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Österreich: Zeichen stehen auf Blau-Schwarz
Die ÖVP ebnet der rechtsextremen Freiheitlichen Partei nun doch den Weg zur Macht in Wien
»Wir werden nicht Steigbügelhalter für Kickl sein.« Das sind Worte von ÖVP-Chef Karl Nehammer aus dem Oktober 2024. Nun ist Nehammer Geschichte. Christian Stocker ist der Neue an der Spitze der Volkspartei. Im August 2024 hatte er – damals noch Generalsekretär – gesagt: »Herbert Kickl steht für radikales Chaos.« Der FPÖ-Chef sei »ein Sicherheitsrisiko für unser Land«.
An diesem Sonntag klang Übergangsparteichef Stocker schon ganz anders: »Wenn wir zu Gesprächen eingeladen werden, werden wir diese Einladung auch annehmen.« Es gehe darum, dass Österreich eine stabile Regierung benötige. Man werde sich »dieser Verantwortung nicht entziehen«. Und seine Stellungnahme würzte Stocker mit einem symbolischen semantischen Knicks vor der FPÖ: Auch er erwarte, dass der Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragt werde.
ÖVP macht rechte Koalition möglich
Weil Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kickl nach der gewonnenen Wahl im September nicht postwendend mit der Bildung einer Regierung beauftragt hatte, hatte die rechtsextreme FPÖ das seither in einer wahlkampfartigen Kampagne zu einer Art Putsch der – wie sie es nennt – »Einheitspartei« stilisiert.
Am Montag traf Van der Bellen nun FPÖ-Chef Kickl zu einem Gespräch. Danach trat er vor die Presse, um zu verkünden, dass er Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt habe. Bereits am Sonntag hatte Van der Bellen in einem Statement geschlussfolgert: In der ÖVP seien jene Stimmen, die mit Kickl nicht zusammenarbeiten wollen, »leiser geworden«. Jede künftige Regierung Österreichs müsse aber bestimmte Grundpfeiler respektieren: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien sowie die Mitgliedschaft in der EU.
FPÖ sieht Österreich als Festung
Was demokratische Grundwerte angeht, so ist das Wahlprogramm der FPÖ jedenfalls eine Steilvorlage für ihre Kritiker. Titel: »Festung Österreich, Festung der Freiheit«. Auf der Wunschliste: eine Meldestelle für kritische Lehrer, eine Herabsetzung des Haftalters auf zwölf Jahre, Politisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Transgender-Aufklärung und Migration werden als »Zersetzung« bezeichnet.
Auch dieses Programm war Grund für die »Brandmauer« gegen die FPÖ. Keine 48 Stunden hat die ÖVP nun aber für ihre Kehrtwende benötigt: Am Freitag waren die liberalen Neos aus den Gesprächen über eine Dreierkoalition mit ÖVP und SPÖ ausgestiegen. Am Samstag kam dann das absehbare Platzen der Gespräche zwischen den beiden verbliebenen Parteien, plus Rücktritt von Nehammer. Und am Tag darauf ist sie bereits rundgeschliffen, die klare Kante der Konservativen gegen die rechtsextreme FPÖ.
FPÖ rhetorisch gleichauf mit Identitären
Diese Abgrenzung war die Grundsäule der Lage nach der Wahl: Bei dem Urnengang im September hatte die FPÖ einen Erdrutschsieg eingefahren, landete auf Platz eins, konnte aufgrund ihrer Isolierung aber keine Mehrheit formen. Der Auftrag zur Bildung einer Regierung ging nach Sondierungen an die zweitstärkste Partei: die ÖVP.
Und diese politische Isolierung hatte weitere handfeste Gründe neben den Positionen der FPÖ, die mittlerweile faktisch deckungsgleich mit denen von rechtsextremen Bewegungen wie den Identitären sind. In das Vokabular der Partei wurden Begriffe wie »Bevölkerungsaustausch« und »Remigration« aufgenommen. Unter Kickl hat die FPÖ eine verschwörungstheoretische Agenda übernommen, wettert gegen Impfungen, zeigt sich offen für eine Annäherung an Russland und eine Abkehr von der EU.
Kickl garantiert schrillende Alarmglocken
All das ist nicht nur provokante Rhetorik und ein Spiel mit Tabus. Es gibt eine ganze Reihe an Erfahrungswerten mit Kickl, die alle Alarmglocken schrillen lassen müssten. In seiner Zeit als Innenminister von 2017 bis 2019 in der Koalition der ÖVP unter Sebastian Kurz mit der FPÖ unter deren damaligem Chef Heinz-Christian Strache gab es zum Beispiel eine bis dato nicht aufgeklärte Razzia einer Polizeieinheit zur Bekämpfung von Straßenkriminalität unter einem FPÖ-nahen Kommandeur beim Geheimdienst BVT. Dabei wurde umfassendes Datenmaterial abtransportiert.
Seit der ominösen Razzia wird Österreich von westlichen Geheimdiensten mit Vorbehalt betrachtet. Informationen aus dem Ausland – etwa Warnungen vor Anschlägen – gehen nicht mehr an den BVT-Nachfolger DSN, sondern eher an militärische Strukturen des Landes.
Dieses Misstrauen ist vor allem darin begründet, dass Moskau in Wien bestens vernetzt ist – mit fast allen Parteien von links bis rechts. Im Mittelpunkt dieses Netzes befindet sich die FPÖ, die spätestens seit 2008 enge Beziehungen zu russischen Strukturen unterhält und 2016 einen »Freundschaftsvertrag« mit der Kreml-Partei Geeintes Russland abschloss. FPÖ-Leute pflegten Kontakte zum mittlerweile vor der deutschen Justiz nach Russland geflohenen Wirecard-Manager Jan Marsalek. In dessen Flucht über Wien war ein FPÖ-Parlamentarier direkt involviert. Nach Einschätzung des Magazins »Politico« könnte die Razzia beim BVT 2018 vor allem dazu gedient haben, Österreichs Dienst bei westlichen Partnern zu diskreditieren.
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