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Amazon-Tower: Berlins schrecklichster Neubau

Der Amazon-Tower steht für den Sieg des Kapitalismus über die Stadt, meint Gastautor Amadeus Marzai

  • Amadeus Marzai
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine S-Bahn verlässt den Bahnhof Jannowitzbrücke und fährt in Richtung Amazon-Tower.
Eine S-Bahn verlässt den Bahnhof Jannowitzbrücke und fährt in Richtung Amazon-Tower.

Nicht nur wer über die Elsenbrücke – vor ein paar Jahren fast eingestürzt – oder die benachbarte S-Bahnbrücke nach Friedrichshain fährt und links aus dem Fenster schaut, dürfte Notiz davon nehmen, dass die Berliner Skyline mittlerweile einen unübersehbaren Neuzugang präsentieren kann: Direkt an der Warschauer Brücke, über dem trubeligen Gewühl aus Touristen, Partyvolk, Zugezogenen mit Main-Character-Syndrom, den letzten Drogendealern und gestressten Pendlern ragt der Amazon-Tower empor – benannt nach dem US-Internetgiganten und Onlinehändler, der hier als Hauptmieter residiert.

Der Amazon-Tower (offizielle Bezeichnung: Edge East Side Tower) wird seit 2019 gebaut, in diesem Jahr soll der Innenausbau fertiggestellt werden. Bauherr ist der Projektentwickler Edge, Besitzer des Hochhauses ist die Immobilienfirma Pimco Prime Real Estate. Die Kosten für den von einem dänischen Architektenbüro entworfenen Bau belaufen sich auf etwa 400 Millionen Euro.

142 Metern reckt sich der Klotz gen Himmel, ohne aber die vertikale Vormachtstellung des eleganten und tatsächlich avantgardistischen Fernsehturms am Horizont ernsthaft zu gefährden. Einem gläserneren Pflock gleichend, bohrt sich der Neubau ins Herz des einst so unangepassten Friedrichshain, als wolle man verkünden: »Wir haben gewonnen, ihr habt verloren.« Hofiert von einer vor geistiger Provinzialität miefenden Stadtregierung feiert sich der globale Turbokapitalismus ausgerechnet in einer Gegend, die einmal als Vorreiterin progressiver und antikapitalistischer Experimente menschlichen Zusammenlebens galt.

Autor

Amadeus Marzai arbeitet als freier Journalist und beschäftigt sich mit stadtpolitischen Fragen seiner Heimat Berlin. Der Historiker und Politikwissenschaftler hat Internationale Beziehungen an der Universität Leiden studiert.

Selbstbeweihräuchernd bewerben die Projektentwickler ihren Bau als »Mittler« zwischen »zwei der lebendigsten und künstlerischsten Vororte Berlins: Friedrichshain und Kreuzberg«. Die Vielfalt und Andersartigkeit der Besiegten zelebriert man und heftet sie sich stolz ans Revers. Das erinnert an US-amerikanische Städte, die nach den Ortsnamen der Ureinwohner benannt wurden, die zuvor vertrieben oder ausgerottet wurden.

Aber auch das Umfeld des Beinahe-Wolkenkratzers erinnert an Chicago, Manhattan oder Milwaukee. So ist das einstmals heiß umkämpfte Spreeufer-Filetstück nördlich des Amazon-Towers inzwischen zu einer seelenlosen Betonwüste aus Konsum, Unterhaltungskommerz und luxuriösen Eigentumswohnungen verkommen, die man in dieser Kombination eher in einer beliebigen US-Großstadt mittlerer Größe vermuten würde. Die verzweifelte Berliner Großmannssucht verkommt an der East Side Gallery ungewollt zu einer billigen Persiflage längst aus der Zeit gefallener Stadtbauideen.

Aber zurück zum Amazon-Tower. Natürlich haben die Architekten der Macht ihre neueste Kathedrale des Kapitals hübsch verpackt: grüne Energie, Recycling, urbaner Gartenbau! Von einem der »gesündesten Hochhäuser Deutschlands« ist verdächtig vielsagend die Rede. Doch hinter der Fassade aus Glas und Stahl gedeiht weder Hoffnung noch bunte Berliner Vielfalt, sondern die konformistische Monokultur des Großkapitals. Die vielen Menschen, die der Gegend ihren rauen Charme verliehen haben, dürfen derweil aus sicherer Entfernung bestaunen, wie es sich die neuen digitalen Feudalherren in ihrem Prachtbau gemütlich machen.

Denn im Schatten des Turmbaus werden gewachsene Sozialstrukturen unter dem Druck des immer weiter entfesselten Marktes regelrecht zermalmt: Mieten explodieren, tausende Friedrichshainer Wohnungen fallen aus der Sozialbindung, wertvolle Orte des Miteinanders wie Buchhandlungen oder Clubs sind von Schließung bedroht und die Partyszene wird immer mehr verdrängt nach Schöneweide – früher als »Schweineöde« verfemt. Auch die gutbürgerliche Prenzlbergisierung des nahegelegenen Samariterviertels stellt den Charakter des Ortsteils infrage. Friedrichshain ist die neueste und härteste Front im Kampf um die Seele Berlins.

Während Bauarbeiter aktuell mit den letzten Etappen des Innenausbaus beschäftigt sind, erinnern Farbbeutelkleckse an der Fassade des Hochhauses an hilflosen Widerstand. Cineasten könnten sich ungut erinnert fühlen an die Eröffnungssequenz von »Avatar« und die Jagdpfeile der Na’vi-Ureinwohner, die sich zweck- wie hilflos in die riesigen Räder der menschlichen, der Rohstoffausbeutung dienenden Sattelkipper bohren.

Während die städtische Lebensqualität einem weitreichenden Spardiktat des Senats anheimfällt, wächst mit dem Estrel-Tower nur wenige Kilometer entfernt der nächste private Hochhausprotzbau. Estrel und Amazon – die zwei Türme – werfen ähnlich wie in »Der Herr der Ringe« dunkle Schatten voraus und verkünden den Stadtteilen zu ihren Füßen gnadenlose Gentrifizierung im glänzenden Fortschrittsgewand.

Aber während Berlins nutzlose Türme wachsen, schrumpft die zunehmend marode Stadt als Zuhause der vielen Menschen. So ist auch der Amazon-Tower weniger ein »architektonisches Wahrzeichen« als ein Symbol für den Ausverkauf Berlins. Er ist aber auch ein unmissverständlicher Denkzettel für jene, die hofften, das wiedervereinte Berlin würde ihnen jemals selbst gehören.

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