Sorgen wegen Abschiebungen aus Kirchenasyl

Gemeinden haben zuletzt immer mehr Geflüchteten Schutz gewährt und stehen deswegen zunehmend unter Druck

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, hat sich vehement für den Erhalt der Schutzräume in Gemeinden für Geflüchtete ausgesprochen.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, hat sich vehement für den Erhalt der Schutzräume in Gemeinden für Geflüchtete ausgesprochen.

Deutschlandweit erhalten geflüchtete Menschen immer häufiger Kirchenasyl. Seit drei Jahren steigt die Zahl der Fälle, geht aus Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hervor, die Die Linke im Bundestag in einer Kleinen Anfrage ermitteln ließ. So gab es 2022 noch 1243 gemeldete Fälle von Kirchenasyl. 2023 waren es 2065. Eine Antwort des BAMF auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom vergangenen Jahr ergab zudem für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2024 2032 Kirchenasyle für 2540 Menschen. Besonders im Fokus: Nordrhein-Westfalen. Dort haben sich die Zahlen von 2020 bis 2023 mehr als vervierfacht; Ende 2023 zählte das BAMF 590 offizielle Fälle. Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW, das solche Hilfsangebote organisiert, die eine jahrhundertealte Praxis der christlichen Pflicht darstellen und somit ein wichtiger Schutzpfeiler im Abschiebesystem sind, erfasste nach eigenen Angaben allein im Oktober 2024 landesweit 160 laufende Asyle.

Das ökumenische Kirchenasyl, also wenn eine Gemeinde geflohene Menschen in eigenen Räumen unterbringt, tritt immer mehr aus seinem einstigen Nischendasein heraus. Angesichts wachsender Abschiebezahlen wird es als immer noch relativ sicherer Schutzraum vor dem Zugriff der Behörden vermehrt von geflüchteten Menschen selbst wahrgenommen und über Kreise und Solidaritätsgruppen vermittelt.

Eigentlich kommt das Kirchenasyl ausschließlich bei sogenannten Härtefällen zur Anwendung, um eine nochmalige Prüfung des Asylantrags durch die Behörden zu erwirken. So übergeben die Kirchengemeinden dem BAMF üblicherweise zu jedem Fall ein Dossier. Das Amt kann daraufhin entscheiden, auf die Abschiebung zu verzichten. »Das Kirchenasyl stellt somit ein letztes Mittel zur Abwendung drohender Menschenrechtsverletzungen oder unzumutbarer humanitärer Härten dar«, heißt es von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).

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Zuletzt ignorierte der Staat indes immer häufiger diesen besonderen Schutzraum. Begründung: Nach Auffassung des Bundes gibt es gar keine Härtefälle, weil wirkliche Härtefälle in der Regel bereits im Rahmen des Dublin-Verfahrens identifiziert werden sollten. Wie aus der Antwort auf eine Kleinen Anfrage der Linken hervorgeht, sind Kirchenasyle fast immer »Dublin-Fälle«. Nach dieser Regelung sollen Menschen in die EU-Länder abgeschoben werden, über die sie zuerst in die EU einreisten.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bestätigt das gegenüber »nd«. »Im vergangenen Jahr sind mehrere Kirchenasyle von den Behörden aufgelöst worden, Menschen wurden abgeschoben, und es hat mehrere Versuche gegeben, dies zu tun.« Jahrzehntelang habe es gute Abstimmungen zwischen Behörden und Kirchen gegeben. Die EKD wolle zur Einhaltung dieser Übereinkunft zurückkehren, erklärt sie.

Auch die katholische Bischofskonferenz nimmt die »aktuell vermehrten Räumungen von Kirchenasyl besorgt zur Kenntnis«. Sie wolle die Entwicklungen weiter beobachten und in Gesprächen mit den zuständigen Behörden dafür werben, dass die Tradition des Kirchenasyls auch künftig respektiert wird, erklärt die DBK auf »nd«-Anfrage.

Aus Kirchenasyl abgeschobenen Menschen droht die Trennung von Angehörigen und ihrem Umfeld; die Lage von Dublin-Rückgeführten ist in verschiedenen Ländern unzureichend. Menschen müssten sich eine Wohnung suchen, müssten oftmals eine neue Sprache erlernen, seien nicht medizinisch versorgt und fänden kaum legale Arbeit, betonen Kritiker. Staat und Befürworter von Abschiebungen beklagen, dass ausreisepflichtige Menschen trotzdem in der Obhut der Kirchen blieben und damit normalerweise Erfolg hätten. Denn: Für Dublin-Überstellungen gelten knappe Fristen. Sind diese im Schutz einer Gemeinde verstrichen, können die Menschen zumindest vorläufig in Deutschland bleiben. Das konterkariere den Rechtsstaat, so die Hardliner.

Mona G. hat ein Jahr in Düren bei Aachen im Kirchenasyl gelebt. Die gebürtige Iranerin, die jetzt im Ruhrgebiet lebt, fand ihr Refugium bis zum erfolgreichen Asylantrag bei einer engagierten evangelischen Gemeinde. »Ich durfte nur mit dem Pastor rausgehen. Ansonsten musste ich mich in den Räumen der Gemeinde aufhalten. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich diesen Schutzraum hatte und immer gut versorgt wurde.« Geschockt war die 39-Jährige, als 2023 das Kirchenasyl bei einem kurdischen Ehepaar im niederrheinischen Viersen wüst gebrochen wurde. Das Paar wurde festgenommen und in die Abschiebehaftanstalt nach Darmstadt gebracht. »Zum Glück duften sie trotzdem bleiben und konnten so auf eine erneute Prüfung des Asylantrags hoffen«, sagt Mona G.

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