»Nur Die!« Eine Blattkritik beim »nd«

Von Mosekund bis zu antifaschistischer Wirtschaftspolitk – Eindrücke aus einer morgendlichen Blattkritik

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 4 Min.
Hatte überwiegend Lob im Gepäck: Sabine Nuss
Hatte überwiegend Lob im Gepäck: Sabine Nuss

Hat das »nd« als linke Zeitung eine Chance? Sabine Nuss, die Mitglied der nd.Genossenschaft ist und die Entwicklung von der Parteizeitung zu einer pluralen und unabhängigen, von einer Genossenschaft getragenen Zeitung sehr genau verfolgt hat, meint: Ja. »Die Themenpalette deckt von Klima bis zu Arbeitskämpfen wesentliche Bereiche progressiver linker Politik ab, die Pluralität linker Stimmen wird abgebildet. Das ›nd‹ ist heute eine ernst zu nehmende linke Stimme unter den Tageszeitungen.«

Eine große Chance sieht Nuss in einer guten Berichterstattung über die Partei Die Linke – »nicht als Hofberichterstattung, sondern als kontinuierliche kritische Begleitung. Das ›nd‹ muss noch mehr die Zeitung werden, die ich aufschlage, wenn ich wirklich wissen will, was Die Linke intern für Debatten führt, wo die Konfliktlinien laufen, was die Streitpunkte sind.« Als gutes Beispiel nannte sie die Debatte zur antifaschistischen Wirtschaftspolitik, die im November zu verfolgen war. Auch Autor*innen aus dem progressiv-intellektuellen Spektrum, die in der Öffentlichkeit einen Namen haben, sind inzwischen im »nd« vertreten: »Das könnte aber mehr werden, nicht zuletzt weil sie als Multiplikator*innen in ihren eigenen Netzwerken fungieren können.«

Nuss schreibt als Autorin über Kapitalverhältnisse und betreibt eine Webseite »über die Welt des Kapitals, über Arbeit und Natur, über Vergesellschaftung und über Privateigentum«. Einmal im Monat diskutiert sie in ihrem Wirschaftspodcast »Armutszeugnis« mit Eva Völpel und wechselnden Gästen über die Verteilungskrise. Ein Schwerpunkt ihrer Blattkritik lag dementsprechend bei der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. »Aus polit-ökonomischer Sicht empfehle ich, die ideologische Trennung in Wirtschaft und Politik aufzugeben.«

Selbstverständlicher Orientierungspunkt für die Berichterstattung sei für eine linke Zeitung die Perspektive der Lohnabhängigen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf Entwicklungen gelegt werden, in denen die Fragmentierungen der Kämpfe aufgehoben sind. »So eine Berichterstattung wäre eine echte Alternative zur Kapitalperspektive der großbürgerlichen Presse wie der FAZ.«

In einigen Bereichen habe das »nd« ein Alleinstellungsmerkmal, das gepflegt und ausgebaut werden könnte. Nuss hebt hier unter anderem die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem Stalinismus hervor, »das lese ich in keiner anderen Zeitung«.

»Ich möchte nicht die Meldungen von gestern, sondern die Themen von heute und morgen lesen.«

Sabine Nuss Journalistin und Politologin

Es sind aber nicht nur die großen Themen, die die Leserin Sabine Nuss am »nd« schätzt. »Mosekund lese ich sehr gern, die Infografiken finde ich spannend, wenn sie nicht allzu kleinteilig sind, auch Geschichten, die einen ungewöhnlichen Blick haben wie kürzlich die Story über Dinge, die im Hotel vergessen wurden. All das sind Perlen, die das ›nd‹ lesenswert machen.« Und nicht zuletzt gefällt ihr die großzügige Gestaltung und die »kluge Bebilderung« besonders der Wochenendausgabe.

Werden aber diese Stärken fürs Überleben reichen? Die rasanten Veränderungen durch Internet und Social Media haben alle Zeitungen in die Krise gebracht, deren Geschwindigkeit müssen sie andere Qualitäten entgegensetzen. Die Printausgabe müsse sich ändern, meint Nuss, eine bloße Agenturmeldung über ein Ereignis X ist am nächsten Tag bereits Schnee von gestern. Das hat sie schon über zig andere Kanäle mitbekommen. Sie wünscht sich eine Redaktion, die den Aktualitäten nicht hinterherhechelt, sondern darauf vorbereitet ist, was passiert, und das mit Hintergründen und gut geschriebenen Geschichten im Blatt begleitet. »Im ›nd‹ möchte ich nicht die Meldungen von gestern, sondern die Themen von heute und morgen lesen.«

Das Zusammenspiel zwischen Print und Digital bietet, da ist sich Nuss sicher, auch Chancen. Gute Texte können über Social Media beworben werden, Nachrichten über Links in einen Kontext gestellt, Hintergründe und Zusatzinformationen übers Netz geliefert werden. »Diese gegenseitige Verstärkung von Print und Digital, diese Orchestrierung der Formate erkenne ich noch zu wenig beim ›nd‹.«

Nuss griff auch einen heiklen Punkt auf, der in Verlag und Leser*innenschaft kontrovers diskutiert wird. Das »nd« ist die einzige Tageszeitung, in deren Titel das Wort »sozialistisch« steht. Schreckt das mögliche Leser*innen ab und behindert eine bessere Verbreitung – oder ist es ein wichtiger Identifikationspunkt, der die Zeitung attraktiv macht? Und wofür stehen die beiden Buchstaben »nd«? Wird es weiterhin gleichgesetzt mit »Neues Deutschland«? Steht es damit noch im SED-Kontext und erzeugt Abwehr?

»Vielleicht wäre ein neues Framing sinnvoll«, so Nuss. »Aber was könnte das sein – ›Nur Die‹ vielleicht?« Auch solche Fragen zur Positionierung als linke Zeitung und deren Auswirkungen auf die Reichweite werden über die Zukunft des »nd« entscheiden. Aber eines ist für Nuss auch klar: »Solch eine weitreichende Neuausrichtung kann nur in einem breiten Beteiligungsprozess mit den Mitgliedern der Genossenschaft und den Leser*innen erfolgen.«

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