Aserbaidschan: Zivilgesellschaft unter Druck

Aserbaidschans Regierung forciert eine neue Repressionswelle gegen Andersdenkende

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 3 Min.
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew verantwortet einen immer härteren Kurs gegen Kritiker und die Zivilgesellschaft.
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew verantwortet einen immer härteren Kurs gegen Kritiker und die Zivilgesellschaft.

Kurz vor dem Jahreswechsel ist in Aserbaidschan erneut ein Journalist zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden. Am 28. Dezember verurteilte ein Gericht in der Hauptstadt Baku Teymur Karimov, Chef des Internetsenders Kanal 11, der seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, zu acht Jahren Freiheitsentzug.

Karimov und der mitangeklagten Journalistin Istjak Totiyeva, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, wird vorgeworfen, gegen eine Zahlung von umgerechnet 5000 Euro ein Video aus dem Internet entfernt zu haben. Karimov bestreitet dies. Vielmehr bestrafe man ihn, weil er illegale Handlungen öffentlich gemacht habe, ist er überzeugt. Vor Gericht berichtete der Journalist zudem, in der Untersuchungshaft misshandelt worden zu sein. Auch mit Vergewaltigung sei ihm gedroht worden.

Die Verurteilung Karimovs ist kein Einzelfall. Bereits am 9. Dezember war in Baku Aser Gasymli, Chef des Instituts zu Fragen der politischen Verwaltung, festgenommen und zu vier Monaten Arrest verurteilt worden. Auch ihm wird Erpressung vorgeworfen. Nach Angaben des Internationalen Komitees zum Schutz von Journalisten CPJ in Aserbaidschan befinden sich derzeit 13 Journalisten in Untersuchungshaft.

Gleichzeitig läuft in regierungsnahen aserbaidschanischen Medien eine Kampagne gegen Feministinnen, Nichtregierungsorganisationen und Tiktok-Nutzer.

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Zu den Opfern dieser Kampagne gehören der Leiter der Baku School of Journalism, Ulvi Tahirov, seine Frau, die Feministin und Leiterin der feministischen Gruppe Femact Rena Tahirova. Seit 2016, so das Portal Baku 365, hätten sie Frauen für die feministische Bewegung rekrutiert. Im Weiteren habe man unter dem Deckmantel von Gleichberechtigung der Geschlechter und Frauenrechten »von ausländischen Zentren als Marionetten benutzt« subversive Handlungen ausgeführt. Insgesamt, so der Vorwurf der Medienkampagne, hätten die Feministinnen und andere Nichtregierungsorganisationen seit 2016 Beträge von 350 000 Euro aus dem Ausland erhalten. Regierungsnahe Medien rufen dazu auf, Menschen, die mit den genannten Gruppen in Kontakt stehen, zu denunzieren.

Parallel zur Verfolgung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionspolitikern läuft zusätzlich eine Kampagne gegen sogenanntes unethisches Verhalten im Internet. Betroffen sind davon vor allem Tiktok-Aktivisten. In den vergangenen Monaten wurden mehrere Tiktoker wegen des Vorwurfs illegaler Aktivität, etwa Online-Glücksspiel, verhaftet.

Die Behörden werfen den Verhafteten vor, unethische und inhaltlich fragwürdige Wettbewerbe organisiert zu haben. In einem anderen Fall soll ein Tiktoker im Livestream Sprengstoffe gezeigt haben, die aus alltäglichen Materialien hergestellt wurden. Die bekannte Tiktokerin Juana Guliyeva wurde verhaftet, nachdem sie einen Handwerker, der sie in Kommentaren beleidigt haben soll, im Livestream gezwungen hatte, sich zu entschuldigen und ihre Schuhe zu küssen.

Geschickt erwähnen regierungsnahe Medien in ihrer Berichterstattung, dass Tiktok auch in den USA und in europäischen Ländern kritisch gesehen wird. Ein möglicher Hinweis, dass die aserbaidschanische Regierung über ein Verbot nachdenkt.

Parallel zur Verfolgung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionspolitikern läuft eine Kampagne gegen sogenanntes unethisches Verhalten im Internet.

Der aktuelle Versuch, die Kontrolle über zivilgesellschaftliche Organisationen und unabhängige Medien zu erlangen, erinnert viele Aktivisten an 2013. Damals wurden nach den Präsidentschaftswahlen, die von heftigen Protesten begleitet waren, zahlreiche Änderungen und Ergänzungen im Gesetz über Stiftungen, Steuern und Nichtregierungsorganisationen (NRO) vorgenommen.

Alle NRO müssen sich seitdem Gelder von ausländischen Stiftungen vom aserbaidschanischen Justizministerium genehmigen lassen. Als Folge wurden gegen mehr als 20 Organisationen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, einige NRO verloren ihre Registrierung, mehrere Aktivisten wurden verurteilt und verbrachten Jahre im Gefängnis.

2022 verbot ein weiteres Gesetz Journalisten, Gelder aus dem Ausland anzunehmen. Wer es trotzdem macht, läuft Gefahr, wegen Devisenschmuggels angeklagt zu werden. Im Zuge dieser politischen Spannungen gab es auch Ermittlungen gegen Meydan TV, einen bekannten, unabhängigen und in Berlin registrierten Medienkanal, dessen Mitarbeiter unter Verdacht stehen, in illegale Finanzaktivitäten und ausländische Einflussnahmen verwickelt zu sein.

Ähnlich lautet auch die Argumentation der aktuellen Kampagne. Regierungskritiker werden als korrupt und aus dem Ausland finanziert verleumdet. Dass unabhängige Medien weder Geld durch Werbung einnehmen noch staatliche Gelder bekommen können, bleibt hingegen unerwähnt.

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