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Kollektive Wohnzimmer

Die Historikerin Lena Fries über die Bedeutung und Zukunft der Ost-Garagen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 8 Min.
Garagenkomplex in Neustrelitz: Das Foto stammt von Martin Maleschka, der zu dem Buch »Garagenmanifest« (Park Books) einen Bildessay über ostdeutsche Garagen beisteuerte.
Garagenkomplex in Neustrelitz: Das Foto stammt von Martin Maleschka, der zu dem Buch »Garagenmanifest« (Park Books) einen Bildessay über ostdeutsche Garagen beisteuerte.

Das Kunstprojekt »#3000Garagen« im Rahmen der Aktivitäten zur Kulturhauptstadt Chemnitz 2025, die Ausstellung »Garagenland« oder das Buch »Garagenmanifest«: All diese neueren Projekte setzen sich mit ostdeutschen Garagen auseinander. Woher kommt dieses plötzliche Interesse?

Es ist überraschend, dass es so lange gedauert hat, bis diese Auseinandersetzung stattfindet. Garagen prägen schließlich überall in Ostdeutschland das Bild – in der Stadt wie in den ländlichen Regionen. Dass das Thema jetzt hochkocht, hat zwei Gründe: Erstens wächst das allgemeine Interesse an der DDR-Architektur und an Ostmoderne. Zweitens gibt es einen politischen Auslöser: Die bisherigen Bestimmungen des Gesetzes, das bezüglich der Garagen die Überführung von DDR-Recht auf BRD-Recht regelt, sind 2022 ausgelaufen, womit auch der Konflikt um den Erhalt oder Abriss der Garagen noch mal zugenommen hat. Das spiegelt sich dann auch im kulturellen Diskurs wider.

Der Konflikt erscheint teilweise sehr emotional. Welche Rolle spielten Garagen in der DDR?

Der große Unterschied zu Westdeutschland war, dass die Garagen in der DDR auf »volkseigenem« Grund errichtet wurden. Das waren zum Teil riesige Flächen, in Leipzig beispielsweise gibt es einen Komplex mit 900 Garagen. Für den Bau haben sich außerdem die Menschen selbst zusammengeschlossen – beim Leipziger Beispiel immerhin mehr als 900 Personen. Sie organisierten trotz massiven Mangels die benötigten Baumaterialien, Werkzeuge und Fahrzeuge, trafen sich nach Feierabend und am Wochenende zu den Arbeitseinsätzen. Das war eine enorme Leistung, die auch die Gemeinschaften und emotionalen Bindungen begründet, die dabei entstanden sind. Ich habe mit vielen Zeitzeugen gesprochen – man merkt, dass diese Aufbauphase für sie eine sehr große Bedeutung hat. Viele bezeichnen sich als »Männer der ersten Stunde«.

Können Sie diese Gruppe näher beschreiben?

Ein Auto war in der DDR ein wertvoller Gegenstand, der tendenziell eher eine privilegierte Position voraussetzte, auch wenn das nicht verallgemeinert werden kann. Die Garagenbesitzer*innen waren dann oft auch Menschen, die in den neu gebauten Großwohnsiedlungen lebten und sich am Zaun des Kleingartens, beim Arztbesuch und eben vor dem Garagentor trafen. Das stärkte die Gemeinschaftsbildung. Gleichzeitig waren die Garagen Orte, in denen viel repariert wurde. Diese »Bastelkultur« hing damit zusammen, dass man in der DDR sehr viel selbst an den Autos machen konnte und auch musste. Dementsprechend wurde in den Garagen auch Wissen weitergegeben. Viele Zeitzeugen berichten, dass sie dort generell viel Zeit verbracht haben. Einige erinnern sich auch daran, wie sie mit ihren Vätern oder Großvätern bei den Garagen beispielsweise Fahrradfahren gelernt haben.

Interview


Lena Fries ist Historikerin und forscht zur Geschichte der DDR-Garagen. Außerdem arbeitet sie in Berlin politisch zu dem Thema als Mitglied des Linke-Bezirksvorstands Treptow-Köpenick.

Inwiefern waren die Garagen eine Männerdomäne?

Traditionelle Geschlechterbilder – ein Auto ist etwas für Männer, und am Auto zu schrauben, ist männlich – waren in Ost- wie in Westdeutschland anzutreffen. Und sie sind es bis heute. Viele Garagengemeinschaften in der DDR haben Chroniken über ihre Geschichte verfasst. Darin ist zum Beispiel zu lesen, dass Frauen als Stütze wichtig waren, weil sie den Männern zu Hause »den Rücken freigehalten« haben. Es gibt aber auch andere Berichte, etwa dass in einer Garagengemeinschaft eine Frau als Technische Zeichnerin gearbeitet hat. Heute bestehen diese alten Gemeinschaften meist als Vereine oder lose Zusammenschlüsse fort, in denen es auch mehr Frauen gibt, die in Vorstandspositionen sind und selbst eine Garage haben. Außerdem haben mittlerweile einige Frauen von ihren verstorbenen »Männern der ersten Stunde« die Garagen übernommen.

Wie war das Verhältnis dieser »Garagenkultur« zum Staat?

In den 50er und mehr noch in den 60er Jahren wollten viele Menschen Garagen für ihre Autos, aber es fehlte an Material, und der Staat sah auch keine Möglichkeit zu handeln. Viele haben sich ihre Garage dann einfach illegal selbst errichtet – aus allem, was sie so auftreiben konnten; beispielsweise Wellblechpappe war ein klassischer Baustoff. Gleichzeitig gab es in dieser Phase sehr viele Beschwerden der Bevölkerung, die auf das Problem aufmerksam machten. Im Jahr 1971 gab es dann eine Zäsur, und der Staat schuf klare Regeln und Verfahren für den Garagenbau. Erst mal war es aber eine Bewegung von unten, und auch nach 1971 wurde der Garagenbau zumeist im Kollektiv selbst organisiert – was von staatlicher Seite dann auch gefördert wurde.

Welche Funktion hatten die Garagen für diese »Bewegung«?

Die Garagen waren erst mal funktional ein Schutzraum für Autos. Die Garagengemeinschaften trafen sich zum Arbeitseinsatz, danach wurde gegrillt und gefeiert. Es gibt auch Berichte über die Nutzung als individuelle Rückzugsorte, aber ich habe – auch aus meiner Forschung heraus – das Gefühl, dass dieser Aspekt heute zu stark betont wird. Aus einer West-Perspektive will man immer den Individualismus in der DDR finden – an dieser Stelle war er dabei vielleicht gar nicht so stark ausgeprägt. Statt vom »alternativen Wohnzimmers« würde ich eher von der Garage als »verlängertem Wohnzimmer« sprechen. Aber sowohl vor als auch nach 1989 gibt es in Einzelfällen die verrücktesten Nutzungsformen – bis hin zu Männern, die in ihrer Garage Kanonen nachgebaut haben.

Welche Veränderung brachte die Wende?

Nach der Wende stellte sich das Problem, dass das BRD-Recht die Trennung von Grund und Boden, wie sie in der DDR galt, nicht kannte. Mit dem sogenannten Schuldrechtsanpassungsgesetz versuchte man das zu lösen. Die Garagenflächen wurden an die ehemaligen Besitzer*innen übertragen, vielfach auch an Kommunen oder Wohnungsgenossenschaften. Einige Garagengemeinschaften haben selbst versucht, diese Grundstücke zu kaufen – ich kenne nur ein Beispiel aus Berlin, wo das gelungen ist. Der Grund und die darauf stehenden Garagen gehörten nun meist jemand anderem – und man musste eine Miete zahlen, die deutlich über der Pacht aus DDR-Zeiten lag. Durch die Regelungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes können die Grundstückseigentümer*innen den Garagenbesitzer*innen jederzeit den Mietvertrag kündigen. Diese müssen dann unter Umständen die Garage auch auf eigene Kosten abreißen. Die meisten Kommunen gehen diesen Schritt nicht, weil sie die Sprengkraft erkennen.

Was macht die Sprengkraft aus?

Ein Mensch war zum Beispiel Ingenieur in der DDR, und nach 1989 wurden seine Leistungen und Fähigkeiten im »wiedervereinigten« Deutschland aberkannt. Hier fand eine massive Abwertungserfahrung statt. Seine Garagengemeinschaft ist aber zunächst gleich geblieben – dort war er noch gleich viel wert. Bis in die 2000er Jahre interessierte sich auch niemand für die Garagenflächen. Durch den Platzmangel in den Städten änderte sich das jedoch, und auch dieser verbliebene Ort geriet unter Druck. Viele Zeitzeug*innen empfinden die Kündigung ihrer Garage als Enteignung. Ihre Arbeit wurde übergangen, ihre Lebensleistung nicht gesehen. So wiederholte sich mit den Garagen, was viele Menschen zuvor mit ihren Biografien erlebt hatten.

Wie reagieren die Garagenbesitzer*innen?

Viele der gut organisierten Garagengemeinschaften versuchen, sich zu wehren. Hier gibt es interessante Entwicklungen: In Leipzig etwa wollen kämpfende Garagenbesitzer*innen Solaranlagen auf ihren Garagendächern anbringen. Damit zeigen sie einerseits Verständnis für die Notwendigkeit der Energie- und Verkehrswende, andererseits versuchen sie, sich in den Konflikten besser zu positionieren.

In den Städten wird Platz für Wohnraum benötigt, der verkehrspolitische Fokus auf das Auto scheint nicht mehr zeitgemäß. Steht das nicht im Konflikt mit dem Wunsch, die Garagenflächen zu behalten?

Es geht nicht nur um den Erhalt der Garagenflächen, sondern vor allem um einen respektvollen Umgang mit den Besitzer*innen. Die Zeitzeugen, mit denen ich gesprochen habe, haben natürlich Verständnis, wenn beispielsweise auf einer Garagenfläche eine Schule gebaut werden soll – die Menschen wollen in einem solchen Prozess aber mitgenommen werden. In Potsdam beispielsweise gibt es einen Garagenbeirat, an dem auch Garagenbesitzer*innen beteiligt sind. Gemeinsam wurde für die Nutzungsperspektiven der Garagenflächen ein Konzept entwickelt. Da wissen die Leute wenigstens, woran sie sind. Auch in Chemnitz gibt es ein solches Garagenstandortkonzept; für Berlin berät die Linkspartei derzeit einen entsprechenden Antrag. Wie es nicht geht, konnte man in Berlin-Lichtenberg beobachten, wo es kürzlich hitzige Debatten gab: Für Erweiterungsbauten des Bundeskanzleramtes in Mitte sollten grüne Ausgleichsflächen geschaffen werden. Dafür müssen nun Garagen im 14 Kilometer entfernten Lichtenberg weichen. Hieran sieht man, wo die Prioritäten liegen und dass die Bedeutung der Garagen sowie die Leistung der Erbauer*innen eben nicht anerkannt, sondern ausgespielt werden. Gleichzeitig würde ich auch nicht sagen, dass jede Garage in Ostdeutschland erhaltenswert ist. Die Frage ist, was man mit diesen Orten macht.

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Wie könnte ein anderer Umgang aussehen?

Im »Garagenmanifest« wird beispielsweise die Anwendung des Denkmalschutzes diskutiert. In dieser Hinsicht haben es die Ost-Garagen aber doppelt schwer: In der Denkmalpflege wird viel zu wenig über den Wert von alltäglichen Orten gesprochen. Außerdem fällt es in der Bundesrepublik bis heute schwer, Ost-Kulturerbe anzuerkennen. Aber man könnte in diese Richtung denken. Darüber hinaus könnte man sich die Garagenräume auch etwa als gemeinschaftlich genutzte Werkstätten vorstellen. Wir brauchen ja nicht nur Wohnraum, sondern auch soziale Infrastruktur. An diesen Orten könnten dann auch bestimmte Traditionen aus der DDR wie die Reparaturkultur weiterleben. Kulturell zeigt das Projekt »#3000Garagen« auch gut, wie man diese Orte künstlerisch bespielen kann, etwa durch Filmvorführungen oder Bandauftritte.

Ist Ihnen bei Ihrer Auseinandersetzung mit Ost-Garagen eine besondere Anekdote in Erinnerung geblieben?

In Leipzig gibt es eine Garagengemeinschaft, die sich schon zu DDR-Zeiten Gedanken gemacht hat, wie sie ihr Garagengelände sichern kann. Sie kam dann auf die Idee, dem Kosmonauten Sigmund Jähn symbolisch eine Garage zu schenken. Dazu schickten sie ihm auch eine Urkunde. Jähn selbst war nie vor Ort, die Garage wurde immer wieder anderweitig genutzt. Aber die Garagengemeinschaft wusste, dass sich keine Behörde trauen würde, die Garage von Sigmund Jähn zu kündigen oder abzureißen – und so ist es bis heute geblieben. Darauf sind die Leute von der Garagengemeinschaft sehr stolz.

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