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Maja T.: Bei Geständnis 14 Jahre Kerker

Ungarische Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen zwei weitere Aktivist*innen, bald ist Prozessbeginn

Solidaritätsdemonstration in Leipzig nach der Auslieferung von Maja T. nach Ungarn.
Solidaritätsdemonstration in Leipzig nach der Auslieferung von Maja T. nach Ungarn.

Die ungarische Generalstaatsanwaltschaft hat im »Budapest-Komplex« Anklage gegen zwei weitere ausländische Staatsangehörige erhoben: eine Deutsche und in Abwesenheit einen Italiener. Beide sollen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« im Februar 2023 tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremist*innen angegriffen und verletzt haben. Dies teilte die Behörde am Montag mit, ohne die Namen zu nennen.

Bei den Angeklagten handelt es sich um Maja T. aus Thüringen und Gabriele Marchesi aus Italien. T. wird beschuldigt, vierfach versucht zu haben, Körperverletzungen in einer kriminellen Vereinigung zu begehen, teils als Mittäter*in, teils als Gehilf*in, sowie eine versuchte schwere Körperverletzung »in böswilliger Absicht«. Marchesi wird dreifache versuchte fahrlässige Tötung vorgeworfen, ebenfalls begangen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung.

In der Anklageschrift bietet die Justiz Maja T. einen Deal an: Bei einem Schuldeingeständnis würde die Strafe ohne Verhandlung auf 14 Jahre reduziert, andernfalls drohen 24 Jahre Haft – in beiden Fällen unter »besonders strengen Haftbedingungen«, bei einer Verurteilung sogar ohne Möglichkeit auf Bewährung. »Diese grotesken Strafforderungen lassen einen Schauprozess befürchten«, so Sven Richwin, einer der Anwälte von Maja T., der die Aktivist*in zusammen mit Maik Elster juristisch begleitet. Der Prozessbeginn ist für Ende Februar angesetzt.

Maja T. wurde Ende Juni in einer Blitz-Aktion nach Ungarn ausgeliefert, obwohl ihre Anwälte noch am selben Morgen einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gegen die Maßnahme erwirken konnten. Da die beim Landeskriminalamt angesiedelte »Soko Linx« aus Sachsen dies ignorierte, haben Richwin und Elster eine Beschwerde in Karlsruhe eingereicht.

Marchesis Auslieferung wurde von der Generalsaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht Mailand abgelehnt, da Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns bestanden und ein Missverhältnis zwischen den angedrohten 24 Jahren Haft und einer Platzwunde, die ihm angelastet wird, gesehen wurde. So hat es der mittlerweile in den Ruhestand getretene Staatsanwalt Cuno Tarfusser am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Hamburg geschildert.

»15 Jahre sind in Deutschland das Strafmaß für ›lebenslänglich‹. 14 Jahre sind mehr als die Hälfte von Majas bisherigem Leben.«

Soligruppe für angeklagte Maja T.

Laut der Budapester Justiz sollen T. und Marchesi einer Organisation angehört haben, die »mit linksextremem Gedankengut sympathisiert«. Gemeint ist der sogenannte »Antifa-Ost-Komplex«, in dem Lina E. und zwei Mitstreiter vor einem Jahr in Dresden zu Haftstrafen verurteilt wurden. In Budapest sollen Mitglieder der Gruppe rechtsextreme Sympathisant*innen gewaltsam angegriffen haben. Die Taten seien über eine Darknet-Plattform koordiniert und in 30-sekündigen Sequenzen geprobt worden. Einer der Beteiligten habe dazu jeweils die Zeit gemessen und das Kommando zur Flucht gegeben.

Maja T. soll sich an den Taten »teils als Aufpasser, teils als Angreifer beteiligt« haben. Marchesi werden zwei Angriffe zur Last gelegt. Vier Anschläge seien einen Tag vor und ein weiterer einen Tag nach den rechtsextremen Veranstaltungen am 11. Februar 2023 durchgeführt worden. Unter den Opfern waren ungarische und ausländische Staatsbürger, unter ihnen über Grenzen hinweg bekannte Neonazis, sechs von ihnen sollen schwere Verletzungen erlitten haben. Laut Staatsanwaltschaft hätten auch leichtere Verletzungen das Potenzial gehabt, lebensbedrohlich zu sein.

Die Anklage fordert, das Verfahren gegen Maja T. und Marchesi mit einem bereits laufenden Verfahren vor dem Stadtgericht Budapest zu verbinden. Dort wurde die Strafe für Tobias E. aus Jena nach einem Geständnis auf ein Jahr und zehn Monate reduziert. Nach seiner Entlassung im Dezember wurde er jedoch am Flughafen in Frankfurt erneut festgenommen, um ihm in Deutschland wegen weiterer Taten im »Antifa-Ost-Komplex« den Prozess zu machen.

Auch Anna M. aus Deutschland, die Haftverschonung erhielt, sowie Ilaria Salis aus Italien sind im »Budapest-Komplex« angeklagt. Salis wurde nach 15 Monaten Untersuchungshaft im Mai 2024 freigelassen, nachdem sie ins EU-Parlament gewählt wurde. Ungarn hat jedoch inzwischen die Aufhebung ihrer Immunität beantragt.

Zuletzt wurde kurz vor Weihnachten in Paris der albanischstämmige Gino festgenommen. Über seine Auslieferung wird am 18. Januar entschieden. Insgesamt gibt es im »Budapest-Komplex« 14 Beschuldigte, von denen viele untergetaucht sind. Sie würden sich aber stellen, sofern ihnen die deutsche Justiz einen fairen Prozess in Deutschland statt in Ungarn zusichert.

Eine Berliner Soligruppe für die Gefangenen äußerte am Montag Fassungslosigkeit über die Anklage gegen Maja T. Die Justiz mache mit Angeboten für Einlassungen Druck, um die Beschuldigten zu brechen. »15 Jahre sind in Deutschland das Strafmaß für ›lebenslänglich‹. 14 Jahre sind mehr als die Hälfte von Majas bisherigem Leben«, schreibt die Gruppe.

Anwalt Richwin beschrieb die Bedingungen in der Budapester Untersuchungshaft als belastend: künstliches Licht, Isolation, schlechtes Essen und Ungeziefer in den Zellen, die mit Chemikalien behandelt und von den Insassen anschließend ungelüftet wieder bezogen werden müssten. Besuche wurden verweigert oder erschwert. Maja T. habe ein Dokument unterschreiben sollen, wonach ihre Anwälte sie nicht besuchen sollen. Erst nach Eingaben des deutschen Konsulats sei eine ständige Videoüberwachung beendet worden. Diskriminierende Äußerungen gegen die transgeschlechtliche Maja T. hätten laut Richwin mittlerweile abgenommen – wohl wegen der internationalen Aufmerksamkeit für den Fall.

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