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Deutungskampf um Betriebsratswahl am Digital Career Institute
Entlassungen beim Berliner Bildungsträger DCI landen vor Gericht
Etwas mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass bei der Digital Career Institute GmbH (DCI) die Gründung eines Betriebsrats vorerst zum Erliegen kam. Wie »nd« berichtete, sollte bei dem Bildungsträger für von der Agentur für Arbeit geförderte Qualifizierungsmaßnahmen auf einer Betriebsversammlung Anfang Juli zunächst ein Wahlvorstand gewählt werden. Die Versammlung endete jedoch, bevor es zur Wahl kam. Wie genau die Versammlung ablief und was zu ihrem vorzeitigen Ende führte, ist unter den Beteiligten strittig. Wenige Tage nach der Versammlung kündigte die DCI allen vier Initiator*innen fristlos. Sie klagen nun vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung.
Die Kündigungen
Die Geschäftsführung der DCI begründet die fristlosen Kündigungen der Initiator*innen mit deren Verhalten auf der Betriebsversammlung. So sollen sie Kolleg*innen, die eine andere Meinung vertreten hätten, »bewusst niedergeschrien« haben, um diese einzuschüchtern. In dem für alle Initiator*innen gleichlautenden Kündigungsschreiben, das »nd« vorliegt, heißt es weiter: »Teilweise verließen die Kolleginnen und Kollegen weinend den Versammlungsraum und wollten ›einfach nur raus‹ und verzichteten dadurch sogar auf die Abgabe der Stimme bei der Wahl zum Wahlvorstand.«
Das Auftreten habe zu einer solchen Eskalation geführt, dass der Vermieter, die Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS), der Betriebsversammlung den Raum entzogen habe, weil sie von einer »Gefahrenlage« ausgegangen sei. Die Hochschule habe nicht akzeptieren können, »dass etliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Veranstaltung weinend beziehungsweise völlig fertig aus dem Saal rannten«. Tatsächlich hätten, so die Unternehmensführung, die Initiator*innen durch das Unterbinden von Fragen und das Mundtodmachen von Kolleg*innen selbst »die Wahl zum Betriebsrat behindert, was in Deutschland eine Straftat darstellt«.
Weiterhin wird den Gekündigten aufgrund ihres Verhaltens die Kompetenz für den Lehrbetrieb am DCI abgesprochen. Insofern sei die Geschäftsführung »zum Einstellungszeitpunkt in Bezug auf die soziale Kompetenz arglistig getäuscht« worden. Es werde zudem rechtlich geprüft, ob die gezahlten Gehälter zurückverlangt werden könnten.
Das fünfseitige Kündigungsschreiben ist auf den 8. Juli datiert. Gegenüber »nd« erklärt die Geschäftsführung, selbst nicht an der Versammlung drei Tage zuvor teilgenommen und diese nicht beendet oder abgebrochen zu haben.
Die Vermieterin
Die Kanzlerin der DHGS, die wie das DCI an der Vulkanstraße 1 in Lichtenberg sitzt, bestätigt »nd« im Wesentlichen die Sichtweise der DCI-Geschäftsführung. Erhebliche Störungen hätten den laufenden Lehrbetrieb beeinträchtigt, weshalb die DHGS die Betriebsversammlung zwar nicht beendet, aber der Räumlichkeiten verwiesen und gebeten habe, die Versammlung in eigene Räumlichkeiten zu verlegen. Insbesondere die Lautstärke der Versammlung habe die laufenden Lehrveranstaltungen sowie den Bürobetrieb erheblich gestört. Über Inhalte und an den Störungen beteiligte Personen könne die DGHS allerdings keine Aussage treffen, da sie nicht an der Versammlung beteiligt gewesen sei. Die DCI habe die Nutzung der Räumlichkeiten erbeten, da ihre eigenen zu klein gewesen seien. Im Rahmen des kollegialen Miteinanders habe man einen der Seminarräume für diesen Tag kostenfrei zur Verfügung gestellt.
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Beschäftigte, die an der Versammlung teilgenommen haben, berichten »nd« einen anderen Verlauf. Nur zwei wollen sich in einem gemeinsamen Gespräch anonymisiert presseöffentlich äußern, andere wollen das aus Angst vor Konsequenzen nicht. Er*sie könne das verstehen, sagt eine*r der beiden Beschäftigten. Auch er*sie habe Angst, »aber der Wunsch, zur Aufklärung beizutragen, ist auch groß«. Beide seien vorher weder gewerkschaftlich aktiv noch an den Vorbereitungen der Betriebsratswahl beteiligt gewesen, hätten aber gewusst, wer die Inititiator*innen waren. Eine*r der beiden hätte den Initiator*innen auch vor Beginn der Veranstaltung zu verstehen gegeben, dass er*sie gut fände, dass ein Betriebsrat gewählt werden sollte.
»Wir kamen einfach nicht voran«
Im Verlauf der Versammlung hätten die Initiator*innen niemanden mundtot gemacht, er*sie habe auch niemanden weinen sehen, meint eine*r der Beschäftigten. »Es gab auf der Versammlung weder Geschrei noch wurden Ängste geschürt«, sagt die andere Person. Stattdessen hätten Personen immer wieder die Versammlung gestört. So seien wiederholt und penetrant zahlreiche Fragen gestellt worden, was den Versammlungsverlauf verzögert habe. Gefühlt jede Frage sei noch dreimal auf eine etwas andere Art gestellt worden. Das sei ziemlich schnell ermüdend gewesen, alles musste ja auch noch ins Deutsche übersetzt werden. Denn anders als bei allen anderen Treffen, die er*sie bisher besucht habe, sei zum ersten Mal eine Übersetzung der Betriebssprache Englisch ins Deutsche eingefordert worden, sagt sein*e Kolleg*in. Dem seien die Initiator*innen nachgekommen.
Formal hätten sich die fragenden und zweifelnden Personen korrekt und seriös verhalten. »Die Stimmung war aber geprägt davon, dass wir einfach nicht vorankamen und ein Teil der Versammlung auch kein Interesse daran zu haben schien.« Sobald es ein bisschen vorangegangen sei, sei die nächste Frage gestellt worden. In diesem Kontext hätten die Initiator*innen versucht, »Fragen zu unterbinden, um den Versammlungsverlauf zu beschleunigen, was aber nur bedingt gelang«.
Die Versammlung habe sich insbesondere an der Frage aufgehalten, ob der Betriebsrat nur für den Standort Berlin oder für alle Standorte bundesweit gewählt werden sollte. Eingeladen waren alle, deren Arbeitsort Berlin ist, heißt es in dem Einladungsschreiben der Initiator*innen. Dennoch waren laut der Beschäftigten, die mit »nd« sprachen, auch Mitarbeiter*innen von anderen Standorten erschienen. Es sei kritisiert worden, dass nur die Mitarbeiter*innen des Berliner Standorts wahlberechtigt seien. In der Debatte habe ein leitender Angestellter erklärt, dass die DCI ein Gesamtzusammenhang sei und nicht unterteilt werden sollte, erzählt eine*r der Beschäftigten »nd«. Dem hätten die Initiator*innen und Mila Neunzig, eine Vertreterin der Gewerkschaft Verdi, entgegengehalten, dass man zunächst in Berlin und dann an weiteren Standorten eine Wahl anstrebe. Dieses schrittweise Vorgehen sei erfahrungsgemäß einfacher zu realisieren.
»nd« hat den leitenden Angestellten nach seiner Perspektive auf die Versammlung gefragt und danach, ob die Aussagen der Beschäftigten zutreffen. Eine gemeinsame Antwort mit der DCI kommt über eine Anwältin. Eine gezielte Störung durch eine Fraktion um den Angestellten weise man als Unterstellung zurück. Derlei »angebliche Schilderungen von Teilnehmenden« träfen nicht zu. Das anwaltliche Schreiben enthält dagegen erneut die Darstellung, die Gekündigten hätten ihrerseits durch massive Störungen die Absage der Versammlung durch die DHGS herbeigeführt. Unbeantwortet bleibt, auf welche Quellen sich die DCI beruft.
Das vorzeitige Ende
Im späten Verlauf der mehrstündigen Versammlung sei irgendwann klar gewesen, wer wahlberechtigt gewesen sei und wer nicht, beschreiben die beiden Beschäftigten gegenüber »nd« das Ende der Versammlung. Man hätte endlich zur Wahl der Versammlungsleitung – erst in der Folge wäre der Wahlvorstand bestimmt worden – übergehen können. Doch dann sei eine Mitarbeiterin der DHGS in die Versammlung gekommen und habe erklärt, dass sie gehört habe, »dass sich Leute gemobbt fühlten und weinend die Versammlung verlassen hätten«. Bereits einmal zuvor habe sie in die Versammlung gefragt, ob sich jemand gemobbt fühlte; sie habe Leute weinen sehen. »Niemand bejahte die Frage«, sagt eine*r der Mitarbeiter*innen. Nachdem die Mitarbeiterin der DHGS der Versammlung das Raumrecht entzogen hatte, habe es noch eine kurze Diskussion zwischen den Initiator*innen und der Gewerkschaftssekretärin Mila Neunzig gegeben, die erklärt habe, dass man gegen diese Entscheidung nichts unternehmen könne. Damit sei die Veranstaltung beendet gewesen.
An diesem Mittwoch sollte das Berliner Arbeitsgericht eigentlich über die Rechtmäßigkeit einer der Kündigungen entscheiden. Allerdings wurde der Termin auf Antrag der DCI-Vertretung aufgehoben, wie das Gericht mitteilte. Nach ersten Güteverhandlungen, die keine Einigung zwischen den Parteien hervorgebracht hatten, hatte das Gericht der DCI nahegelegt, »vorzutragen, welche Umstände zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung führten und wann die zur Kündigung berechtigten Mitarbeiter der Beklagten hiervon Kenntnis erlangt haben«, heißt es in einem Schreiben des Gerichts an die Streitparteien. Die Äußerungen und Verhaltensweisen der gekündigten Person auf der Betriebsversammlung seien im Einzelnen zu schildern. Zwei Gütetermine gegen die DCI, die am Donnerstag stattfinden sollen, sind von der Absage bisher nicht betroffen, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte.
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