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Berlin–Hamburg: Petition gegen Vollsperrung gestartet
Von August 2525 bis April 2026 soll wegen Bauarbeiten die Bahnstrecke Berlin-Hamburg komplett gesperrt werden
Unter den Bundesländern führt Brandenburg die Statistik der Berufspendler an. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik fahren so viele Einwohner so weit zur Arbeit, berichtet der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke). Allein auf der Bahnstrecke von Berlin nach Hamburg sind auf dem Abschnitt von Neustadt (Dosse) bis Nauen 7000 Pendler unterwegs und auf dem Abschnitt zwischen Nauen und Berlin 12 000. Insgesamt nutzen 230 Züge und bis zu 30 000 Fahrgäste täglich die Bahnverbindung zwischen den beiden größten deutschen Städten. Keine andere Städteverbindung in Deutschland ist derart belastet.
Für die Berufspendler, für die Studierenden, die am Wochenende ihre Eltern besuchen, und für alle anderen Fahrgäste wird die Reise sehr beschwerlich, wenn die Strecke ab August neun Monate lang für eine Generalsanierung voll gesperrt wird. Zahlreiche Arbeiten an Gleisen, Weichen und Oberleitungen werden gebündelt erledigt, »sodass in den dann folgenden Jahren wesentlich weniger gebaut werden muss«, verspricht die Deutsche Bahn AG (DB). Reisende und Güter sollen in dem Zeitraum aber »weiter zuverlässig und planbar« ans Ziel gelangen. Schnellzüge sollen umgeleitet werden und für die Regionalzüge fahren Busse als Schienenersatzverkehr.
Doch Gerhard Thürling glaubt nicht, dass es bei neun Monaten Vollsperrung bleibt. »Wir reden aus meiner Sicht über einen längeren Zeitraum«, sagt der Stadtverordnete der Linken aus Falkensee. Denn bei Bauarbeiten klappe immer mal wieder irgendetwas nicht. Es fehle an Material oder es gebe aus anderen Gründen Verzögerungen.
Man dürfe sich nichts vormachen, ergänzt der Bundestagsabgeordnete Görke am Freitag bei einem Termin im Rathaus Wustermark. Viele werden seiner Einschätzung nach während der Sperrung das Auto nehmen und auf überlasteten Straßen im Stau stehen, insbesondere auf der Bundesstraße 5.
»Wir wollen 30 000 Unterschriften sammeln in sechs Wochen. Dann muss die Deutsche Bahn im Petitionsausschuss des Bundestags antanzen.«
Christian Görke Bundestagsabgeordneter
»Die Bürger werden auf der Strecke bleiben«, erwartet auch Gerhard Thürling. Er erinnert daran, dass die Züge im Berufsverkehr bereits jetzt brechend voll seien. »Die Pendler versuchen, schon um 5 Uhr zu fahren, um noch einen Sitzplatz zu kriegen.« Was dann auf den Straßen los sein werde, könne man sich vorstellen.
Thürling hat am Donnerstag eine Online-Petition gestartet, die von der Linken unterstützt wird. Sie fordert: »Ein Gleis muss frei bleiben!« Die Bauarbeiter sollen sich dann zumindest auf dem brandenburgischen Abschnitt der insgesamt 278 Kilometer lange Strecke jeweils nur an dem zweiten Gleis zu schaffen machen, damit weiterhin Züge passieren können. Für das Ausfüllen der Petition benötigen die Pendler ungefähr zwei Minuten. Diese kleine Mühe könnte ihnen ersparen, täglich einen Stunde länger zur Arbeit zu benötigen, werben Gerhard Thürling und seine Genossen um Unterschriften.
30 000 Unterschriften in den nächsten sechs Wochen seien erforderlich, erklärt der Abgeordnete Görke. »Dann muss die Deutsche Bahn im Petitionsausschuss des Bundestags antanzen.« Das Verkehrsunternehmen müsste dort darlegen, ob es nicht auch anders geht als vorgesehen. Thürling könnte den Abgeordneten seine Sicht der Dinge schildern und sich für die Menschen einsetzen, die seine Petition online unterschrieben haben.
Unterzeichnen dürfen alle Bundesbürger. Sie müssen nicht persönlich von der Vollsperrung betroffen sein. Jeder Bahnreisende müsste ein Interesse an der Angelegenheit haben – egal, wo er wohnt, meint Thürling. Denn wenn jetzt kein Protest erhoben werde, so werde die Bahn bei anderen Generalsanierungen auch wieder auf das Mittel der Vollsperrung zurückgreifen.
Politiker Görke beteuert, die Petition sei kein Wahlkampfmanöver. Die Linke habe sich das schon überlegt, als noch gar nicht absehbar gewesen sei, dass die Bundestagswahl auf den 23. Februar vorgezogen wird. Die Aktion sei jetzt gestartet worden, weil gerade noch Zeit sei, die Vollsperrung abzuwenden.
Die ersten 220 Menschen haben bis Samstagmittag unterzeichnet. Eine Frau begründet das damit, dass ihre Familie 30 Jahre lang mit einem Auto ausgekommen sei. Nun müssten sie sich wegen der Streckensperrung ein zweites Auto anschaffen, um die Fahrzeiten nicht ins Unermessliche steigen zu lassen.
Online-Petition im Internet unterzeichnen unter: https://www.change.org/p/ein-gleis-muss-frei-bleiben-keine-vollsperrung-der-strecke-hamburg-berlin
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