrieben, es sage rein gar nichts aus, solle aber als mächtig originell wahrgenommen werden und freilich auch als Kunstwerk, was ja schon jede und jeder erkennen könne am Verzicht auf Interpunktion und am an Lyrik gemahnenden Zeilenumbruch. Wie auch immer.
Er, Hagenbuch, habe jedenfalls niemals das ihm von Hüsch angedichtete Bedürfnis verspürt, sich als angeblicher Narr freiwillig in eine Anstalt mit dem affigen Namen Bless-Hohenstein einzuweisen und sich dort vom »Ärzte-Team Löchel Pietsch und Zehetbauer« nach der »Tryptichon-Therapie im Rondo-Verfahren / Intensivstation dann Offensivstation dann Defensivstation« behandeln zu lassen, weil, so angeblich Hagenbuch, »die Welt aus einem völlig falschen Verständnis heraus geschaffen worden sei«. Dabei sei seine eigentliche Funktion ja eindeutig die, Hüschs Ideologie zu verkörpern, derzufolge sich dieses selbsternannte »schwarze Schaf vom Niederrhein« nach dem Ende seiner Phase als politischer und das heißt natürlich linker Kabarettist zu einem Kerl habe stilisieren können, der mit der Normalität auf Kriegsfuß stehe und sich an der Seite von Tieren, Kindern und eben Narren wie angeblich ihm, Hagenbuch, als poetischer Außenseiter bestens habe darstellen und verkaufen können.
Allein dieser Missbrauch des Poesiebegriffs sei doch eigentlich justiziabel, vielleicht sei es aber auch einfach nur bemitleidenswert, wie da einer verzweifelt versucht habe, mehr zu sein als ein Kleinkünstler, der auf der Bühne hockt, auf seine kleine Orgel einhämmert und stakkatoartig seine banalen, aber vorgeblich philosophischen beziehungsweise eben poetischen Ergüsse ins andächtige Publikum hineinschmettert. Und all diese Bandwurmtexte seien dann zuverlässig in ein besonders bedeutungsschweres Finale gemündet, den Clou, die Pointe, was dann zum Beispiel so geklungen habe: »Wenn es ein Wasser in Europa gibt nach dem ich mich sehne / So ist es die schwarze und kalte Pfütze / An der traurig ein Kind / Im Atem der Dämmerung / Sein Schiffchen zart wie Maienfalter treiben lässt.«
Das sei ja alles entsetzlich törichtes Zeug, aber, meine Güte, so Hagenbuch, wenn es nun mal Leuten gefallen habe. Wenn sie humorigen Unsinn goutierten, wie etwa die Geschichte, derzufolge er, Hagenbuch, »in seiner Londoner Zeit / Nie ein Musikinstrument angerührt habe // Dagegen habe er in seiner Warschauer Zeit / Das größte Oratorium der Musikgeschichte / Ja der Weltgeschichte komponiert«, dann müsse man das natürlich tolerieren. Und das sei der Fall gewesen, sie hätten es goutiert, massenweise, und sich auch nicht daran gestört, dass Hüsch keine Gelegenheit ausgelassen habe zu betonen, dass er »für die Verrückten« »singe«. Aber nicht nur das Publikum, auch die Kritik sei all dem ja bereitwillig auf den Leim gegangen, indem sie Hüsch als »Don Quijote vom Niederrhein«, einen »guten Hirten vom Niederrhein« oder als »Altes Kind« abgefeiert habe. Lediglich eine Berliner »Tageszeitung« habe ihn zutreffend als »Schaf im Schafspelz« tituliert.
Denn durchaus habe es ja Zeitgenossen gegeben, die das Prinzip Hüsch hinreichend präzise analysiert, ja entlarvt hätten, so Hagenbuch, jawohl entlarvt. Robert Gernhardt etwa habe ja bereits alles hinlänglich aufgeschrieben: Hüsch »zelebriert Außenseitertum« und »stellt sich ungeniert in eine Reihe mit Jessenin, van Hoddis, Lichtenstein«; »so wohltemperiert er daherschwätzt und vor sich hin orgelt, so lau und vage sind die Empfindungen, die sein Vortrag erweckt. Kein Klima für Kritik oder Komik.« Hüschs »Gemeinde« erfreue sich, so Gernhardt weiter, an »süßsaurer Absurdität, wolkiger Poesie und diffuser Bedeutsamkeit«. Und das treffe es ja am besten: eine diffuse Bedeutsamkeit, wie sie sich bereits im Motto zu Hüschens Buch »Der Fall Hagenbuch« (1983) ausdrücke: »Ich widme / Diese Schrift-Stücke / Allen Erwachsenen / Die plötzlich aussehen / Wie Kinder / Die sich noch mit nichts befasst / Aber alles verstanden haben«. Und es sei kinder-leicht, allen Hüsch-Unfug zu verstehen, wenn man sich allein nur dieses prätentiöse Wort »Schrift-Stücke« anschaue.
Man könne den ganzen Kasus, so Hagenbuch, auch kurz und bündig abhandeln, indem man Eckhard Henscheid zitiere, der Hüsch einmal »den Unausstehlichsten« genannt habe, »den erbarmungslosesten aller neudeutschen Satiriker und Kabarettisten und Kleinkünstler«. Und da werde ihm, Hagenbuch, dann wieder bewusst, wie ungerecht es nicht nur im Leben, sondern auch in der Kunst zugehe, denn er hätte ja schließlich auch als Henscheid-Figur das Licht der Literaturwelt erblicken können, eine Rolle in den »Vollidioten« von Henscheid zum Beispiel, das wäre es doch gewesen, so Hagenbuch. Doch dazu sei es nun mal nicht gekommen. Er sei und bleibe Hagenbuch, und damit müsse er sich wohl oder übel irgendwann abfinden. Noch im schönsten Kästnerkantkrauskafkajahr falle er, Hagenbuch, in die tiefste Hüschdepression, und das wolle er, bevor die Hüschhymnen über uns alle, uns alle, so Hagenbuch, kämen, hiermit einfach schon mal gesagt haben, wobei er nun wirklich die Nase voll habe von diesem Thomas-Bernhard-haften Stil. Ihm, Hagenbuch, reiche es. »Mir reicht es«, sagte Hagenbuch. Geht doch.
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