Musk mischt den politischen Betrieb auf

Der US-amerikanische Multimilliardär facht die Debatte um Kindesmissbrauch in Großbritannien wieder an

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Elon Musk startete am Montag auf der Plattform X eine Umfrage: Soll Amerika das britische Volk von seiner tyrannischen Regierung befreien?
Elon Musk startete am Montag auf der Plattform X eine Umfrage: Soll Amerika das britische Volk von seiner tyrannischen Regierung befreien?

Schon wieder Elon Musk. Der reichste Mann der Welt beherrscht die politische Konversation in Großbritannien in diesen Tagen praktisch vollkommen. Es ist nicht das erste Mal, das Musk in die britische Politik interveniert – seit einem halben Jahr lässt er sich immer wieder zu provokativen Breitseiten gegen die Labour-Regierung in London hinreißen. Aber noch nie haben seine ungehaltenen Äußerungen auf der Insel eine solche Debatte ausgelöst. Premierminister Keir Starmer trage Mitschuld an »der Vergewaltigung Großbritanniens«, schrieb Musk vergangene Woche auf seiner Plattform X, und viele Regierungsmitglieder »gehören ins Gefängnis«.

Es geht um ein tragisches Kapitel in der jüngeren britischen Geschichte: den Skandal um sogenannte Grooming Gangs. Diese Banden, die vor allem in nordenglischen Städten aktiv waren, haben über viele Jahre Mädchen sexuell ausgebeutet. Im Zeitraum von 1997 bis 2012, als die Missbrauchsfälle dank Medienberichten ins öffentliche Bewusstsein rückten, wurden Tausende Mädchen zur Prostitution gezwungen oder anderweitig sexuell genötigt. Viele von ihnen waren verwundbar, lebten in der Pflege oder waren drogenabhängig. Der Skandal erschütterte Großbritannien, er führte zu einer Reihe von Verurteilungen und mehreren öffentlichen Untersuchungen.

Keine Beweise für Vertuschung

Schnell wurde der Vorwurf laut, dass die Behörden den Missbrauch aufgrund von kultureller Sensibilität unter den Teppich gekehrt hätten: Die Mehrheit der Täter waren Briten mit pakistanischen Wurzeln, die Mehrheit der Opfer weiße Mädchen. Für eine Vertuschung gibt es jedoch keine Beweise. In einem Bericht über die Missbrauchsfälle in der Stadt Rotherham, den die Akademikerin Alexis Jay 2014 vorlegte, ist zwar die Rede von einer »Nervosität« mancher Gemeindebeamter, die Ethnie der Täter zu identifizieren, weil sie nicht als Rassisten abgestempelt werden wollten. Aber das eigentliche Problem war laut Jay, dass den Opfern schlichtweg zu wenig Priorität eingeräumt wurde oder dass man ihnen nicht glaubte. Sie schreibt von »kollektivem Versagen« der Polizei und der Lokalbehörde.

Dennoch haben Politiker der Tories und der Rechtsaußen-Partei Reform in den vergangenen Jahren immer wieder behauptet, »politische Korrektheit« habe den Skandal ermöglicht. Als letzte Woche bekannt wurde, dass die für Kinderschutz verantwortliche Staatsministerin Jess Phillips eine staatliche Untersuchung zu sexuellem Kindesmissbrauch in der Stadt Oldham zurückgewiesen hatte, brach die Debatte erneut aus.

»Jene, die Lügen und Falschinformationen verbreiten, interessieren sich nicht für die Opfer, sondern nur für sich selbst.«

Keir Starmer Britischer Premierminister

Elon Musk war zuvorderst mit dabei: Phillips sollte in den Knast, schrieb er und bezeichnete sie als »Apologetin von Vergewaltigungsgenozid«. Sein Feuer richtete er auch gegen den Premierminister: In seiner Funktion als oberster Staatsanwalt (2008–2013) habe es Starmer versäumt, die Täter zu ahnden – er sei mitschuldig an »Massenvergewaltigung«. Erneut gibt es überhaupt keine Hinweise für diese wilden Anschuldigungen. Keir Starmer war sichtlich verärgert über Musks Ausbruch: »Jene, die Lügen und Falschinformationen verbreiten, interessieren sich nicht für die Opfer, sondern nur für sich selbst«, sagte er am Montag.

Konservative Politiker taten ihr Bestes, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Tory-Chefin Kemi Badenoch forderte am Wochenende eine öffentliche Untersuchung zum »Skandal der Vergewaltigungsbanden«. Allerdings hat es eine solche umfassende Untersuchung zur sexuellen Ausbeutung von Kindern bereits gegeben: Sie wurde geleitet von Alexis Jay, die zuvor den Fall Rotherham unter die Lupe genommen hatte. Ihr Schlussbericht wurde 2022 vorgelegt. Erneut prangerte sie die Verfehlungen mehrerer Institutionen an und warnte, dass das Problem weiterhin verbreitet sei. Sie gab eine Reihe von Empfehlungen ab, darunter die Gründung einer Kinderschutzbehörde und bessere Datenerhebung.

Neue Regeln bei der Arbeit mit Kindern

Am Dienstag äußerte sich Jay frustriert, dass ihre Empfehlungen bislang nicht umgesetzt worden seien. Eine neue Untersuchung würde dies nur weiter verzögern, sagte sie gegenüber der BBC. »Wir hatten genug Untersuchungen, Konsultationen und Diskussionen«, stattdessen wollten die Opfer des sexuellen Missbrauchs endlich Taten sehen.

Die wiederaufgeflammte Debatte um die Grooming Gangs könnte genau dies erreichen. Am Montag kündigte Innenministerin Yvette Cooper an, eine zentrale Empfehlung des Jay-Berichts umzusetzen: Künftig werden sich Leute, die mit Kindern arbeiten, strafbar machen, wenn sie einen Verdacht von Missbrauch nicht melden.

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