BVG fällt bei Sanierung des Tramnetzes weiter zurück

Planungen dauern viel zu lange, Genehmigungen werden nicht erteilt, Anwohner*innen wehren sich und überall fehlt das Personal

Zu wenig Tram-Baustellen in Berlin: Aufgrund langer Planungsphasen, aufwendiger Genehmigungs­prozesse und fehlender Fachkräfte können Bahnstrecken nicht adäquat saniert werden.
Zu wenig Tram-Baustellen in Berlin: Aufgrund langer Planungsphasen, aufwendiger Genehmigungs­prozesse und fehlender Fachkräfte können Bahnstrecken nicht adäquat saniert werden.

Direkt neben dem Straßenbahngleis klafft am Neujahrstag ein großes Loch im begrünten Mittelstreifen der Seestraße im Berliner Ortsteil Wedding. Ein dickes Kabelbündel ragt daraus hervor, dessen Ende mit rot-weißem Absperrband umwickelt ist. Einige Männer in gelben, orangefarbenen und grün-blauen Jacken wuseln rund um die Absperrung herum, ein Bagger zieht seine Kreise, um einen Sandhaufen vom Straßenrand auf den Mittelstreifen umzulagern.

In der Silvesternacht ist hier an der Ecke Guineastraße kurz vor 20 Uhr eine der Hauptwasserleitungen der Stadt geplatzt. Die Kreuzung war überflutet, und Hunderttausende in weiten Teilen der Stadt hatten kein Wasser. Nicht nur die Wasserleitung muss nun repariert werden, auch an der Tram-Strecke ist großer Schaden entstanden. Mindestens das Gleis in Richtung Virchow-Klinikum ist unterspült worden. Außerdem zerstörten die Wassermassen auch die Einspeisung für den Fahrstrom der Bahnen.

Die Männer in den verschiedenfarbigen Jacken sind von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und den Wasserbetrieben. Sie besprechen weitere Schritte. Auf 270 Metern soll das 1928 verlegte Rohr nun erneuert werden. Das soll Monate dauern. Gegraben werden kann nur, wenn der Boden nicht gefroren ist. »Die Wasserbetriebe haben uns für Anfang kommender Woche den Antrag für die Bauarbeiten angekündigt«, sagt Petra Nelken zu »nd«. Sie ist Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung, die die Arbeiten genehmigen muss.

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Man habe das direkt neben dem Straßenbahngleis verlaufende Rohr bereits seit längerer Zeit austauschen wollen. »Die BVG hat uns das bisher aber nicht durchgehen lassen«, sagt Wasserbetriebe-Sprecher Stephan Natz zu »nd«. »Ein förmlicher Antrag ist bisher nicht gestellt worden«, sagt jedoch Verwaltungssprecherin Nelken.

Allerdings warten die Wasserbetriebe nach nd-Informationen seit geraumer Zeit für eine geplante Erneuerung eines anderen Abschnitts dieser Hauptwasserleitung auf die verkehrsrechtliche Genehmigung. Damit hat allerdings die BVG nichts zu tun, sondern das liegt in den Händen der Senatsverkehrsverwaltung.

Offen ist derzeit, wann die Tramlinien M13 und 50 wieder zum Virchow-Klinikum fahren werden. Es könnte schneller gehen als zunächst erwartet, da der von den Wasserbetrieben geplante Rohrtausch auf 270 Metern Länge in dem Bereich die Straßenbahngleise dem Vernehmen nach nur bedingt tangieren könnte. Vielleicht werden die Fahrgäste nur einige Tage statt einige Wochen Ersatzverkehr mit Bussen ab dem U-Bahnhof Osloer Straße hinnehmen müssen. »Die aktuellen Schäden am Gleis und der Stromversorgung werden begutachtet und schnellstmöglich behoben«, heißt es von der BVG.

Und die BVG hat nun eine weitere Straßenbahn-Gleisbaustelle mit unklarer zeitlicher Perspektive an der Backe. Als gäbe es nicht schon genug zu tun. Mit 434 Kilometern Gleisen und 836 Weichen ist nach Angaben der Verkehrsbetriebe Berlins Straßenbahnnetz das drittgrößte der Welt. Allein 2024 gab es 84 Baumaßnahmen zur Instandhaltung der Gleisanlagen, wird im BVG-Mitarbeitermagazin »Profil« berichtet. Unter anderem sechs Kreuzungen und zehn Weichen sind repariert und 2,5 Kilometer Gleise getauscht worden.

79 Baustellen waren bereits im Dezember 2024 für 2025 geplant. Dabei ist noch nicht einmal das Pensum des gerade zu Ende gegangenen Jahres abgearbeitet. Eigentlich hätte bereits am 23. Dezember die Südumfahrung der Altstadt Köpenick fertig sein sollen. Ein neues zweites Gleis entlang der Müggelheimer Straße sollte einen durchgehenden Verkehr auf den Ästen vom Krankenhaus Köpenick Richtung Adlershof sowie von Wendenschloß nach Alt-Schmöckwitz möglich machen.

Offiziell ist derzeit die Eröffnung für den 13. Januar angekündigt, intern ist inzwischen von einer weiteren Verschiebung auf den 27. Januar die Rede. Die Gleise und der neue Bahnsteig am zweiten Gleis sind fertig, aber beim Umbau der Oberleitung hakt es. Zunächst habe die Technische Aufsichtsbehörde sich mit einer Genehmigung sehr viel Zeit gelassen, berichtet ein Insider. Die BVG nennt offiziell Lieferschwierigkeiten für Elektrotechnik als Grund. Auch so etwas ist weiterhin an der Tagesordnung.

»Da müssen wir noch eine deutliche Schippe drauflegen.«

Henrik Falk BVG-Chef

Die großen Bauarbeiten in der Altstadt Köpenick sollen im Februar starten und bis September 2027 dauern. In einer koordinierten Aktion erneuern die Wasserbetriebe ihr Rohrnetz, die BVG die Gleise, außerdem werden endlich barrierefreie Haltestellen gebaut.

So eine abgestimmte Planung benötigt weit mehr Zeit als die tatsächlichen Arbeiten. »In der Altstadt Köpenick hat das sechs Jahre gedauert«, berichtet Stephan Natz von den Wasserbetrieben. Nicht nur die zwei Betriebe müssen ihre Bauabschnitte sinnvoll koordinieren und die Planungen rechtzeitig fertigstellen. Zahllose Stellen müssen vor allem ihre Genehmigung erteilen, besonders intensiv sind mehrere Abteilungen und Unterbehörden der Verkehrsverwaltung involviert.

Nicht nur die Technische Aufsichtsbehörde ist als besonders restriktiv bekannt, auch die Abteilung VI der Senatsverwaltung, die einst als eigene Behörde Verkehrslenkung Berlin als Beispiel besonders dysfunktionalen hauptstädtischen Verwaltungshandelns immer wieder in den Schlagzeilen war. Die BVG bekam den festen Willen der Abteilung VI zum Beispiel im Oktober 2022 zu spüren, als sie eine bereits ausgehobene Grube für den Gleistausch in der Friedrichstraße wieder zuschütten musste. Die nötige verkehrsrechtliche Anordnung war verweigert worden.

All das geschieht vor dem Hintergrund des eklatanten Personalmangels auf allen Seiten – ob Planerinnen und Planer bei der BVG oder beauftragte externe Büros oder Entscheiderinnen und Entscheider in den Behörden. Auch bei den Baufirmen klaffen große Lücken in der Personaldecke. Ausschreibungen, die jeweils mehrere Monate dauern, müssen oft wiederholt werden, weil sich kein Bewerber findet oder Mondpreise aufgerufen werden. Die Beantragung von Zuschüssen für eine Maßnahme bedeutet ein weiteres großes zeitliches Risiko. Und seit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind Lieferprobleme noch hinzugekommen.

Die Gesamtlage erklärt vielleicht auch, warum die Wasserbetriebe das 97 Jahre alte Wasserrohr in der Seestraße nicht getauscht haben, während die BVG die Strecke wegen eigener Arbeiten sowieso gesperrt hatte. Erst kürzlich endete eine dreimonatige Sperrung der Strecke, 2020 war sie sogar fast ein halbes Jahr stillgelegt.

Trotz der Misere soll das aufwendig gebaute zweite Gleis in Köpenick nach der Baustelle in der Altstadt wieder verschwinden, obwohl es dauerhaft sehr sinnvoll wäre. Ein kurioser, nicht mal 20 Meter langer eingleisiger Abschnitt am Ostende soll der Tatsache geschuldet sein, dass es Zweifel an der Tragfähigkeit der 1980 gebauten Frauentogbrücke gebe. Alkali-Kieselsäure-Reaktion, umgangssprachlich auch Betonkrebs genannt, so der Verdacht. Etwas weiter westlich lässt der erforderliche Neubau der Langen Brücke seit Langem auf sich warten. Vielleicht 2028 könnte er starten, vielleicht noch später. Solange die beiden Brückenfragen nicht geklärt sind, soll es keine dauerhafte Zweigleisigkeit geben.

Einiges an Geld, Planungs- und Baukapazitäten wird derzeit auch weiter nordwestlich in eine Straßenbahnstrecke mit begrenzter Perspektive gesteckt. »Bis auf Weiteres« ist derzeit der Abschnitt zwischen Betriebshof und S- und U-Bahnhof Lichtenberg der Linien 21 und 37 gesperrt. Erneuert werden unter anderem Teile der großen Wendeschleife durch Fanninger- und Gudrunstraße. Dabei soll die Wendeschleife durch eine neue Endhaltestelle vor dem Zugang zur U5 und dem Bahnhof Lichtenberg in der Alten Frankfurter Allee ersetzt werden. Die Siegfriedstraße soll ein zweites Gleis erhalten und die Strecke an der Endhaltestelle stumpf enden. Über eine doppelte Kreuzungsweiche sollen die Bahnen das Richtungsgleis wechseln können.

Doch das Projekt, das den Umstieg von der Straßenbahn zu U-, S- und Regionalbahn deutlich bequemer machen soll, zieht sich. Obwohl die BVG bereits 2022 in die Öffentlichkeitsbeteiligung ging, geht man laut Antwort der Pressestelle auf Anfrage von »nd« davon aus, dass die Planfeststellungsunterlagen erst »im Jahr 2026 finalisiert und eingereicht werden können«. Die Umsetzung des Vorhabens sei für 2028/29 vorgesehen, heißt es weiter. Es wird auch bestätigt, dass im Zuge der Arbeiten die gerade erneuerte »Gleisanlage in der Fanningerstraße, Gernotstraße und Gudrunstraße zurückgebaut wird«.

Erstaunlich, dass dieser Aufwand nicht für die Bestandsstrecke der Linie 21 in der Boxhagener und Marktstraße in Friedrichshain und Rummelsburg betrieben werden soll. Der Gleiszustand der Strecke ist so schlecht, dass nach Angaben von Insidern spätestens im September oder Oktober dieses Jahres der Betrieb im Abschnitt eingestellt werden muss. Der Einbau einer provisorischen Bauweiche an der Haltestelle Wismarplatz werde inzwischen vorbereitet, heißt es weiter.

Dabei ließe sich die Strecke laut Insidern mit überschaubarem Aufwand weiterbetreiben, wenn die schlimmsten Stellen mit preiswertem Rahmengleis erneuert würden – wie das gerade am Bahnhof Lichtenberg geschieht. In Friedrichshain kam es so weit, weil sich das Planfeststellungsverfahren für die geplante Verlegung des Abschnitts zum Bahnhof Ostkreuz durch Planungsfehler und massiven Widerstand vor Ort endlos zieht. Es sollte kein Geld mehr in die perspektivisch stillzulegende Altstrecke investiert werden.

Die vielen Probleme sorgen dafür, dass die Instandhaltung des Bestandsnetzes immer weiter hinter dem Bedarf zurückhängt. BVG-Chef Henrik Falk räumte das kürzlich öffentlich in einer Anhörung im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses ein. Flossen 2022 noch 41,8 Millionen Euro in Reparatur, Grund- und Teilsanierung des Tram-Netzes, waren es 2023 nur noch 34,8 Millionen Euro. »Da müssen wir noch eine deutliche Schippe drauflegen, damit wir nicht in einen Instandhaltungsrückstau laufen, der uns dann wehtut«, sagte Falk im Ausschuss.

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