Sie propagieren, wir informieren

Propaganda betreiben nur die Putins dieser Welt, oder? Über eine weitverbreitete Falschannahme und wie sie zustande kam

Was haben Papst Gregor XV, Vladimir Putin und Olaf Scholz gemeinsam? Sie alle sind Propagandisten im eigentlichen Sinne des Wortes.
Was haben Papst Gregor XV, Vladimir Putin und Olaf Scholz gemeinsam? Sie alle sind Propagandisten im eigentlichen Sinne des Wortes.

Fällt das Wort Propaganda, denken viele an Wladimir Putin, Kim Jong-un, Adolf Hitler, Joseph Goebbels – die bösen Männer der Weltgeschichte, die mit gezielten Lügen und hinterlistiger Rhetorik die Massen manipulieren. Propaganda, so die weitverbreitete Annahme, das machen nur die anderen, unsere Feinde – wir hingegen (egal, wer »wir« sind) informieren einfach.

Doch diese Vorstellung ist bereits das Ergebnis eines überaus erfolgreichen Propagandatricks. Denn das, was gemeinhin als Propaganda verstanden wird, zielt an der tatsächlichen Definition des Wortes vorbei. In der Politikwissenschaft wird der Begriff wie folgt definiert: Propaganda ist der Versuch von staatlichen und nicht staatlichen Akteuren, die öffentliche Meinung durch strategische Verbreitung von Informationen in ihrem eigenen Sinne zu manipulieren, also zu ändern.

Propaganda muss also nicht zwangsläufig auf Lügen basieren. Natürlich können auch Desinformationen Teil einer Propagandastrategie sein, doch geschulte Propagandisten wissen eigentlich: Werden Lügen als solche enttarnt, verliert der Absender oft dauerhaft an Glaubwürdigkeit, und die Manipulation scheitert. Insbesondere in Gesellschaften mit freiem Zugang zu Informationen funktioniert Propaganda eher per Framing als per Lügen – durch das selektive Verbreiten bestimmter Fakten und das bewusste Weglassen anderer und eine taktische Begriffswahl.

Dass sich ein verkürztes Verständnis des Propagandabegriffs so stark etabliert hat, dürfte vor allem einen Grund haben: Zwar betreiben auch heute noch alle Staaten Propaganda, sie wird jedoch anders genannt.

Der Papst und die Jakobiner

Bis ins 20. Jahrhundert war der Begriff noch neutral besetzt. Abgeleitet vom lateinischen »propagare« (verbreiten) tauchte das Wort 1622 erstmals auf, als Papst Gregor XV. die Congregatio de Propaganda Fide ins Leben rief – die Kongregation zur Verbreitung des katholischen Glaubens. Etwa seit der Zeit der Französischen Revolution wird das Wort als Bezeichnung für die gezielte Verbreitung politischer Ideen gebraucht. 1790 formierte sich in Paris etwa der Club de la propagande, eine Gesellschaft der Jakobiner zur Verbreitung revolutionärer Ideen. Noch im Ersten Weltkrieg scheuten sich Staaten nicht, ihre Informationsaktivitäten als Propaganda zu bezeichnen. Großbritannien etwa gründete 1914 das British War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen.

Erst mit Joseph Goebbels, Adolf Hitlers »Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda«, begann der Begriff unwiderruflich mit Manipulation, Lügen und Unterdrückung assoziiert zu werden. Nach 1945 war Propaganda im Westen ein verbranntes Wort. Die Praxis selbst blieb jedoch ein zentraler Bestandteil staatlicher Machtausübung. Um dem schlechten Ruf des Begriffs zu entkommen, wurden zwei neue Begriffe für dieselbe Praxis geschaffen: Public Relations und Public Diplomacy.

Der bekanntere Begriff Public Relations geht auf Edward Bernays zurück. Dieser hatte im Ersten Weltkrieg in den USA als Propagandist für das Committee on Public Information (CPI) gearbeitet, wo er Unterstützung für den Krieg generieren sollte. Als der Krieg vorbei war, hatte Bernays die Idee, dass »Anstrengungen, um die Einstellungen des Feindes, der Neutralen und der Bevölkerung dieses Landes zu beeinflussen, auch auf Bestrebungen in Friedenszeiten angewendet werden können«.

In seinem Buch »Propaganda – The Public Mind in the Making« (1929) erklärt der Theoretiker, warum Propaganda gerade in Demokratien besonders wichtig sei. Früher, so argumentiert er, konnten Machthaber tun, was sie wollten. Heute hingegen sei die öffentliche Zustimmung für jedes größere Vorhaben unerlässlich. Deshalb, so Bernays, müssten nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und sogar der Kulturbereich Propaganda gezielt einsetzen, denn »die Öffentlichkeit muss überzeugt werden, Geld zu spenden, genauso wie sie von der Bedeutung der Tuberkuloseprophylaxe überzeugt werden muss«.

»Unterscheidungen zwischen Werbung, PR und Propaganda sind semantische Spielereien.«

Michael Kunczik Publizistik-Professor

Sein Verständnis von Demokratie war offenkundig zweifelhaft: »Wichtig ist, dass die Propagandamaßnahmen kontinuierlich und universell durchgeführt werden und dass sie in ihrer Summe den öffentlichen Geist ganz genau so reglementieren wie eine Armee die Körper ihrer Soldaten«, befand Barneys, der heute als Vater der Public Relations gilt. Eine tatsächlich freie Meinungsbildung der Öffentlichkeit nach dem demokratischen Ideal existierte für ihn nicht – nur wenige Gruppen seien in der Lage, uns »denken und fühlen zu lassen, was sie wollen«.

Werden wir also immerzu manipuliert? Der Propagandaforscher Jonas Tögel vom Institut für Psychologie der Universität Regensburg ist zumindest überzeugt, dass die Methoden moderner Propaganda mit demokratischen Grundsätzen »nur schwer vereinbar« seien. Denn nicht nur sind wir konstant strategischer Meinungsbeeinflussung aus dem Inland ausgesetzt. Hinzu kommt die Propaganda, die andere Länder betreiben, um ausländische Öffentlichkeiten zu beeinflussen, auch Public Diplomacy genannt.

Diesen zweiten, kaum bekannten Euphemismus für Propaganda prägte der ehemalige US-Diplomat und Propagandist Edmund Gullion 1965. Public Diplomacy definierte Gullion als »Aktivitäten von Regierungen und privaten Akteuren, um durch strategische Kommunikation und kulturellen Austausch die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen und das nationale Image zu fördern«.

Dass die eigene Bevölkerung vom Handeln der Regierung überzeugt werden soll, leuchtet ein – aber warum verwenden Regierungen jährlich teilweise Hunderte Millionen Euro darauf, ausländische Öffentlichkeiten zu beeinflussen?

Von Propaganda zu »demokratischer Pressearbeit«

In der NS-Diktatur trug die Lenkung der öffentlichen Meinung entscheidend dazu bei, Adolf Hitlers Macht aufrechtzuerhalten. Mit dieser Aufgabe waren drei Institutionen maßgeblich vertraut: das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels (RMVP), das Auswärtige Amt und die Propagandakompanie der Wehrmacht.
Doch auch in demokratischen Systemen wie der jungen Bundes­republik nutzten und nutzen Regierungen strategische Kommuni­kation, um die Bevölkerung von ihrem politischen Handeln zu über­zeugen. In ihrem Buch »Kontakt­zone Bonn – Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und die staatliche Öffentlich­keits­arbeit 1949–1969« decken die Wissenschaftler Angela Schwarz und Heiner Stahl Kontinuitäten zwischen staatlicher Propaganda unter Hitler und der BRD auf.
Eigentlich sollten sich die Kommunikationstätigkeiten der neuen Regierungsinstitutionen in Bonn an demokratischen Prinzipien orientieren – dieses Bild wurde von den entsprechenden Stellen auch vermittelt. Doch nicht nur gab es wesentliche personelle Über­schnei­dun­gen zwischen den NS-Propa­ganda­­organen und dem neu gegrün­de­ten Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA). Anhand von Archiven konnten die beiden Autoren auch nach­voll­ziehen, wie Wissensbestände und Praktiken im Umgang mit der Presse aus der NS-Zeit in die vermeintlich »demokratische Öffentlichkeits­arbeit« der BRD übernommen wurden.
Ein Beispiel von vielen, die sich in der knapp 500-seitigen Studie finden: In den 50er Jahren bezahlte das Bundespresseamt Journalisten, damit diese bestimmte Narrative in der Presse platzierten. Der Journalist Hans Küffner erhielt aus dem Etat der Inlandsabteilung des BPA für das Jahr 1954 1850 DM pro Monat. Im Gegenzug schrieb er »zustimmende Artikel für die Wiederbewaffnung der Bundeswehr und deren Beteiligung im Nordatlantischen Militär- und Sicherheits­bündnis«. Dass er einen Lohn von der Bundesregierung erhielt, behielt Küffner für sich, als er Zeitungen und Zeitschriften Texte anbot. »Der Journalist lieferte, sein Vertrag verlängerte sich, bis er schließlich 1956 als Referent für Wehrpolitik in die Inlandsabteilung [des BPA] übernommen wurde«, schreiben Schwarz und Stahl. pj

Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht die Idee dahinter: Die USA und Deutschland sind die zwei wichtigsten Waffenlieferanten Israels. Kippt die öffentliche Meinung gegenüber Israel in den beiden Ländern, wächst der Druck auf Politiker, die Waffenlieferungen einzustellen. Um das zu verhindern, betreibt Israel in diesen Ländern gezielt Public Diplomacy und macht daraus auch eigentlich kein Geheimnis. Drei unterschiedliche Ministerien betreiben Public Diplomacy: das Ministerium für Diaspora Affairs, das Ministerium für Public Diplomacy und das Außenministerium.

Gerade erst kündigte die israelische Regierung an, man werde das Budget des Außenministeriums um 150 Millionen Shekel aufstocken, um damit Public Diplomacy im Ausland zu betreiben. »Jeder Schekel, der dieser Sache gewidmet wird, ist eine Investition, keine Ausgabe, und wird Israel und sein Ansehen in der Welt stärken«, kommentierte der israelische Außenminister Gideon Sa’ar die Entscheidung.

Auch Hamas betreibt Propaganda im Ausland, ebenso wie Katar, die Türkei oder Frankreich und Deutschland. Public Diplomacy und Public Relations sind schlichtweg überall ein integraler Teil staatlicher und nicht staatlicher Machtausübung – man gibt es nur nicht so gerne zu, umschreibt die eigene Arbeit meist nach dem Prinzip: Wir informieren, kommunizieren, erklären und vermitteln – unsere Gegner betreiben Propaganda. »Unterscheidungen zwischen Werbung, PR und Propaganda« sind aus Sicht des deutschen Publizistik-Professors Michael Kunczik (1945–2018) nichts weiter als »semantische Spielereien«.

Bei der deutschen Bundesregierung sind vor allem zwei Stellen für Propaganda im eigentlichen Sinne zuständig: das Bundespresseamt und die Unterabteilung Strategische Kommunikation und Public Diplomacy im Auswärtigen Amt.

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»Kommunikation ist mittlerweile ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit – sei es in Bezug auf den weltweiten Wettbewerb der Narrative, die Vermittlung deutscher und europäischer Interessen oder unseren gesetzlichen Informationsauftrag«, heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt gegenüber »nd«. Dabei gehe es vor allem darum, »ein faktenbasiertes Deutschlandbild« zu vermitteln. Auch das Bundespresseamt (BPA), das insbesondere für die nach innen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung verantwortlich ist, betont gegenüber »nd«: »Das BPA ist zuständig für die Information der Bürgerinnen und Bürger sowie der Medien über die Politik der Bundesregierung.« Mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit erläutert das Amt nach eigenen Angaben zufolge die Tätigkeiten, Vorhaben und Ziele der Bundesregierung »sachlich und verständlich«.

Diese Beschreibung beißt sich nicht mit dem eigentlichen Propagandabegriff, denn wie gesagt: Es ist nicht der Wahrheitsgehalt der verbreiteten Informationen, die Propaganda zur Propaganda machen. Viel wichtiger sind zwei Kernmerkmale: dass die Informationen systematisch verbreitet werden – etwa durch eine eigens dafür designierte Pressestelle – und dass der primäre Zweck ist, das eigene Image zu verbessern und damit die eigenen politischen Ziele zu stärken.

Um zu verstehen, wie das funktioniert, reicht ein Blick in die Bundespressekonferenz. Dreimal pro Woche treten die Pressesprecher der Bundesregierung dort auf, um Verlautbarungen zu verlesen und den Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Dabei teilen sie Informationen über das Handeln der Bundesregierung, in den allermeisten Fällen auch faktenbasiert. Solche Informationen, die ihren Ministerien oder der Bundesregierung schaden, lassen sie dabei aber meist weg oder winden sich mal mehr, mal weniger gekonnt um entblößende Antworten. Den eigenen Arbeitgeber in ein möglichst gutes Licht zu rücken, hat also Priorität über das Informieren – das ist der Job von Pressesprechern, aber man darf es getrost das nennen, was es ist: Propaganda.

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