Kolonie 10: Investor beginnt mit Abriss von Kulturort

Im Remisenhof in der Koloniestraße 10 beginnen Abrissarbeiten – trotz Artenschutzbedenken

Abrissarbeiten in der Koloniestraße 10
Abrissarbeiten in der Koloniestraße 10

Ein Durchbruch durch eine Garagenwand soll vorgenommen und fast alle Türen von entmieteten Garagen abgenommen werden – bis auf drei, auf die »bleibt« gesprüht ist. Das steht gegen 11 Uhr morgens in der Koloniestraße 10 in Mitte fest. Zu sehen sind die Schritte, die das Abrissunternehmen Karamba Karacho vornimmt, vom Hof aus nicht mehr. Im Laufe des Morgens wird auf der ganzen Länge des Remisenhofs ein Bauzaun aufgestellt, der bewohnte Gebäude von solchen trennt, an denen Bauarbeiten stattfinden sollen. Immer wieder ist Krach zu hören, wenn sich die Bagger auf dem Nachbargrundstück bewegen und am Abbruch einer Garage arbeiten.

»Hier wurden Tatsachen geschaffen, ohne vorher zu prüfen«, empört sich Andreas1, ein Mieter des Remisenhofes, im Gespräch mit »nd«. Der Investor versuche aggressiv, seine Planungen voranzubringen. Andreas ist enttäuscht davon, wie wenig die Behörden erreicht haben: »Der Hof wird den Spekulanten überlassen.«

Dem Beginn der Abrissarbeiten waren stundenlange Diskussionen vorausgegangen. Schon kurz nach 7 Uhr ist ein Vertreter des Eigentümers vor Ort. Auch Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) und Vertreter*innen des Bau- und Umweltamtes des Bezirks Mitte sind da und streiten sich mit dem Eigentümervertreter darüber, welche Baumaßnahmen genau vorgenommen werden dürfen. Die Mieter*innen des Hofes und zahlreiche Unterstützer*innen sind ebenfalls gekommen, darunter mehrere Abgeordnete. Es bleibt beim stillen Protest, die Polizei muss nicht eingreifen

Der Eigentümer will auf dem Gelände eigentlich Mikroapartments bauen lassen, wie schon auf dem Nachbargrundstück, wo möblierte Apartments teuer für rund 20 Euro pro Quadratmeter angemietet werden können. In der Koloniestraße 10 ist er bisher gescheitert. 2017 hatte er den 1860 gebauten Kutscherhof erworben. Seither wurden die vorher von Künstler*innen genutzten Garagen entmietet und stehen leer. Bauen kann der Investor allerdings noch nicht, da eine Baugenehmigung fehlt.

Der begrünte Innenhof wird viel genutzt. Er ist Treffpunkt für Nachbar*innen, Kulturveranstaltungen finden hier statt. Ein kleiner Sportraum wird oft besucht. Aber auch die Stadtnatur hat hier ihren Platz. Eine Vielzahl von Vögeln lebt und nistet hier, Fledermäuse haben hier Quartier. Während im Hof der Bauzaun aufgestellt wird, läuft ein Eichhörnchen über das Dach der Remise. Der Artenschutz war es auch, der bis zuletzt den eigentlich nur anzeigepflichtigen Abriss der Garagen verhinderte.

Um den Artenschutz gibt es aber auch fachlichen Streit. Das vom Eigentümer beauftragte Gutachten wird scharf kritisiert. In einer Mitteilung vom Juli 2024 schreiben die Naturfreunde unter Berufung auf eine Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz, es verletze fachliche Standards, da etwa das Gutachten zur Vogelwelt im Winter erfolgt sei – »für Vögel, die im Sommer aktiv sind«.

»Der Hof wird den Spekulanten überlassen.«

Mieter Kolonie 10

Noch am Dienstag teilte das Bezirksamt Mitte auf nd-Anfrage mit, dass ein Abriss der Garagen aus naturschutzrechtlicher Sicht derzeit nicht möglich sei. Magda1, die in der Remise wohnt, ist es wichtig zu betonen, dass der Artenschutz kein Vorwand ist. »Ich wohne hier gerne, ich liebe diesen Hof, aber wir schieben den Artenschutz nicht vor«, sagt sie zu »nd«. Wenn wirklich abgerissen werden sollte, will sie, dass wirklich auf die Tiere geachtet wird.

Versuche, die Garagen abzureißen, gab es schon mehrere. 2018 und 2020 konnte dies verhindert werden. Auch am vergangenen Montag rückten zunächst Bagger an. Da sie nicht durch die Hofeinfahrt passten, wurde kurzerhand versucht, vom Nachbargrundstück aus einen Durchbruch zu schaffen. Das konnte allerdings von hinzugerufenen Behörden verhindert werden. Nur für kurze Zeit, wie sich am Mittwoch zeigte.

»Das wird richtig unangenehm für die Bewohner*innen«, sagt Tuba Bozkurt (Grüne), direkte gewählte Abgeordnete aus Mitte im Gespräch mit »nd«. Sie spricht von einer Zermürbungsstrategie, um die verbliebenen Mieter*innen zum Auszug zu bewegen. Der Hof der Kolonie sei ein wichtiger Anlaufpunkt und habe eine große Bedeutung für den Kiez. »Die Menschen, die hier wohnen und protestieren, haben berechtigte Interessen.« Denn mit dem hier geplanten Wohnraum sei niemandem geholfen.

Martha Kleedörfer, Abgeordnete der Bezirksverordnetenversammlung Mitte übt Kritik am Bezirksamt. Es sei jahrelang »Pingpong« zwischen den Behörden gespielt worden. Der Abriss sei der Gipfel einer Reihe von Fehlentscheidungen und eine Katastrophe für die Mieter*innen, die jetzt noch stärker unter Druck gesetzt würden. Auch sie kann den geplanten Bauten wenig abgewinnen: »Ein für den Kiez wichtiger Ort soll abgerissen werden, damit hier überteuerte Miniwohnungen entstehen.«

1 Namen redaktionell geändert.

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