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Rekord bei Kohleverstromung

Trotz Energiewende stieg der Verbrauch im Jahr 2024 weltweit an

Insbesondere in China und Indien stieg die Kohleverstromung stark an, wie hier im Dadri-Kraftwerk in Uttar Pradesh.
Insbesondere in China und Indien stieg die Kohleverstromung stark an, wie hier im Dadri-Kraftwerk in Uttar Pradesh.

Geht es um die Zuverlässigkeit der Stromversorgung, richten sich die Blicke meist auf Photovoltaik und Windkraft. Auf konventionelle Anlagen wird weniger geschaut. So fielen Anfang Dezember im Braunkohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz zwei Blöcke mit zusammen fast 1600 Megawatt Leistung aus. Das kommt der installierten Leistung von schätzungsweise 350 Windkraftanlagen gleich.

Grund für den Ausfall im Boxberger Kraftwerk des ostdeutschen Energiekonzerns Leag war ein Brand in einer Bandanlage, die die Kohle aus dem Pufferlager zum Kessel bringt. Dort habe es einen technischen Defekt gegeben, berichtete der Sender MDR mit Bezug auf eine Leag-Sprecherin.

Bis Weihnachten waren die Blöcke wieder am Netz. Vom Ausfall haben die deutschen Stromkunden selbstredend nichts gemerkt. Auch nicht davon, dass übers ganze Jahr der Anteil der Kohle an der inländischen Stromerzeugung abnahm.

Kohleverstromung in Deutschland rückläufig

Bei der Steinkohle ging die Stromerzeugung um rund ein Drittel zurück, bilanzierte jüngst der Energiebranchenverband BDEW für 2024. Als Grund werden vor allem umfangreiche Kraftwerksstilllegungen angeführt. Die Kapazität sank hier von knapp 16 000 auf 13 400 Megawatt. Allerdings befinden sich derzeit noch 6400 Megawatt Steinkohle in der sogenannten Netzreserve, sie erzeugen keinen Strom mehr für den Markt, werden aber betriebsbereit gehalten.

Bei der Braunkohle ging die Stromerzeugung 2024 laut BDEW um 8,4 Prozent zurück. Auch hier sank die installierte Leistung, und zwar um rund 3200 auf 15 100 Megawatt. Braunkohle war letztes Jahr mit 79 Milliarden Kilowattstunden noch immer der zweitwichtigste Stromerzeuger in Deutschland, nach der Windkraft mit rund 142 Milliarden Kilowattstunden.

Weltweit neuer Rekordwert

Während hierzulande der Kohleverbrauch vor allem dank des Ausstiegsgesetz weiter zurückgeht, zeigt sich global ein anderes Bild. Weltweit erreichte der Kohleeinsatz 2024 einen neuen Rekordwert. In Schwellenländern wie China und Indien wächst die Nachfrage stärker als erwartet. In Industriestaaten verlangsamt sich der Kohleausstieg.

2024 war der Hunger nach fossiler Energie nahezu ungebrochen. Die weltweite Kohlenachfrage stieg um ein Prozent auf fast 8,8 Milliarden Tonnen und erreichte damit einen neuen Rekordwert. Das geht aus dem aktuellen Coal Market Report hervor, den die Internationale Energieagentur IEA kürzlich veröffentlichte.

Zwar verlangsamt sich das Wachstum bei der Kohlenachfrage damit im Vergleich zu den Vorjahren, aber bis 2027 erwartet die IEA keine Trendwende. So lange werde der Kohleverbrauch auf hohem Niveau stagnieren, schreibt die Organisation.

Damit korrigiert sie ihre eigene Prognose aus dem vergangenen Jahr. 2023 erwarteten die IEA-Fachleute noch, dass der Kohleverbrauch 2024 erstmals sinken könnte. Eingetreten ist das nicht.

Energiehunger dank Demografie und Wirtschaft

Das liegt daran, dass der Kohleverbrauch in mehreren Ländern aufgrund von Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung stärker angestiegen ist, als die IEA erwartet hatte. Vor allem in Schwellenländern wie China, Indien, Indonesien und Vietnam war dies der Fall.

Weltgrößter Kohlekonsument bleibt China. Ein Drittel der global verbrauchten Kohle wird in chinesischen Kraftwerken verfeuert – obwohl das Land Wind- und Solaranlagen in großem Stil installiert und auch den Bau von Atomkraftwerken vorantreibt.

Allerdings macht China gleichzeitig Tempo bei der Elektrifizierung von Verkehr und Heizungen, sodass der Gesamtstromverbrauch stark wächst. Auch boomende Sektoren wie Rechenzentren lassen den Verbrauch in die Höhe schnellen.

Den größten Anstieg bei der Nachfrage nach Kohle mit über fünf Prozent auf 1,3 Milliarden Tonnen verzeichnete Indien. 2025 wird das Land laut IEA voraussichtlich mehr als doppelt so viel Kohle verbrauchen wie die EU und die USA zusammen.

Rückgang auch in USA und EU verlangsamt

In etlichen industrialisierten Ländern hat der Kohleverbrauch schon vor einigen Jahren seinen Höhepunkt erreicht und sinkt seither. Allerdings verlangsamt sich der Rückgang in Europa und den USA. In der EU ging die Nachfrage nach Kohle letztes Jahr um 16 Prozent zurück. Bis 2027 könnte der Anteil der Kohle im Strommix der EU auf sieben Prozent sinken, erwartet die IEA.

Das Land mit dem größten Kohleverbrauch in Europa bleibt die Türkei. Sie hat 2023 Deutschland und Polen als größte Verbraucher überholt. Dort stieg der Verbrauch im vergangenen Jahr um 2,8 Prozent, wird jedoch bis 2027 nach IEA-Prognose wieder abnehmen – wegen zunehmender Erzeugung aus erneuerbaren Energien und dem Atomkraftwerk Akkuyu. Das wird in der Provinz Mersin im Süden der Türkei gebaut und soll in diesem Jahr erstmals Strom liefern.

Doch auch in Deutschland mehren sich die Zweifel, ob der Kohleausstieg im beschlossenen Tempo so weitergeht, vor allem in Nordrhein-Westfalen, wo bis 2030 die Kohle aus der Stromerzeugung verschwinden soll.

Politische Ungewissheiten

Ein Grund ist, dass die notwendigen Reservekraftwerke wegen der gescheiterten Regierungskoalition und des damit nicht mehr beschlossenen Kraftwerkssicherheitsgesetzes auf sich warten lassen. Kohlekraftwerke könnten erst vom Netz genommen werden, wenn es genügend Alternativen gibt, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Mitte Dezember.

Für Grünen-Parteimitglieder und Umweltschützer ist der Kohleausstieg dagegen nicht verhandelbar. Oberste Priorität müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien haben, forderte Karsten Smid von der Umweltorganisation Greenpeace.

In Brandenburg bekräftigte die neue Koalition aus SPD und BSW, sie halte am gesetzlichen Ausstieg aus der Kohleverstromung fest, schob im Koalitionsvertrag aber als »Bedingung« ein: Voraussetzung für den Kohleausstieg bis 2038 sei die Sicherstellung der Energieversorgung sowie die »weitgehende Energieunabhängigkeit« Brandenburgs.

Was damit gemeint ist, bleibt etwas unklar. Denn de facto kann sich Brandenburg schon seit einigen Jahren rechnerisch zu hundert Prozent mit erneuerbarem Strom versorgen. Kohlestrom ist für Brandenburg in gewissem Sinne nur noch ein »Export«-Produkt.

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