Ist das Leben nicht schön?

Schluss mit dem Selbstbetrug auf dem Sofa zwischen den Jahren

Hand aufs Herz zwischen den Jahren: Liebe Zombies, seid ihr alle da?
Hand aufs Herz zwischen den Jahren: Liebe Zombies, seid ihr alle da?

Die »schönste Zeit des Jahres« seien die Tage an dessen Ende, so heißt es. Viele haben arbeitsfrei und keine dringenden Verpflichtungen und können sich daher ganz der Familie widmen: dem dauernörgelnden Partner, den senilen Eltern, dem quengelnden Nachwuchs. Und wer nicht rechtzeitig Vorkehrungen trifft (Vorspiegelung einer Krankheit oder einer Weltreise, Verbarrikadieren der Haus- oder Wohnungstür), hat schlimmstenfalls noch weitere Angehörige an der Backe, denen er ausgeliefert ist und die er durchfüttern muss.

Der angestaute Groll und der Hass, den man das Jahr über auf Mitmensch und Umwelt empfunden hat, sowie das quälende Selbstmitleid werden für einige Zeit erfolgreich unterdrückt und müssen aufgesetzter Besinnlichkeit und gespielter Fröhlichkeit weichen. Unbefriedigt schaufelt man Gänsebratenstücke in sich hinein und spült sie lustlos mit ein paar Flaschen Brunello di Montalcino hinunter, um schließlich fast bis zum Einsetzen des Kotzreizes Adventsschokolade nachzuschieben. Glitzerndes Lametta, knisterndes Kaminfeuer auf dem Fernsehbildschirm und artifizieller Tannenduft sollen von heute auf morgen über das Elend der Welt hinwegtäuschen, unser Wissen um Alter, Hinfälligkeit und Tod aus dem Bewusstsein tilgen und uns vergessen lassen, dass wir zur Existenz in einem gottlosen, finsteren Universum verurteilt sind.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Um diese Form von Selbstbetrug noch zu intensivieren, möchten viele die abendlichen Stunden auf dem heimischen Sofa bei einem guten Filmklassiker genießen. Zur Tradition ist der sogenannte Weihnachtsfilm geworden, der immer eine lebensbejahende Botschaft transportiert. In Frank Capras »Ist das Leben nicht schön?« mit James Stewart in der Hauptrolle beispielsweise lautet diese Botschaft: »Auch du wirst geliebt. Jeder Mensch wird gebraucht.«

Die »Sissi«-Filme wiederum überwältigen den Betrachter mit ihrem tonnenschweren Larger-than-Life-Kitsch und zeichnen das Bild einer Heilen Welt, in der es weder Krankheit noch Armut noch Krieg gibt, sondern nur reiche, weiße, heterosexuelle, sorglose, pumperlgesunde Adelstrottel, die Groschenromandialoge aufsagen: fröhliche Frauen in prachtvollen Ballkleidern und stramme Strahlemänner in frisch gebügelten Uniformen.

Oder man denke an die Sorte verlogener »romantischer Komödien«, die alle nach demselben vorhersehbaren Muster zusammengetackert sind: herzerwärmende Rührseligkeit, süßlich-klebriger Humor, ein bisschen Lachen, ein bisschen Weinen, ein Quentchen angedeuteter Kuschelsex, und ein Happy End, in dem alle einander vor lauter unfassbarem Glück in die Arme fallen. Alles in schön mundgerechten Portionen präsentiert. Und natürlich, nicht zu vergessen: wiederholte Großaufnahmen von Händen, die sich einander zaghaft nähern und schließlich zueinanderfinden. Auf der Tonspur die handelsübliche Mischung aus Richard-Clayderman-Geklimper und Streichorchester-Overkill. Die abgestandene Spießermoral dahinter: Jedes Töpfchen findet sein Deckelchen. Die fügsame Prinzessin mit den süßen Rehäuglein darf am Ende, während sie wohlbehütet in seinen starken Armen liegt, dankbar zu ihrem edlen Ritter aufschauen. »Passe dich an! Gib nicht auf! Verlier nie die Hoffnung!«, so trichtern uns diese Filme erfolgreich ein.

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft während der Jahresendtage nicht ganz andere Filme angesehen werden sollten. Sicher ist jedenfalls: Herkömmliche Weihnachts- und andere Kitschfilme belügen uns und vermitteln uns eine grundfalsche Einstellung zum Leben.

Horrorfilme dagegen, insbesondere solche aus dem Zombie-Genre, haben aufklärende Wirkung. Sie zeichnen ein realistisches Bild unserer Gegenwart: Liebe ist ein bürgerliches Konstrukt, und gebraucht wird der Mensch nur als Rohstoff und Nahrungsquelle. Der Zombie-Film sagt uns die Zukunft unseres Gesellschaftssystems voraus: Die Apokalypse kommt; die unausgesetzte Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen wird verheerende Auswirkungen nach sich ziehen; der Mensch ist des Menschen Wolf.

Allein die Orte des Geschehens, mit welchen man konfrontiert wird, entsprechen viel eher unserer Alltagswirklichkeit als die immer gleichen luxussanierten Altbau-Eigentumswohnungen, blitzsauberen Künstler-Lofts und Ballsäle der Rom-Coms: Elendsghettos, in denen Obdachlose ihre Hände über Feuertonnen wärmen; hoffnungslos überbevölkerte Großstadtviertel; abgestorbene Wälder; verseuchte Industriegebiete.

Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft, so erzählen uns diese Filme, wirst vermutlich auch du, umgeben von brennenden Müllhaufen, die Haut von nässenden Ekzemen und wunden Stellen übersät und in zerlumpter Kleidung, in einer vollständig demolierten und zu vier Fünfteln geplünderten Apotheke im Niemandsland stehen und keine Antibiotika mehr finden, sondern nur noch ein auf dem angekokelten Laminatfußboden vergessenes Hustenbonbon, das du inklusive seiner blut- und schmutzverkrusteten Cellophanumhüllung gierig verschlingst.

Kurz: Das Zombie-Genre lässt uns über die Zukunft unseres Daseins nicht im Unklaren und bereitet uns auf das bevorstehende neue Jahr sehr viel besser vor als Werke wie »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«. Denken Sie künftig bei der Wahl Ihres Jahrensendzeitfilms daran.

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