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Von Hegemonie und Krieg
Die Themen Blockbildung und Imperialismus zogen sich durch die Konferenz. Ein Panel nahm die Rollen von China, Russland und der EU ins Visier
Kriege werden geführt aufgrund der materiellen Interessen der herrschenden Klasse«: Mit dieser Bemerkung verwies Volodymyr Ishchenko (FU Berlin / Zentrum für Gesellschaftsforschung Kiew) auf das letzte Mittel der Politik, die rein gewaltvolle Eskalation der Krise. Während Krieg in der kapitalistischen Staatenwelt immer eine Option ist, und heute wieder verstärkt eine globale, ist die Herstellung einer Weltordnung noch von anderen Faktoren bestimmt. Mit dem Vorgehen von drei wichtigen Mächten in diesem Szenario, nämlich China, der Europäischen Union und Russland, befasste sich das Panel »Weltordnung und multiple Krisen – wo stehen wir eigentlich?« auf einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung im November 2024.
Während den USA auf dem Panel kein eigener Vortrag gewidmet war, stand die Frage nach der Rolle der bisherigen Weltmacht in einer globalen Ordnung des 21. Jahrhunderts doch im Raum. Derzeit sei eine »Krise der Integrationsfähigkeit des hegemonialen Blocks« zu beobachten, erklärte Jenny Simon (Uni Hamburg/Prokla) und verwies damit auch auf die Tatsache, dass noch der mächtigste imperialistische Staat Bündnisse mit anderen Staaten eingeht, um globale Herrschaft zu sichern. China allerdings arbeite derzeit, so Simon, »gegen eine Blockbildung«, auch um eine militärische Konfrontation mit den USA zu vermeiden. Zudem seien die sogenannten Brics-Staaten, zu denen China zählt, gespalten und deshalb »als Gegenblock nicht zu überschätzen«. Die Vorstellung eines kommunistischen China wies Simon zurück – die chinesische Regierung schlage keinerlei antikapitalistische Töne an.
Der Staatenvereinigung Brics gehört auch Russland an, das mit dem Ukraine-Krieg zweifellos eine globale Neukonfiguration der Blöcke mitbestimmen will. Hier fungiere Brics für Russland, so Volodymyr Ishchenko, als ökonomischer Bezugspunkt unter anderem für die Kompensation der westlichen Sanktionen – der auch ideologisch unterfüttert werde: Mit der Anrufung von »zivilisatorischen Ideen«, die Russland mit anderen asiatischen Kulturkeisen vermeintlich teile, betreibe Putin »konservative Identitätspolitik«.
Angela Wigger (Radboud University, Niederlande) betonte die Relevanz der Binnensituation der Europäischen Union für das Verständnis der globalen Blockkonfrontation. Neben »Spaltungen in Nord-Süd und Ost-West« sei festzuhalten, dass die EU dem Finanzkapital zunehmenden Einfluss auf Gesetzgebung und Risikomanagement zugestehe. Ein wichtiges Instrument in dieser Entwicklung sei die »Capital Markets Union« (CMU), die etwa die Spekulation mit Rentenfonds fördern soll. Ein »Green New Deal« hingegen sei längst passé – der Begriff Dekarbonisierung tauche, so Wigger, auf EU-Ebene kaum noch auf: »Die gesamte Industriepolitik ist auf Militarisierung ausgerichtet, und das wird alle grünen oder sauberen – es wird nur noch das Wort »sauber« verwendet – Energieprojekte verdrängen.«
Die Europäische Union ist ein Bündnis kapitalistischer Staaten, das versucht, als ideeller Gesamtkapitalist zu agieren. Und für dieses Anliegen, das wurde bei Wigger klar, wird die Nicht-Staatlichkeit durchaus zum Problem – zumal in der Konkurrenz mit den USA: Die EU hat ein niedriges Budget, darf keine eigenständigen Schulden aufnehmen, aber die einzelnen Staaten können auch nicht über eigenständige Subventionspolitik konkurrieren. Die EU-Gesetzgebung wiederum »besteht nur aus ‚Acts‘«, worin sich zeigt, dass nur das jeweils einzelne Gewaltmonopol wirklich Recht setzen kann. Relevant für die Frage nach linker Handlungsfähigkeit, die später noch konkret aufgeworfen wurde, war Wiggers Verweis darauf, dass die EU für das Bestehen auf dem Weltmarkt die Arbeitsstückkosten niedrig halten muss. Über diese Kategorie würden die nationalen Arbeiter*innenschaften zueinander in Konkurrenz gesetzt – eine »Travestie des Klassenkampfes«, in der zumal Deutschland bislang sehr erfolgreich sei.
Zum Thema Rolle der USA betonte ein »Angehöriger der Friedensbewegung« aus dem Publikum, diese seien durchaus kein Staat unter anderen, sondern nach wie vor ökonomische und militärische Weltmacht – und entsprechend größter Aggressor in Hinblick auf die aktuell schlimmste globale Bedrohung, den Weltkrieg. Folgerichtig war der Schluss, den der Redner hieraus bezüglich linker Politik zog: Aufgrund dieser Vormachtstellung müsste auch eine soziale Revolution notwendigerweise in den USA beginnen. Gerade für diese ungleichste aller Gesellschaften gilt, wie Jenny Simon betonte: »Die Fragmentierung der Hegemonie zeigt sich auch auf dem nationalen Terrain. Der Druck auf die (arme) Bevölkerung, die Arbeiter*innenklasse wird noch stärker werden.« Vielleicht liege hier aber auch ein Potenzial für progressive Kämpfe? Volodymyr Ishchenko bezeichnete die parlamentarische Linke als »Enttäuschung« und brachte den Begriff der »revolutionären Politik« ins Spiel. Eine explizite Absage an den Parlamentarismus erfolgte zwar nicht – aber einige Schlüsse über die Notwendigkeit, das zu tun, ließen sich aus dem Panel ziehen. In den Worten Jenny Simons: »Es braucht eine neue Internationale!« Und zwar auch, um die Gefahr eines Weltkrieges einzudämmen.
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