»Better Man«: Nehmt das!

Regisseur Michael Gracey verfilmt mit »Better Man« das Leben des Robbie Williams als Affentheater

Wie kann man da noch überlegen, ob der Affe eine gute Idee war?
Wie kann man da noch überlegen, ob der Affe eine gute Idee war?

Bei Jahrhundertereignissen, die über die Menschheit hereinbrechen, gibt es das eigenartige Phänomen, dass jeder genau weiß, was er an diesem Tag getan hat. Lady Dis Tod, der 11. September, das sind Zäsuren, Tage, an denen man in rasender Geschwindigkeit aus dem Alltag katapultiert wurde. Genau so ein Tag war auch der 17. Juli 1995 (jedenfalls für alle, die damals unter 20 waren). Ich lag am Ufer des Balatons auf einem Badehandtuch und um mich herum verschwanden die Köpfe der übrigen deutschen Urlauber hinter der »Bild«-Zeitung. Dutzende Robbie Williams schauten trotzig zu mir herüber, dazu in fetten Lettern: Robbie ist raus (oder so ähnlich). Mir was das egal, ich hörte Oasis mit meinem ersten tragbaren Discman von Tschibo.

Aber die Pop-Welt war fortan nicht mehr dieselbe. Notrufhotlines für Teenies wurden eingerichtet. Für Robbie Williams war sein Ausstieg bei Take That nicht das Ende, sondern erst der Anfang von »Something Beautiful« (aus dem fünften, sehr guten Soloalbum »Escapology«, 2003). Und auch der Film, der sein Leben erzählt, geht erst so richtig steil, nachdem Robbie aus seinem Boygroup-Knast entlassen worden ist.

»Better Man« ist eigentlich (und es ist gerade erst Januar) der überflüssigste Film des Jahres. Wer interessiert sich noch für Robert Peter Williams? Ehemaliges Mitglied der – zumindest in Europa – erfolgreichsten Männermusik-Gruppe jenseits der Beatles. Sein letztes halbwegs gutes Album veröffentlichte er vor 20 Jahren. 2010 stieg er, wohl aus Mangel an Alternativen, bei Take That wieder ein, um ein Jahr später zu verkünden, er gehe doch nicht mit auf Tour. Dann gründete er in der Tradition ausgebrannter Popstars ein Modelabel, ging damit insolvent, nur um fortan Kooperationsalben mit Musiker*innen herauszubringen, die wesentlich angesagter waren als er (Lily Allen, Kelly Clarkson, Michael Bublé).

Man hatte Robbie Williams also schon so gut wie vergessen und nun das: Am 2. Januar läuft ein lange angekündigtes und von der Öffentlichkeit nicht herbeigesehntes Biopic an, ein Rückblick auf die Jahre vor, während und nach Take That bis hin zum sagenumwobenen Konzert in Knebworth im August 2003, bei dem bis heute unübertroffene 350 000 Fans zu insgesamt drei Konzerten kamen.

Wie schrecklich vorhersehbar, langatmig und salbungsvoll ist »Better Man« nun geworden? Der Film ist ein grandioser Schachzug und der unterhaltsamste Stoff der letzten Jahre! Regisseur Michael Gracey musste keine legendäre Musikerbiografie verfilmen, wie die eines Johnny Cash oder Freddie Mercury, sondern einem noch lebenden ehemaligen Pop-Phänomen gerecht werden, das bekannt ist für seinen schwarzen Humor, seine extreme Selbstüberschätzung und eine einzigartige britische Schnodderigkeit, die schon die Gallaghers an den Tag legten. Und so konnte Gracey eigentlich nur gewinnen, weil die Erwartungen an einen Film, auf den niemand gewartet hatte, extrem bescheiden waren.

»Better Man« ist eigentlich (und es ist gerade erst Januar) der überflüssigste Film des Jahres. Wer interessiert sich noch für Robert Peter Williams?

Wer schon einmal in Stoke-on-Trent, Williams’ Geburtsort, war, weiß, dass die M6, die Autobahn nach Manchester, hier das Spannendste in Sachen Musik ist. Wer aus solchen nordenglischen Käffern kommt, dem bleibt nur eine Karriere als Rockstar (Ian Curtis stammt aus dem nahegelegenen Macclesfield, das 2004 von der »Times« zum kulturlosesten Ort Großbritanniens gewählt wurde). Williams Leben jedenfalls böte die klassischen, zu Tode verfilmten Nuancen eines Musikerlebens: harte Kindheit mit abwesendem Vater, liebende aber überforderte Mutter (die aber dramaturgisch egal ist, weil Frau), große Ambitionen, wenig Förderung, dann Aufstieg wegen unerschütterlicher Beharrlichkeit und noch größerem Talent. Erfolg, Totalabsturz, Rehab und Familienglück, Abspann.

Aber Gracey ist nicht entlang der Wegmarkierung gegangen, sondern er und Williams, die über Jahre eine Freundschaft entwickelten, seit Williams an Graceys Film »Greatest Showman« (2017) mitarbeitete, haben den Argwohn des Publikums antizipiert. Aus Williams’ Talent als Geschichtenerzähler (Gracey hat unzählige Aufnahmen gesammelt, in denen Williams anekdotisch aus seinem Leben erzählt, einige davon haben es ungeschnitten in den Film geschafft, weshalb es unbedingt zu empfehlen ist, den Film im Original zu schauen) und seiner charmanten Selbstironie entwickelten die beiden einen genialen Kniff: Robbie Williams wird im gesamten Film von einem animierten Affen dargestellt. Oft genug sagte Williams über seine Zeit bei Take That, dass er sich vorgekommen sei wie ein dressierter Affe. Auf seinem bereits erwähnten Album »Escapology« gibt es den Song »Me and my monkey«, in dem er und sein Alter ego, ein Affe, ein rastloses Leben in Las Vegas führen.

Eine Idee, die aufgeht, weil der Affe eine Abstraktionsebene schafft, die den Film vor den üblichen langweiligen Fragen schützt: Sieht der Schauspieler Robbie Williams ähnlich? Singt er die Songs selbst und genauso gut? Sind die Bewegungen perfekt einstudiert, ist es also ein originalgetreu runtergespieltes Künstlerleben?

Der Affe ist dafür einer viel grundsätzlicheren Skepsis ausgeliefert, denn er könne ja wohl keine echten Schauspieler*innen ersetzen. Oh doch: Es war die beste Entscheidung. Der Affe rockt den Film allein. Nach zehn Minuten hat man vergessen, wie der echte Robbie Williams überhaupt aussieht. Noch nicht mal einen Cameo-Auftritt hat er sich ins Drehbuch schreiben lassen, was bei seinem Ego einigermaßen erstaunlich ist und Williams’ Humor beweist.

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Das verschmitzte Lächeln, die Tanzbewegungen, alles macht der Affe eine Nummer größer und in Anbetracht dessen, dass es in Robbie Williams’ Leben immer auch um das Verkaufsargument, die Maske und die große Show geht, taugt er sogar als Metapher.

Die bereits oscarprämierte Specialeffectsfirma Wētā FX, die schon den Gollum aus »Herr der Ringe« kreierte, erschafft ein Wesen, das die Filmfigur Robbie Williams quasi sakrosankt macht. Wie er mit seinen großen, traurigen Augen als dreijähriger Affenjunge mit hängenden Schultern vor seinem enttäuschten Vater Peter (Steve Pemberton) steht, dem er gerade die Sinatra-Imitation vor dem Fernseher ruiniert hat, weil er aus Versehen die Antenne vom Gehäuse reißt! So restlos beschämt kann ein Menschenkind, selbst ein sehr niedliches, nicht gucken.

Und dann wiederum ist das Tier in Williams präsent: kalt, arrogant und ein Arsch vor dem Herren als klar ist, dass Robbie bei Take That niemals gegen das Milchgesicht Gary Barlow ankommt, der auch noch die besseren Songs schreibt.

Und indem sich Williams zum Affen macht, vermeidet der Film einen großen Fehler: Er ist zwar bombastisch, zuweilen viel zu laut und musicalesk, wo eigentlich nur schnöde Pop-Geschichte nacherzählt wird, aber er zeigt Robbie Williams nie größer als das Leben. Hochgradig lustig ist eine Szene, in der Williams die Oasis-Brüder trifft und seine Ehrfurcht vor den beiden Oberprolls nicht zu übersehen ist. Mit starken, allegorischen Bildern sind auch die Selbstzweifel inszeniert, die Williams bei fast jedem Auftritt plagen und die auf den abwesenden Vater verweisen. Der Affe wird hier zum eigenen Dämon im Publikum.

Schade ist, dass der Vater, der so ziemlich alles in seinem Vaterleben falsch gemacht hat, im Film auf ein Podest gehoben wird, auf das er nicht gehört. Wogegen die liebevollen Frauen in Williams Leben zu Sidekicks degradiert sind. Die Beerdigung der Oma wird immerhin mit Williams’ größtem Kracher »Angels« unterlegt, obwohl es einen viel passenderen Song gegeben hätte (»Nan’s Song«, den kennt nur keiner). Mehr Aufmerksamkeit ist nicht drin. Aber so ist die Realität. Vorbild, um dessen Anerkennung man sein ganzes Leben lang als Sohn kämpft, ist nun mal der Vater und nicht die Person, die nachts um vier bei Magen-Darm zum dritten Mal die Laken wechselt. »That’s Life«, singt Frank Sinatra, eines von Williams’ größten Idolen.

Und dennoch hat Williams, dessen Originalstimme aus dem Off spricht, nicht zu viel versprochen, wenn er in seiner üblichen Großkotzigkeit bereits am Anfang des Filmes verkündet: »Ich werde euch bestens unterhalten.«

»Better Man«: Australien 2024. Regie und Drehbuch: Michael Gracey. Mit: Jonno Davies, Steve Pemberton, Damon Herriman. 134 Minuten, Start: 2. Januar.

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